Tutzinger Sparhaushalt:Wenn das Polster immer dünner wird

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Das einst provisorische Dixiklo im Kustermannpark ist gekommen, um zu bleiben. (Foto: Nila Thiel)

Tutzing steht finanziell so schlecht da wie seit Jahrzehnten nicht mehr. Für viele Projekte reicht das Geld nicht. Wo mehr Einnahmen herkommen sollen, da ist man sich uneinig.

Von Viktoria Spinrad, Tutzing

Etwas schief neigt sich das Dixiklo unter den Tannen. Es ist weiß-blau wie der bayerische Patriotismus, aber viel Stolz strahlt es nicht aus. Nur eine Eisenkette am Baum hält die Toilette in Position. "Toi, toi", scheint die Erleichterungsstätte wie in Selbstmotivation zu rufen.

Seit 2019 steht die mobile Toilette am Wegesrand im Tutzinger Kustermannpark. Ein in die Jahre gekommenes Provisorium. Dabei hatten sie hier im Ort schon einen Plan: ein barrierefreies Klohäuschen mit Holzverschalung, begrüntem Flachdach und elektronischer Verriegelungsanlage. 140 000 Euro waren dafür mal veranschlagt. Doch es kam, wie es im finanzschwachen Tutzing so oft kommt: Das Projekt flog von der Investitionsliste.

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In diesem Jahr müssen sich Freunde der gehobenen Erleichterung abermals gedulden. Auch heuer reicht das Geld nicht für eine ordentliche Toilette im Kustermannpark. Wie mehr als die Hälfte angedachter Investitionen fiel sie dem Rotstift zum Opfer. Genau wie zugige Fenster im Rathaus, das zu eng gewordene Feuerwehrhaus und die schmale Bahnunterführung in der Heinrich-Vogl-Straße. Alles Projekte, die die Gemeinderäte notgedrungen zurück in den Investitionsstau einreihten.

Gleich dreimal hatten diese in den vergangenen Wochen über dem neuesten Zahlenwerk gebrütet. Ein Kunststück in einer Gemeinde wie Tutzing, in der der Preis eigentlich notwendiger Sanierungen zuverlässig mehr steigt als die Einnahmen. Der Umstand, dass Kommunen sich vor allem über die Abgaben örtlich ansässiger Firmen finanzieren müssen, er scheint nicht gerade gemacht für diesen Ort im Sandwich von See und Naturschutzgebieten. Zumal nicht in Zeiten, in denen Großprojekte wie die Hauptstraßensanierung einen erheblichen Teil der Einnahmen auffressen.

Gestrichen: Im Rathaus wird's erstmal weiter durch die alten Fenster ziehen. (Foto: Nila Thiel)
Verschoben: Im Feuerwehrhaus wird es erstmal weiter eng bleiben. (Foto: Nila Thiel)
Vertagt: Die über 100 000 Euro teure Sanierung der Bahnunterführung in der Heinrich-Vogl-Straße war eigentlich schon fertig. Doch auch sie wurde zurückgestellt. "Dabei hatten wir schon eine tolle Planung", sagt Bürgermeister Horn. (Foto: Nila Thiel)

Von einem "absoluten Sparhaushalt" sprach Bürgermeiste r Ludwig Horn (CSU) denn auch in der Gemeinderatssitzung am Dienstag. In der überboten sich die Räte mit negativen Superlativen. Wolfgang Behrens-Ramberg (Tutzinger Liste) redete von einem "Kraftakt", Thomas von Mitschke-Collande (CSU) sagte: "Wir leben seit fünf, sechs Jahren von der Substanz." Etwas zurückhaltender umriss die Kämmerin das Finanzdilemma. "Die Aussichten sind nicht rosig", sagte Manuela Goldate. In den vergangenen Wochen und Monaten hatte sie eigenhändig stolze 378 Seiten mit unzähligen Einzelpositionen zusammengetragen.

Wühlt man sich durch das Zahlenwerk, dann sieht es tatsächlich nicht rosig aus. Die Rücklagen schmelzen von knapp zehn Millionen Euro im Jahr 2020 auf 4,4 Millionen ab. 2025 bleibt dann laut der Prognosen nur noch ein dünnes Polster von gerade mal 1,3 Millionen. Weniger hatte die Gemeinde zuletzt vor 28 Jahren auf der hohen Kante (1996: 800 000 Euro). Derweil steigen die Tutzinger Schulden, die in den letzten Jahren immer weiter gesunken waren, voraussichtlich auf einen Höchststand (2024: 1,2 Millionen Euro, 2025: 3,5 Millionen Euro).

