Arbeiten und Karriere:Neuer Job mit 61

Lesezeit: 4 min

Jürgen Rogg war Bürgermeister im hessischen Dietzenbach. Jetzt arbeitet er im Weßlinger Rathaus. (Foto: Nila Thiel)

Jürgen Rogg wurde vor drei Jahren als Bürgermeister im hessischen Dietzenbach nicht mehr wiedergewählt. Jetzt arbeitet er wieder im Rathaus: als Geschäftsführer in Weßling.

Von Patrizia Steipe, Weßling

Er ist das perfekte "Role Model" in Zeiten des Fachkräftemangels: Jürgen Rogg, der neue Geschäftsleiter der Gemeinde Weßling. Rogg ist schließlich bereits 61 Jahre alt und hätte sich als ehemaliger Bürgermeister der hessischen Stadt Dietzenbach nach zwei Amtsperioden mit seiner Pension gemütlich zur Ruhe setzen können, beziehungsweise seiner Leidenschaft, dem Golfspielen, auf den diversen Golfplätzen des Fünfseenlands frönen können.

Zu ihrem Lebensplan habe schon immer ein Altersdomizil im Fünfseenland oder im Allgäu gehört, berichtet der Vater dreier erwachsener Töchter. Eine der Töchter ist bereits vor vier Jahren nach Starnberg gezogen, also sollte der neue Wohnsitz der Eltern im Landkreis liegen. Ein "Mehrgenerationenhaus" wurde in Feldafing gefunden, dieses wird momentan aber noch umgebaut. Bis dahin pendelt der neue Geschäftsleiter an seinen Kerntagen Dienstag bis Donnerstag 415 Kilometer aus Dietzenbach nach Weßling.

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Als Rentner habe sich der Bürgermeister a. D. keineswegs gefühlt, nachdem er 2021 nicht mehr gewählt worden war, so Rogg. Auf einem Jobsucheportal habe er deswegen nach Jobs beispielsweise bei NGOs (Nichtregierungsorganisationen) oder Vereinen gesucht - und da stieß er auf das Stellenangebot der Gemeinde Weßling. Die bisherige Geschäftsstellenleiterin Astrid Kahle hatte die Verwaltung nämlich verlassen. Die Stelle passte für Rogg wie die sprichwörtliche Faust aufs Auge. "Ich bin generalistisch veranlagt", sagt Rogg. Und die Stelle in Weßling habe ihm die gesamte Bandbreite aller Aufgaben einer Gemeindeverwaltung geboten.

Auch Bürgermeister Michael Sturm freut sich: "Ein Glücksgriff. Mit seinen Erfahrungen ist er das perfekte Bindeglied zwischen Verwaltung, Bürgermeister und Gemeinderat". Die Vorstellung, dass in Gemeindeverwaltungen vorwiegend Beamte arbeiten, weist Rogg zurück. Um im öffentlichen Dienst zu arbeiten, müsse man kein Beamter sein, so Rogg. In Weßling gebe es unter den 25 Mitarbeitenden im Rathaus nicht einmal eine Handvoll, die verbeamtet seien. Allerdings würden sich die Arbeitsabläufe in der freien Wirtschaft und in einer Gemeindeverwaltung deutlich unterscheiden. Verwaltungsmitarbeiter müssten nach anderen Regeln und Gesetzen arbeiten, ist seine Erfahrung. Die Gegebenheiten von Haushalt, Gemeinderat, Ausschreibungen und Vergaben seien der Grund für die oft kritisierte fehlende Flexibilität. Dafür habe er Verständnis.

Die Chemie zwischen Rogg und Sturm habe sofort gestimmt. Nach drei Gesprächen waren sich die beiden einig, beim vierten stellte sich Rogg bereits dem Gemeinderat vor, der einstimmig für ihn votierte. Allerdings hatte er zuvor ein wenig Vorarbeit leisten müssen. Ihm war nämlich zu Ohren gekommen, dass einigen Ratsmitgliedern die Vorstellung, einen Hessen im Haus zu haben, gar nicht behagte. Rogg ist aber tatsächlich in Würzburg aufgewachsen und damit Bayer, erklärte er den Räten und zitierte gleich noch die Bayerische Verfassung, in der im Artikel 1, Absatz 6 steht: "Die Staatsangehörigkeit wird erworben durch Geburt". "Ein bisschen lustig darf es schon sein", sagt Rogg.

