Partizipation:"Viele sehen uns bloß als Störenfriede"

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Seit Anfang Februar gibt es einen neuen Tutzinger Jugendbeirat um den Vorsitzenden Paul Friedrich (2.v.r.). Es fehlen Juliana von Brühl-Störlein und Johanna Fischer. (Foto: Ludwig Horn/Jugendbeirat Tutzing)

Tutzing hat nicht nur einen neuen jungen Bürgermeister, sondern auch einen neuen Jugendbeirat. Was sich die Mitglieder für den Ort wünschen und wo sie sich Unterstützung von den Älteren wünschen.

Protokolle: Von Viktoria Spinrad, Tutzing

Die Einwohner in Tutzing sind mit einem Durchschnittsalter von 47,3 Jahren relativ alt (Bayern: 43,3). Entsprechend haben vor allem Jüngere das Gefühl: Hier haben die Alten das Sagen. Der Jugendbeirat soll ein Instrument sein, junge Menschen politisch zu beteiligen. Ein Partizipationsexperiment, das nach zwei Jahren langsam zur Institution wird im Ort.

Ein Zebrastreifen wurde saniert, in der Dreifachturnhalle finden sich nun Hygienespender für Periodenprodukte, an der Brahmspromenade kann Müll getrennt werden, in den meisten Parkanlagen stehen Pfandringe an den Mülltonnen bereit - soweit die ersten kleinen Erfolge.

Nun sind fünf neue Mitglieder dazugekommen. Wieso sie sich engagieren wollen, wie sie sich das Miteinander vorstellen - und was sich ihrer Meinung nach ändern müsste im gediegenen Tutzing.

Lukas Dreher, 21, Schreiner

Lukas Dreher verzweifelt am Tutzinger Wohnungsmarkt. (Foto: privat)

"Als Schreiner bin ich über meine knapp 2000 Euro netto eigentlich ganz froh. Aber für eine WG in Tutzing wird es da schon sehr eng. Obwohl ich seit 17 Jahren in Tutzing wohne, ist es für mich fast unmöglich, von zu Hause auszuziehen. 2600 Euro kalt für eine Dreizimmerwohnung, wer soll das denn zahlen? Wir brauchen unbedingt mehr bezahlbaren Wohnraum für junge Menschen.

Viele Ältere leben derweil auf relativ viel Platz. Das Verhältnis zwischen den Generationen könnte schon besser sein in Tutzing. Viele über 50 sehen uns junge Menschen ja bloß als Störenfriede, die zu viel Lärm machen und Dreck hinterlassen. Als ich letztes Jahr mit Freunden beim Weinfest Nachtwache gehalten habe, hat eine ältere Anwohnerin schon vorab angekündigt, die Polizei zu rufen - nur, weil wir etwas Musik auf einem kleinen Lautsprecher anhatten. Manche wollen sich offensichtlich einfach nur beschweren.

Ja, der ein oder andere Jugendliche trinkt vielleicht auch mal zu viel. Aber im Großen und Ganzen beißen wir nicht und sind auch sonst keine bösen Menschen. Lasst uns halt mal ein bisserl feiern! Wir sind die letzten, mit denen man nicht reden kann. Wenn ich den Zwiespalt zwischen den Altersgruppen etwas verkleinern kann, wäre das für mich ein Erfolg. Ich hab' nämlich langsam keine Lust mehr auf die Polizei. Derweil wohne ich erstmal weiter zu Hause."

Yannick Schoening, 16, Gymnasium Tutzing

Ein Jugendzentrum? Bräuchte Yannick Schoening persönlich gar nicht. (Foto: privat)

"Politik tangiert fast jeden, deswegen lohnt es sich, die Zusammenhänge zu verstehen. Mein Interesse hat sich bei der Ideenwerkstatt "Zehn für Zukunft" noch verstärkt. Was steht in den AfD-Wahlprogrammen? Wie kann man mit dem Rechtsruck in Europa umgehen? Welche Sanktionsmechanismen hat die EU? Mit solchen großen Fragen haben wir uns beschäftigt.

Da bietet die "kleine" Tutzinger Gemeindepolitik einen vergleichsweise niedrigschwelligen Einstieg in die Politik. Mich interessiert, was im Ort passiert und wie er sich entwickelt. Oft heißt es ja, es gäbe hier viel zu wenig für junge Leute. Ich finde, der Tutzinger Jugend geht es nicht schlecht. Mit dem See haben wir ja schon so etwas wie unseren eigenen Jugendraum, zumindest im Sommer. Ich persönlich bräuchte gar kein Jugendzentrum. Für viele andere wäre es aber sicher eine Bereicherung.

Mir gefällt das Gefühl, bei solchen Fragen ab sofort mitgestalten zu können und ein Teil davon zu sein, wenn sich etwas rührt."

