Weihnachtslieder:Alles schläft, einsam wacht

Lesezeit: 2 min

JJ Jones moderierte die Veranstaltung und sang selber mit. (Foto: Florian Peljak)

Im Münchner Stadtmuseum wird sechs Stunden lang immer nur ein Weihnachtslied gespielt - eine ganz besondere Erfahrung.

Von Dirk Wagner

"Stille Nacht, Heilige Nacht" ertönte es am späten Samstagabend auf dem im Dunkel ruhenden Jakobsplatz. Peter Dostal-Berg stand am offenen Fenster im ersten Stock des Münchner Stadtmuseums und blies die berühmte Weihnachtsmelodie auf seinem Schofar, einem aus dem Horn einer Antilope gefertigten Blasinstrument. Eine kleine Menschengruppe vor der Synagoge unterbrach ihr Gespräch und blickte neugierig zum erleuchteten Fenster des Museums.

Als im Anschluss zu hören war, wie im Münchner Stadtmuseum Menschen die Melodie des 1818 in Österreich uraufgeführten Weihnachtslieds summten, jubelte auf dem Jakobsplatz eine der Frauen der kleinen Gruppe und sang freudig tanzend mit. Die anderen lächelten und stimmten ebenfalls in den Chorgesang ein. Dann wurde das Museumsfenster wieder geschlossen und die kleine Gruppe schlenderte angenehm überrascht davon.

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Womöglich hatte sie nicht gewusst, dass sie selbst hätte ins Museum gehen können, um dort der ganz besonderen Produktion einer Radioshow beizuwohnen, die gerade live auf Radio München zu hören war. Sechs Stunden lang waren in jener Sendung ab 18 Uhr verschiedene Versionen von "Stille Nacht, Heilige Nacht" zu hören, unter anderem auch jene jeweils zur vollen Stunde auf dem Schofar als Friedensappell geblasene Version.

Moderiert wurde die Show vom Sänger JJ Jones, dessen Radiostudio auf einer Bühne aufgebaut war. Vor der Bühne wohnten Zuschauer der Veranstaltung bei, die vor allem die Live-Acts feierten. Während die Radiohörer daheim auch mal Musik aus der Konserve hörten, erlebte das Publikum im Sendesaal, wie auf der Bühne der nächste Act vorbereitet wurde. Ein kurzer Soundcheck, dann warteten alle geduldig auf das Zeichen des Sendetechnikers.

Peter Dostal-Berg bläst sein Schofar aus dem Fenster des Stadtmuseums. (Foto: Florian Peljak)

Als eine Art Weihnachtsmann verkleidet moderierte JJ Jones die nächsten Musiker an: etwa Andreh, der auf einem sogenannten Hybrikon, einer von Synthesizern unterstützten Drehorgel, jenes alte Weihnachtslied als Dancefloor-Hit darbot. Oder Heike Siegert, die als "Woman With Gameboy" ihre eigenwillige Version von "Stille Nacht" eben auf einem alten Gameboy spielte. Oder JJ Jones kündigte die Good Old Suckerboys an, die jenes Weihnachtslied mit Deep Purples Antikriegslied "Child in Time" mischten, derweil auf einer rückwärtigen Leinwand ein Werbefilm der US-Armee zeigte, wie eine Landschaft zerbombt wurde. Davon unbeirrt sang dazu ein Jugendlicher mit heller Knabenstimme das von Franz Xaver Gruber komponierte Weihnachtslied, während ein weiterer Sänger wütend jenen Text aus dem Alten Testament ins Mikrofon schrie, der ein Auge für ein Auge, und einen Zahn für einen Zahn fordert.

Nur allzu oft gilt jene Textstelle aus dem zweiten Buch Mose als Rechtfertigung eines Verteidigungskrieges. Dabei könnte jener Text doch auch mäßigend auf die Menschen gewirkt haben wollen: demnach dürfe man nämlich einen Menschen eben nicht töten, nur weil er einem anderen einen Zahn ausgeschlagen hat. Es reicht, wenn er zur Strafe eben auch seinen Zahn hergeben muss. Ach, überhaupt, muss denn erst die gesamte Menschheit erblinden und zahnlos werden, bevor der Frieden, wie ihn jene helle Knabenstimme in dieser Punkdarbietung herbei sang, überhaupt eine Chance hätte.

"Stille Nacht, Friedliche Nacht" hatte JJ Jones für diesen Abend das berühmte Weihnachtslied getauft, das der Hilfspriester Joseph Mohr 1818 eigens für Heiligabend gedichtet hatte. Mit der Namensänderung nahm JJ Jones dem Lied das Religiöse. Zugleich verstärkte er damit die Wirkung als Anti-Kriegslied. Immerhin unterbrach das Lied schon im Ersten Weltkrieg die Kämpfe in den Schützengräben am Heiligen Abend, als deutsche und englische Soldaten über die Schützengräben hinweg gemeinsam "Stille Nacht" respektive "Silent Night" sangen.

Simon & Garfunkel hatten 1966 ihrer Fassung von "Silent Night" die von einem Radiosprecher verlesenen Nachrichten gegenübergestellt, in denen zum Beispiel der ehemalige US-amerikanische Vize-Präsident Richard Nixon eine Stärkung des Militärs im Vietnam-Krieg forderte. Da war es letztlich nur folgerichtig, dass JJ Jones selbst nun als Sänger in seiner Show, begleitet vom Gitarristen Azhar Kamal, seinen Text zu "Stille Nacht, Friedliche Nacht" auf die Melodie des Simon-&-Garfunkel-Hits "Sound Of Silence" sang. Und auch solcher Klang der Stille klang in der stillen Nacht dann himmlisch.

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