Die öffentliche Aufmerksamkeit vermisst er nicht

Standesdünkel hat der ehemalige parteiunabhängige Bürgermeister keine. "Ich drücke selbst den Knopf auf der Kaffeemaschine", versichert er. Das habe er übrigens als Bürgermeister auch getan. Dass er nicht mehr an vorderster Front steht, störe ihn nicht. Im Gegenteil: Nachdem er zwölf Jahre lang in Hunderten von "schönen und weniger schönen Presseartikeln" erschienen sei, vermisse er die öffentliche Aufmerksamkeit nicht.

Vor seiner Tätigkeit als Bürgermeister war Rogg als Geschäftsführer in der IT- und Technikbranche tätig, ähnlich wie Sturm. Außerdem ist Rogg auch Unternehmensberater und Coach. Zum Beispiel trainiert er wie weiland Otto Rehhagel die griechischen Fußballer, die griechischen Damen der Golf-Nationalmannschaft und zwar als Mentaltrainer. Es gibt Tagesworkshops und Videokonferenzen, erklärte Rogg. Beim Golf würde die Nettospielzeit lediglich 15 Minuten betragen, doziert er. Dazwischen liegen die Wanderungen über das Grün zu den einzelnen Abschlägen. "In diesen Ruhephasen gibt es zu viel Zeit zum Nachdenken, das ist nicht gut", weiß er. Beim Coaching versucht er, die Golferinnen darin zu stärken, sich in diesen Phasen nicht gedanklich verrückt machen zu lassen.

Weßlings Bürgermeister Michael Sturm nennt Rogg einen "Glücksgriff". (Foto: Franz Xaver Fuchs)

Seine Coaching-Erfahrungen möchte Rogg auch im Rathaus einsetzen. "Ich sehe mich als Vermittler", betonte er. Er führt bereits Einzelgespräche mit allen Mitarbeitern. Die Organisation und die Zuständigkeiten möchte er besser regeln, "damit es geschmeidig läuft". Schließlich habe es in den vergangenen Jahren Fluktuation im Rathaus gegeben. "Wenn die Arbeit gerne gemacht wird, dann sind wir auch nach außen erfolgreich", weiß er.

Mit seinem Büro ist er zufrieden. "Ich habe einen schönen Ausblick" und als Liebhaber von Holz schätzt er das denkmalgeschützte Rathausgebäude mit dem charmant knarzenden Parkettboden. Auf dem Tisch liegt eine kleine Landkarte von Weßling und die neueste Ausgabe der Vereinsbroschüre "Unser Dorf", auf dem Regal stehen Heimatbücher, die ihm gleich zum Einstand als Pflichtlektüre überreicht worden waren. "Ich bin im Rathaus herzlich aufgenommen worden", freute er sich.

Dietzenbach ist eine Stadt mit 36 000 Einwohnern - und doch läuft dort vieles ähnlich

Die Gefahr, aus Versehen mal wieder in die Rolle des Bürgermeisters zu schlüpfen, sieht er nicht - wobei seine Kollegen bei der ersten Besprechung aller Geschäftsstellenleiter des Landkreises schon gefrotzelt hätten, ob sein Job nur ein Sprungbrett sei, um später Bürgermeister im neuen Heimatort Feldafing zu werden. Doch Rogg kennt seine Aufgabe. "Bürgermeister ist ein politisches Amt und Geschäftsleiter ist für die Organisation und das Personal zuständig." Den Bürgermeister würde er zwar beraten, er sei dabei loyal und würde "Rückendeckung" geben. Was jedoch die Politik betrifft, so habe er natürlich eine eigene Meinung, die behalte er aber für sich - und denke sich im Zweifel seinen Teil.

Was die Unterschiede zwischen der 36 000 Einwohner starken Stadt Dietzenbach in Hessen und dem kleinen Weßling in Oberbayern betrifft, so erläuterte Rogg: "Die Aufgaben der Gemeinden in Deutschland unterscheiden sich gar nicht so sehr, wie mancher glaubt." Vor allem in einem Punkt gleichen sich alle: Partikularinteressen gebe es überall. "Und das Sankt-Florians-Prinzip gilt von Flensburg bis Garmisch."

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