Streit um dritte Startbahn:Debatten im Nebel

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Der Rechtsstreit um die dritte Startbahn geht auch nach dem Bürgerentscheid weiter: Bei einem Ortstermin im Erdinger Moos wollen sich die Richter ein Bild machen - doch viel zu sehen gibt es nicht.

Marco Völklein

Mit weißen Heliumballons haben Flughafenmitarbeiter im Erdinger Moos markiert, wo die geplante dritte Start- und Landebahn verlaufen soll. (Foto: Marco Einfeldt)

Als das Gericht zurück ist vom Ausflug in den Flughafen-Tower, stehen alle noch kurz herum und ratschen. Die Richter, die Anwälte, die Bürgermeister umliegender Gemeinden, die Kläger. Christian Magerl, Grünen-Abgeordneter aus Freising und einer der engagiertesten Kämpfer gegen die dritte Startbahn am Münchner Airport, wendet sich an den Vorsitzenden Richter Erwin Allesch und fragt: "Und? Habt's was g'sehn?" - "Eigentlich nix", gibt Allesch zur Antwort.

Vier Tage haben sich Allesch und die Richter des achten Senats des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs (VGH) genommen, um in "Augenscheinterminen" im Erdinger Moos zu ergründen, um was es konkret geht beim Streit um die geplante dritte Start- und Landebahn. Insgesamt 20 Kläger, darunter Landkreis und Stadt Freising, einige Privatleute sowie der Bund Naturschutz (BN), haben sich vor dem VGH gegen die vier Kilometer lange Betonpiste aufgelehnt. Denn auch wenn die Münchner im Sommer beim Bürgerentscheid das Projekt zunächst einmal politisch gestoppt haben - juristisch geht der Streit weiter.

Der Plan der Flughafenbetreibergesellschaft ist es, eine rechtlich abgesicherte Baugenehmigung zu erstreiten - um dann, möglicherweise in ein paar Jahren, einen erneuten Anlauf zu nehmen und das Projekt durchzusetzen. Die Kläger wollen das auf alle Fälle verhindern.

An diesem ersten der vier Augenscheintermine fährt das Gericht zunächst auf den Tower hinauf. Flughafenmitarbeiter haben auf dem Gelände nördlich des Airports ein halbes Dutzend weiße Heliumballons aufsteigen lassen - sie sollen zeigen, wo die dritte Piste irgendwann mal verlaufen könnte. Das Problem ist nur: Im Erdinger Moos hängt an diesem Mittwoch dichter Nebel. Vom Tower aus sind die Ballons kaum zu erkennen. Was wiederum bei den Klägern für Erheiterung sorgt. "Gerade im November ist es hier halt neblig", sagt der Landtagsabgeordnete Magerl.

Deshalb wollten die Naturschützer eigentlich auch, dass die Augenscheintermine nicht im Spätherbst stattfinden, sondern zum Beispiel im April oder Mai. Dann, so ihr Argument, hätten sich die Richter auch einen besseren Eindruck von der Natur machen können und welche Auswirkungen die geplanten Eingriffe haben.

Doch Allesch und seine Richterkollegen lehnten das ab: Dem Gericht gehe es in erster Linie darum, "sich einen Eindruck von den Örtlichkeiten und Entfernungen zu verschaffen", sagt Allesch. Wenn nötig, könne man im Frühjahr weitere Begehungen "kurzfristig einschieben", wenn ohnehin die mündliche Verhandlung ansteht. In der will Allesch mit allen Beteiligten über die "Wertigkeit" der jeweiligen Grundstücke diskutieren, also auch über die Frage, wie schützenswert zum Beispiel einzelne Niedermoorabschnitte, ein Wassergraben als Lebensraum für Fische oder eine Hecke als Brutmöglichkeit für Vögel sind.

Später im Gelände, als Richter, Anwälte, Sachverständige, Kläger und Beklagte einen Acker nach dem anderen abklappern, hauen sich die Beteiligten dann aber doch bereits erste Argumente um die Ohren. So erklärt Magerl an einem Bach, dass dieser mit dem Bau der dritten Piste in einem Rohr verschwinden und so der Lebensraum der Mühlkoppe, einer gefährdeten Fischart, zerstört werde.

Da wird der Anwalt der Gegenseite unruhig und fragt einen Mitarbeiter: "Wo ist unser Fachmann?" Kurz darauf streiten sich die Fachleute des BN und die des Airports darüber, ob der Fisch an dieser Stelle - juristisch gesehen - überhaupt geschützt werden muss. Solche und viele andere Fragen wird am Ende das Gericht entscheiden müssen. Wann ein Urteil fallen wird, ist offen.

Station macht die Gruppe auch noch an einem Grundstück, an dem das westliche Ende der Startbahn geplant ist. Zunächst weisen die Naturschützer auf das Niedermoor als wichtigen Lebensraum für einen gefährdeten Vogel, den Wachtelkönig, hin. Dann macht Magerl die Nähe zur Stadt Freising deutlich und deutet in den Nebel. Schemenhaft zeichnen sich zwei Kirchtürme ab. "Der Freisinger Dom", beginnt Allesch seiner Protokollantin zu diktieren, "ist schwach zu sehen." Magerl schluckt kurz und ruft dann dazwischen: "Aber nur aufgrund der novemberlichen Witterung."

© SZ vom 22.11.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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