An sein erstes Berufsjahr in der Linien- und Zeichenstelle der Deutschen Bundespost erinnert sich der Weßlinger Heimatforscher Erich Rüba noch genau. Es war das Jahr 1974, und Rüba war 21 Jahre alt. "Das wohl seit den Fünfziger- und Sechzigerjahren zusammengestellte Mobiliar wirkte auf mich sehr muffig", erzählt er. Der wuchtige Schreibtisch, der Aktenschrank aus braunem Holz, Drehstühle, aber nichts passte zusammen. Auf der Tischplatte befanden sich angeschraubte Bleistiftspitzer aus Bakelit, Hefter, Tacker und Locher, Stempelhalter, Brieföffner, Tintenglas "und natürlich die Holzschale mit Kugelschreiber, Blei- und Farbstiften und sonstiger Kleinkram", erinnert sich Rüba.
"Keiner kann sich heute mehr vorstellen, völlig analog zu arbeiten, ohne Computer, Drucker, Telefonkonferenzen und vor allem ohne E-Mail", sagt Rüba. Mittlerweile sei das papierlose Büro in vielen Unternehmen Standard. Und all das habe sich im Zeitraum eines Berufslebens gewandelt, staunt der 70-Jährige. In der Gemeindegalerie hat er nun in der Ausstellung "Das analoge Büro - Büroutensilien aus vergangener Zeit" einige der damals unverzichtbaren Hilfsmittel ausgestellt, die heute längst von den digitalen Nachfolgern abgelöst wurden.
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Der Sekretär im großen Ausstellungsraum hat wieder seine ursprüngliche Bestimmung bekommen. Eine mechanische Schreibmaschine steht darauf, eine mechanische Briefwaage, eine alte Büroleuchte, die obligatorische Schatulle mit Feder und Tintenfass, ein Tischkalender aus Messing, den man mit der Hand umstellt, eine Kladde mit handschriftlich eingetragenen Zahlentabellen.
Grundlage der kleinen Ausstellung bilden die Geschäftsunterlagen der Weßlinger Kunst- und Verlagsanstalt Krause, Grämer & Co. Sie hatte ihren Firmensitz von 1922 an in der Hauptstraße 3 bis 5. In dem Verlag wurden Trauerkarten und Devotionalienbilder, die Heilige oder Bibelszenen abbildeten, hergestellt und vertrieben. Ein altes Reißbrett mit Anschlagwinkel, Reißbrettstifte - viele der Geräte, die damals zum Alltag eines Verlages gehörten, gibt es heute nicht mehr. Und auch die Ellenbogenschoner haben in unserer Wegwerfkultur ihre Berechtigung verloren.
Die ausgestellten Musterbücher, Druckbögen und Kundenkarteien stammen aus den Sechziger- bis Siebzigerjahren. Die kleinen Bildchen kann man nach heutigen Maßstäben als kitschig bezeichnen. Man sieht darauf beispielsweise ein blondgelocktes Kind mit Heiligenschein, das brav die Hände zum Gebet gefaltet hat und gen Himmel blickt. Auf anderen, die wohl zur ersten Kommunion ausgeteilt wurden, sieht man wahlweise ein Mädchen oder einen Jungen, die mit artig gefalteten Händen vor dem Altar die Hostie von Jesus entgegennehmen. Zwei Putten blicken vom oberen Bildrand herab. Unzählige weitere Motive mit der Dreifaltigkeit, der Heiligen Familie, Bibelgeschichten und verschiedenen Heiligen rundeten das Verlags-Angebot ab.
Der Karteikasten mit hunderten Adressen zeigt, dass Kunden der Kunst- und Verlagsanstalt von Afrika bis Vietnam beliefert wurden. Madagaskar, Angola, Trinidad, Ceylon (das heutige Sri Lanka), selbst in die entlegensten Winkel der Welt wurden die Bilder geschickt und natürlich in europäische Länder, in den Vatikan und in den Klosterladen von Kloster Andechs.
Beim Umzug nach Gauting geht das Inventar ans Weßlinger Gemeindearchiv
1991 hatte sich der Verleger Carl Grämer aus dem Unternehmen zurückgezogen und es verpachtet. 2008 übersiedelte die Firma nach Gauting. Margarita Grämer übergab das alte Inventar an das Gemeindearchiv in Weßling. Bis Ende vergangenen Jahres befand sich die Einrichtungsfirma Hofart in dem ehemaligen Verlagshaus. In den kommenden Jahren sollen auf dem Gelände Wohnungen entstehen.
Für die älteren Besucher der Gemeindeausstellung ist der Anblick der schwarzen und weißen Tischtelefone mit der Wählscheibe ein Wiedersehen aus der Kindheit. Bis Ende der Sechzigerjahre waren die "Tischfernsprecher W 48" im Bakelit-Gehäuse wahlweise in Schwarz oder elfenbeinfarben erhältlich.
Taschenrechner waren noch nicht auf dem Markt. Aber es gab Rechenmaschinen. Rüba hat einen "Arithometer" aus dem Jahr 1935 aufgetrieben. 1873 war diese "Ergänzungs- und Subtraktionsmaschine", erfunden worden. "Sie ermöglicht es Ihnen, schnell mit einer beweglichen Ergebnisplatte zu multiplizieren und zu teilen", wurde dafür geworben. Beliebt war auch ein anderes Ausstellungsstück: die mehr als fünf Kilogramm schwere Schubert-Rechenmaschine. Und bei der Zweispezies-Zahnstangenmaschine aus den Sechzigerjahren mit dem klangvollen Namen "Precisa" gab es Modelle mit automatischer Multiplikation und mit Division.
Die Schreibarbeiten mussten damals mit höchster Konzentration bewältigt werden. Es gab keine Löschtaste oder gar copy and paste. "Unvergessen ist mir die schwere unhandliche Sparschrift-Schreibmaschine auf der ich zahllose Listen und Tabellen auf DIN A3 Transparentpapier als Vorlage für das Lichtpausenverfahren geschrieben habe", erzählt Rüba. Ausgestellt ist eine "Torpedo" aus dem Jahr 1928. Die Schreibmaschine hat noch keinen Hebel, um das Papier zur nächsten Zeile zu bringen. Im dazugehörigen Koffer klebt ein Aufkleber: "Warnung! Niemals Umschalttaste niederdrücken, bevor Wagensperrhebel auf der linken Seite hochgestellt ist, da sonst Mechanismus der Maschine notleidet."
Tippfehler waren fatal. Wenn man Glück hatte, konnte man mit einer Rasierklinge vorsichtig den falschen Buchstaben und die Zahl wegkratzen, erinnert sich Rüba. Entstand dadurch ein Loch im Papier, musste alles neu geschrieben oder das Loch aufwendig repariert werden. "Bei Fehlern in Briefen musste in der Regel die ganze Seite nochmals abgetippt werden". Und da es damals auf der Büroetage keinen Kopierer gab, wurden Kopien mittels Durchschlag- oder Blaupapier erstellt.
Die Ausstellung "Das analoge Büro" in der Gemeindegalerie Weßling, Hauptstraße 57, ist bis zum 28. April, jeweils freitags und sonntags von 14 bis 17 Uhr geöffnet.