Wirtschaft:Das Auto von morgen denkt mit

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Dierk Arp in der Halle im Gewerbegebiet beim Sonderflughafen Oberpfaffenhofen. Hier entwickelt und baut die Firma "Messring" Crashtest-Anlagen für Autos (Foto: Georgine Treybal)

Die Zahl der Verkehrstoten geht in Europa stetig zurück. Das ist auch kontinuierlich verbesserten Sicherheitssystemen zu verdanken, sagt der ehemalige Messring-Chef Dierk Arp - und wagt eine Prognose, was noch kommt.

Interview von Michael Berzl, Gilching

Die Firma Messring entwickelt in einer großen Halle beim Gelände des Sonderflughafens Oberpfaffenhofen Crashtest-Anlagen für Autos und Prüfvorrichtungen für Sicherheitssysteme. In vielen Ländern sind sie damit Marktführer. Gut 180 Mitarbeiter sind weltweit beschäftigt, Fachleute sind gesucht, 20 Stellen sind gerade offen. Der langjährige Geschäftsführer Dierk Arp ist nun im Ruhestand, steht nach dem aktiven Tagesgeschäft aber mit seiner Erfahrung als Berater weiterhin zur Verfügung. Über einen langen Zeitraum hat er die Entwicklungen in der Automobilbranche mitverfolgt - und er wagt einen Ausblick, welche Innovationen noch kommen.

SZ: Drei Jahrzehnte Sicherheitstechnik in der Autobranche. Was hat es gebracht?

Dierk Arp: Wir haben eine riesige Erfolgsgeschichte geschrieben, was die Fahrzeugsicherheit angeht, zumindest in Deutschland und in Europa. In den Siebzigerjahren hatten wir noch fast 20 000 Verkehrstote pro Jahr; das ist jetzt heruntergegangen auf etwas mehr als 3000.

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Das sind tatsächlich eindeutige Zahlen. Wie ist das möglich? Sind die Autos robuster geworden?

Man kann die Autos robuster machen, das ist eine Möglichkeit. Man kann aber auch einen Sicherheitsgurt einführen oder einen Airbag. In der Entwicklung von neuen Sicherheitstechniken sind außerdem die Messungen und die Versuchsanordnungen immer realitätsnaher und genauer geworden. Auch aus diesem Grund konnte man die Fahrzeuge entsprechend verbessern.

"Das Niveau bei der Sicherheit ist bei den aktuellen neuen Autos sehr hoch."

Sie kennen einige Marken ziemlich gut, vor allem unter dem Aspekt der Sicherheit. Welches Auto würden Sie empfehlen, in welches würden Sie Ihre Kinder reinsetzen?

Da will ich jetzt keinen bestimmten Hersteller nennen. Ich würde sagen, da kann man heutzutage in Europa keine Fehler mehr machen. Die sind hier alle gut. Das Niveau bei der Sicherheit ist bei den aktuellen neuen Autos sehr hoch. Ich würde jedenfalls meinen Kindern kein altes Auto kaufen, so wie ich das selber gemacht habe als Student: Da habe ich mir ein Auto für 50 Mark gekauft, das war damals älter als ich. Davon würde ich abraten. Ich würde darauf Wert legen, dass das Fahrzeug möglichst neu ist.

Dummies werden eingesetzt, um die Sicherheitssysteme von Autos zu testen. (Foto: Georgine Treybal)
Ein Kind auf einem Bobbycar: Auch solche Puppen stellt die Firma Messring her. (Foto: Nila Thiel)

Brauche ich so ein überdimensioniertes und tonnenschweres SUV mit einer Menge Metall um mich herum, um sicher zu sein?

Nein, überhaupt nicht. Auch die kleinen Fahrzeuge sind heute sicher. Außerdem wird gerade viel getan bei der Kompatibilität. Das heißt, die Fahrzeuge müssen in der Größe zueinanderpassen. Es darf nicht sein, dass das große Fahrzeug das kleine überrollt. Auch die beiden Knautschzonen müssen zueinanderpassen, darauf wird Wert gelegt.

Und die Autos sind schlauer geworden?

Richtig. Das nennt sich Active Safety. Der erste Schritt war, dass man die Fahrzeuge von außen sicherer für Fußgänger und Fahrradfahrer macht im Fall eines Aufpralls. Es gibt also Vorschriften für Windschutzscheiben, Motorhauben und so weiter, dass die weich genug sind, dass man sich möglichst wenig verletzt, wenn es zu einem Unfall kommt. Der nächste Schritt ist aber, einen Unfall zu vermeiden durch Assistenzsysteme, die den Fahrer aktiv unterstützen. Das sind Lösungen, die uns noch einen Schritt deutlich nach vorn bringen können.

Zum Beispiel?

Das fängt mit Anti-Blockier-Systemen an, und das geht weiter, dass selbständig eine Bremsung eingeleitet wird, wenn ein Hindernis auftaucht oder ein Fußgänger. Damit ist schon viel gewonnen.

Eine Crashanlage von Messring im Einsatz. (Foto: Leo Lara/Leo Lara/Studio Cerri)

Solche Vorrichtungen dürften neue Anforderungen für Messring mit sich bringen.

Das ist ein ganz neues Feld mit neuen Prüfarten. Da muss man zum Beispiel möglichst realitätsnahe Hindernisse herstellen. Fußgänger oder Radfahrer, die bei einem inszenierten Unfall eingesetzt werden und plötzlich auftauchen. Das kann ich natürlich nicht mit einem Menschen machen, da brauche ich einen Roboter, eine Puppe. Wir haben Dummies, die nach Normgrößen gebaut sind: Es gibt Erwachsene und Kinder in verschiedenen Größen, Fahrradfahrer, auch Elektroscooter, weil mit denen gerade viele Unfälle passieren. Die Herausforderung ist, diese Prüfkörper so zu bauen, dass sie wie ein Mensch reagieren und von den Sensoren des Fahrzeugs auch so erkannt werden. Die Bewegungen müssen passen, sogar die Farben. Gleichzeitig muss die Puppe anprallfähig sein, sie darf also nicht gleich kaputtgehen.