Doch wiegen die vielen kostspieligen Investitionen, um die man in Tutzing nicht herumkommt, eben noch schwerer. Allein für die neuen Wasserleitungen an der Hauptstraße werden heuer 700 000 Euro fällig, 600 000 Euro für die Beseitigung eines Wasserschadens in der Würmseehalle, über 600 000 für die Sanierung der Mittelschule - und über zwei Millionen für die Erneuerung der Hauptstraße. "Schon sehr stark" sei das für eine Kommune wie Tutzing, sagte Horn. Immerhin: Öffentliche Einrichtungen wie Musikschule, Bücherei oder die Vereine konnten vom Rotstift verschont bleiben - sie bekommen zwar nicht mehr, aber auch nicht weniger Zuwendungen.

An der Bahnhofstraße wird sehnsüchtig das neue "Leonardo Royal Hotel Tutzing" erwartet. Doch noch herrscht hier Brache. (Foto: Nila Thiel)

Nur wenige Meter entfernt vom Rathaus wird die Mittelschule dieser Tage unter lautem Baggergetöse auseinandergenommen. Es staubt, quietscht, ächzt. Die Finanzierung der Kernsanierung ist das Damoklesschwert, das über allem hängt. Etwa zwölf Millionen wird für die Gemeinde in den nächsten Jahren fällig. Die große Frage ist nur, wo sie das Geld dafür hernehmen soll. Eine Idee gibt es bereits: Demnach würde man aus dem Grundstück der Kustermannvilla ein Stück herausschneiden und verkaufen. Ein heikles Unterfangen, gibt es doch diverse Auflagen. Das Grundstück solle der Öffentlichkeit zugutekommen, lautet eine davon. Wie sich das mit einem Teilverkauf vereinbaren ließe, ist offen.

Zugleich steht Tutzing unter Zugzwang, mehr Geld in seine Kasse zu spülen. Im vergangenen Herbst hat die 10 000-Einwohner-Gemeinde ihre Steuer auf Zweitwohnsitze von zwölf auf den Höchstsatz von 20 Prozent angehoben. Ein anderer möglicher Hebel wäre die Gewerbesteuer. Die liegt seit 31 Jahren bei 300 Prozent - und damit etwas unter dem Landkreisschnitt von 314 Prozent. In der Kreisstadt Starnberg haben sie die Steuer kürzlich von 330 auf 38o Prozent angehoben. Ein Vorbild für Tutzing?

Sehr wohl, wenn es nach den Grünen geht. Mit seinen 300 Prozentpunkten sei Tutzing "Niedrigsteuergebiet", monierte Bernd Pfitzner bei seiner Haushaltsrede. Er betonte, dass Gewerbesteuer ja Unternehmen zahlen, die Gewinne machen - und, dass diese zugleich von der Anbindung profitieren, die vom Landkreis gezahlt wird. "Da sollte man vielleicht mehr von abschöpfen", sagte er. Doch in Tutzing ist die Sorge groß, Unternehmen zu verprellen zu einem Zeitpunkt, in dem man für den Standort kräftig werben möchte. "Die Steuerhöhe ist eben ein Signal", sagt Bürgermeister Horn.

Längst nicht alle Büroräume sind im Ort belegt

Im Wahlkampf hatte er mit einer Art Silicon Valley in Tutzing geworben. Sein Plan: Unternehmen aktiv ansprechen und nach Tutzing lotsen. "Stilles Gewerbe" ist hier stets sein Stichwort. IT-Unternehmen etwa, die statt großen Industrieplätzen nur Büroräume benötigen. Von denen sind in Tutzing längst nicht alle belegt, im Leerstand sieht auch der Bürgermeister noch Potenzial."Wir müssen diese Flächen besser nutzen", sagt er.

Dass Projekte wie eine ordentliche Toilette im Kustermannpark auf Eis gelegt werden mussten, findet auch er nicht erfreulich. Aber es sei eben nicht absolut notwendig. Und so wird das Dixiklo wohl noch ein paar Jahre unter Tannen an der Eisenkette hängen, wie zum Beweis dafür, dass man in Tutzing eben etwas kreativ sein muss mit den Bedürfnissen.

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