Wörthseer Kammerkonzerte:Im Kosmos seelentiefer Empfindungen

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Klassik vom Feinsten brachten Alexei Grynyuk am Flügel und Cellist Leonard Elschenbroich in der Wörthseer Schulaula zu Gehör. (Foto: Franz Xaver Fuchs/Starnberger SZ)

Das vielfach prämierte Duo Leonard Elschenbroich und Alexei Grynyuk betört seine Zuhörer in der Schulaula mit einem Konzert, das die Genialität der jeweiligen Komponisten offenbart.

Von Reinhard Palmer, Wörthsee

So enthusiastisch erlebt man das Publikum der Wörthseer Kammerkonzerte selten: Ungeachtet der etwas nüchternen Atmosphäre der Schulaula gelang es dem Duo, die Zuhörer gänzlich in seinen Bann zu ziehen. Der Emotionalität, die dem interpretierten Repertoire innewohnt und die vor allem Leonard Elschenbroich am Violoncello geballt ins Publikum sandte, konnte sich schlicht niemand erwehren. Sein langjähriger Duopartner am Klavier, Alexei Grynyuk, ging weniger aus sich heraus, vermochte aber mit seiner Hochkonzentration die Spannung mit zu befeuern.

Grynyuks Uhrmacherpräzision im spieltechnischen wie musikalischen Sinn sowie seine Einfühlsamkeit als Duopartner gaben Elschenbroich viel Freiheit, seine im Programm recht häufige Protagonistenrolle mit üppiger Leidenschaft und feinsinniger Differenzierung zu füllen. Letztlich war diese musikalische Leidenschaft denn auch Thema des Programms, das die auf den ersten Blick inhomogene Werkauswahl gänzlich rechtfertigte. Cellosonaten von Schostakowitsch und Prokofjew einen Brahms voranzustellen, war so etwas wie eine Justierschraube, die den Fokus für die beiden russischen Komponisten der Moderne ausrichtete. "Vier ernste Gesänge" op. 121 mit Texten aus der Heiligen Schrift sind Brahmsens letzte Lieder - in Memoriam Clara Schumann und eine Auseinandersetzung mit dem eigenen nahenden Tod. Die Bearbeitung für Violoncello und Klavier behielt die Basslage, was dem hochemotionalen Werk eine enorme Klangsubstanz verlieh. Der fehlende Text der reinen Instrumentalfassung fokussierte die Ausdruckskraft der Musik und offenbarte die Genialität des Komponisten, verbale Aussagen in die Musiksprache zu übersetzen.

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Das Duo nutzte dieses Spektrum, einen ganzen Kosmos an seelentiefen Empfindungen zu kreieren - angefangen bei einem dunklen Lamento über einen nostalgisch-sehnsuchtsvollen sowie herzzerreißend zarten Gesang bis hin zur berührend leidenschaftlichen Schicksalsergebenheit. Darin vermochten die vielfach prämierten Elschenbroich und Grynyuk, die sich längst auf internationalem Parkett renommierter Konzertsäle bewegen, sogleich das gesamte emotionale Spektrum auch der beiden nachfolgenden Sonaten vorwegzunehmen: Wer eine Nähe der Schostakowitsch-Sonate d-Moll op. 40 von 1934 zu Brahms heraushörte, irrte sich keinesfalls. Tatsächlich bekannte sich der erst 28-jährige Komponist darin zur klassisch-romantischen Tradition und knüpfte immer wieder auch an die Spätromantik an. Dass Schostakowitsch dennoch den Blick nach vorne richtete, konnten die beiden Musiker ebenfalls verdeutlichen - vor allem mit einer Erweiterung der Klangräume und weit ausgereiztem Auf und Ab in Dynamik, Klangfülle und Tonschärfe. Elschenbroich und Grynyuk schöpften hier aus dem Vollen, dabei mit lustvoller Hingabe: Die Musiker leisteten sich keine Sekunde der Entspannung.

Nach der Pause stemmte das Duo eine weitere Kraftanstrengung: Auch Prokofjew knüpfte in seiner Sonate op. 119 von 1949 an die klassisch-romantische Formensprache an. Zu bedenken ist hier aber, dass der mit 58 Jahren gereifte Komponist das Werk für den ausdrucksgewaltigen Cellisten Mstislaw Rostropowitsch geschaffen hatte. Die russische Wucht in dessen Spiel bewog Prokofjew offensichtlich dazu, das Ausdrucksspektrum zu erweitern, sowohl mit elegischer Fülle orchestraler Passagen wie mit durchaus polterndem Musikantentum wilder Tänze - wie bei Schostakowitsch ein Zugeständnis angesichts der Bedrohung durch Stalin. In beiden Fällen erwies sich diese "Russifizierung" der Musik als geeignetes Mittel, eine Brücke zur zeitgemäßen "Rohheit" zu schlagen. Elschenbroich und Grynyuk nutzten diese Gelegenheit darüber hinaus, um die tradierte Kultiviertheit mit wilden Ausbrüchen zu kontrastieren. Das letzte Wort aber gehörte berührender Seelentiefe mit dem zweiten Satz der F-Dur-Sonate op. 99 von Brahms in der Zugabe.

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