"Von Juli an muss ein Auto, das neu zugelassen wird, ein AEB haben."

Was tut sich noch in der Branche? Was wird das Ding der Zukunft, auf das man sich bei Messring noch einstellen muss im nächsten Jahr oder in den nächsten zehn Jahren?

Als Nächstes kommt zum Beispiel das AEB, das Automatic Emergency Braking. Das Auto muss also beim Auftauchen eines Hindernisses selbständig bremsen können. Das wird Vorschrift, bei Lastwagen ist das schon der Fall, bei Pkw kommt es schrittweise. Von Juli an muss ein Auto, das neu zugelassen wird, ein AEB haben. Bis so eine Vorschrift kommt, vergeht viel Zeit. Der erste Versuch bei uns war 2013, also vor gut zehn Jahren. So lange testen wir das schon - und zwar sehr exakt, wesentlich genauer als früher.

Was noch? Ein Blick in die Zukunft bitte.

Es wird noch mehr darauf geachtet werden, dass die Ursachen von Unfällen bekämpft werden. In Zukunft wird zum Beispiel strenger überwacht, ob das Auto mit der richtigen Geschwindigkeit fährt. Das Auto wird Geschwindigkeitsbegrenzungen selbst erkennen und den Fahrer darauf hinweisen, wenn er zu schnell ist. Selbst bremsen wird es wohl nicht, das könnte in manchen Situationen problematisch sein, beim Überholen etwa. Ich habe selbst einen relativ neuen Wagen und stelle den auf der Autobahn so ein, dass er nur so schnell fährt, wie es erlaubt ist. Das finde ich angenehm. Das ist bequem, weil ich nicht ständig auf Verkehrszeichen achten muss. Das nimmt einem schlicht Arbeit ab. Es kann so schnell passieren, dass man eine Beschränkung einfach übersieht.

Da ist man in anderen Ländern wohl noch lange nicht so weit.

Wir haben immer noch 1,2 Millionen Verkehrstote pro Jahr weltweit. Es gibt deutliche Fortschritte hier in Europa, etwas in den USA und stark in China und Japan; die werden aber dadurch aufgefressen, dass insgesamt einfach viel mehr Fahrzeuge unterwegs sind und viel mehr Menschen. In Afrika, Indien oder Südostasien etwa gibt es nicht weniger, sondern sogar mehr Verkehrstote. Die Technik und die Qualität der Fahrzeuge ist da eher mittelgut. Da muss etwas passieren, finde ich.

Was?

Was wir hier in Europa geleistet haben, sollte in anderen Ländern eben auch stattfindet. Das betrifft auch Vorschriften. Stichwort Alkohol am Steuer, Geschwindigkeitsbegrenzungen, Sicherheitsgurte, Helmpflicht, Hauptuntersuchungen. Das hört sich alles so selbstverständlich an, ist aber in vielen Ländern gar nicht der Fall. Es muss halt nicht sein, dass eine ganze Familie auf einem Zweirad sitzt. Verkehrsregeln gibt es dort auch, und die können mehr überprüft werden.

Besonders gut kennen Sie die Situation in China; sie waren schon oft dort.

Wir haben selbst eine große Niederlassung dort mit vielen Beschäftigten. Wir bauen in China etwa zwei bis drei Anlagen jedes Jahr und sind mit weitem Abstand Marktführer. Aus meiner Sicht ist das eine große Erfolgsgeschichte. Die sind dort richtig durchgestartet, und das ist sicher auch politisch so gewollt, weil man die Automobilindustrie sehr stark machen wollte. Im Land selbst wird sehr viel Wert auf Fahrzeugsicherheit gelegt. Die sind mittlerweile auf dem gleichen Niveau wie hier.

"Das Kernteil muss aus Deutschland kommen, das ist so gewünscht."

Ist das nicht politisch schwierig als Unternehmen in China?

Klar, das wird jeder Unternehmer bestätigen. Im Moment haben wir einen ganz starken Druck insofern, als erwartet wird, dass dort lokal Teile der Produktion sind, dass dort Dinge hergestellt werden. Das ist anders als in anderen Ländern. Auch unsere Anlagen, die wir dort aufbauen, haben also einen gewissen lokalen Anteil. Trotzdem profitieren wir von der Marke "Made in Germany". Das Kernteil muss aus Deutschland kommen, das ist so gewünscht.

War die Firma Messring in Russland tätig?

Nie. Russland zählt zu den Ländern, in denen Fahrzeugsicherheit nicht eine so große Rolle spielt. Die entwickeln nicht so viel, sondern montieren eher standardmäßig: vier Räder, Motor drin, fährt schon. Es wird viel importiert aus China oder Osteuropa.

Eines der Prinzipien von Messring ist, nicht fürs Militär zu arbeiten. Das steht sogar so auf der Homepage im Kapitel "Unternehmenskultur" unter dem Stichwort "Menschlichkeit und Verantwortung". Gilt das noch? Rüstung hat ja in Deutschland ein besseres Image bekommen.

Dazu stehe ich nach wie vor. Ich halte es für weiterhin wichtig, nichts fürs Militär zu machen. Wir kümmern uns um Verkehrssicherheit, wir wollen Leben retten. Waffen retten keine Leben.

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