Auf Initiative des Tutzinger Jugendbeirats gibt es in der Würmseehalle nun einen Spender für Tampons und Binden... (Foto: Viktoria Spinrad)
...sowie Pfandringe in verschiedenen Parks, so wie hier im Kustermannpark. (Foto: Paul Friedrich)

Johanna Fischer, 16, Gymnasium Tutzing

Johanna Fischer findet: Jugendliche brauchen auch ihre Freiheiten. (Foto: privat)

"Erst war ich mir nicht sicher, ob ich mich für den Jugendbeirat bewerben soll. Radlfreizeit, Tutorin, Konfirmationsleitung in der evangelischen Jugend - ich bin ohnehin schon recht aktiv. Dann dachte ich, es ist bestimmt eine gute Möglichkeit, sich im Ort einzubringen.

Wie wichtig das ist, hat ja auch der Tutzinger Bürgermeisterwahlkampf gezeigt. Der war sehr interessant. Beide Kandidaten waren wirklich bemüht. In einer Gemeinderatssitzung war ich noch nie. Aber jetzt könnte ich mir schon vorstellen, mal hinzugehen. Die Räte dort wissen ja auch, dass wir uns schon lange einen Jugendraum wünschen. Ein solcher wäre auch wichtig. Abgesehen vom Zuhause und den gelegentlichen Veranstaltungen der Landjugend hat man ja im Winter sonst keine Möglichkeit, zusammenzukommen.

Auch ein Grillplatz wäre schön. Vielleicht ginge ja etwas im Kustermannpark. Dort stören wir ja auch niemanden. Jugendliche brauchen etwas, wo sie feiern und Spaß haben können. Sie brauchen auch ihre Freiheiten. Am Ende geht es um die Gemeinschaft."

Joel Hafner, 16, Schüler

Joel Hafner wünscht sich mehr Input zu Künstlicher Intelligenz in der Schule. (Foto: privat)

"Im Gymnasium haben wir ständig Wasserlecks, W-LAN gibt es nur in der Hälfte der Schule, und im Keller häuft sich die Technik aus den Sechzigerjahren. Eine Sanierung ist wirklich überfällig. Dass das alles nicht so einfach ist, weiß ich - schließlich liegt die Zuständigkeit beim Landkreis, und für die Bildungspolitik beim Freistaat.

Trotzdem ließe sich ja vielleicht das ein oder andere anschieben. Wir jungen Menschen brauchen mehr Wissen über Digitalisierung und Künstliche Intelligenz. Jetzt müssen es sich alle selber beibringen - aber so lernt man ja nicht, wie man Fragen stellt. Vielleicht könnte man mal einen Experten von außen reinholen.

Gleichzeitig muss die Gemeinde nachhaltiger werden. Eigentlich müssten sich noch viel mehr Tutzinger Solaranlagen auf's Dach montieren. Aber die Menschen dafür zu motivieren, ist gar nicht so einfach. Meine Familie überlegt es gerade auch - aber der Aufwand ist ziemlich groß. Auch Seewärme wäre ja eine mögliche Energiequelle. Ich finde: Man muss es zumindest versuchen."

Regelmäßig trifft sich der Tutzinger Jugendbeirat in der Rathaustenne, um seine Themen zu besprechen. (Foto: Viktoria Spinrad)

Tobias Hartmann, 16, Schüler

Tobias Hartmann fährt gerne Fahrrad, weniger gerne allerdings auf der Tutzinger Hauptstraße. (Foto: privat)

"Als ich klein war, haben mir meine Eltern verboten, mit dem Fahrrad durch die Hauptstraße zu fahren - es war schlichtweg zu gefährlich. Heute bin ich sehr viel mit dem Fahrrad im Ort unterwegs. Dass es seit der Sanierung nun auch Fahrradschutzstreifen auf der Hauptstraße gibt, finde ich super.

Trotzdem weiche ich meist auf weniger befahrene Wege aus. Auf der Hauptstraße zu fahren, macht einfach keinen Spaß. Da gibt es angenehmere Wege. Immerhin, die neuen Abtrennungen sind zumindest etwas. Es freut mich, dass das Bewusstsein da ist. Vielleicht kann der Jugendbeirat ja auch etwas zur Fahrradfreundlichkeit in Tutzing beitragen.

Für Politik interessiere ich mich schon lange. Letztes Jahr bin ich deshalb zur Bürgerversammlung gegangen. Unter anderem ging es um den Klimaschutz im Ort. Da ist mir klar geworden, wie schwierig es ist, hier auf lokaler Ebene aktiv zu werden, zumal die Mittel von Tutzing begrenzt sind. Dennoch ist es wichtig, dass hier etwas vorangeht, wenn auch in kleinen Schritten. Der Klimawandel ist eines der drängendsten Themen unserer Zukunft.

Den großen Wurf werden wir hier wohl auch im Jugendbeirat nicht schaffen. Aber es ist wichtig, dass es ihn gibt - den Jugendlichen wird oft nicht genug Gehör geschenkt. Und wer weiß, gerade im Kleinen kann man ja viel bewegen. Das zeigt auch das neue Beachvolleyballfeld im Kustermannpark. Im Sommer kommen hier junge Leute ganz zufällig zusammen und spielen gemeinsam. Das Projekt ist wirklich angekommen bei der Jugend."

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