Roboterliebe:Streichle mich, dann quietsche ich

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Was macht ein weißes Sattelrobbenbaby am Starnberger See? Sie arbeitet: Paro, die kleine Robbe, ist ein Roboter und soll in drei Tagespflegeinrichtungen und zwei ambulant betreuten Wohngemeinschaften der Ambulanten Krankenpflege in Tutzing bei der Pflege und Betreuung helfen. (Foto: Evangelische Akademie Tutzing/oh)

Unter dem Motto "Drum prüfe, wer sich technisch bindet" befasst sich die Evangelische Akademie Tutzing mit den Segnungen sozialer Robotik und emotionaler künstlicher Intelligenz im therapeutischen Einsatz.

Von Patrizia Steipe, Tutzing

Große Kulleraugen mit langen Wimpern, kuscheliges weißes Fell und vergnügte Quietschlaute - an Niedlichkeitsfaktor ist die Plüschrobbe kaum zu übertreffen. Dabei ist "Paro" kein gewöhnliches Kuscheltier. Es handelt sich um einen Roboter, der für den therapeutischen Einsatz für Menschen mit Demenz oder anderen neurologischen Erkrankungen gedacht ist. Seit fünf Jahren ist die Robo-Robbe im Einsatz in drei Tagespflegeeinrichtungen und zwei ambulant betreuten Wohngemeinschaften, die die Ambulante Krankenpflege in Tutzing unterhält. "Sie ist aber auf keinen Fall eine Entlastung in der Pflege, sondern ein Hilfsmittel, mit dem man unruhige und fahrige Menschen ganz traumhaft beruhigen kann", erklärt Armin Heil, Geschäftsführer und Pflegedienstleiter.

Seine Kunden müssen von Freitag bis Sonntag, 28. bis 30. Oktober, auf ihr Streichelobjekt allerdings verzichten. Grund: Heil und Annemarie Ludwig, Leiterin der Tagespflege in Starnberg, stellen ihre Arbeit mit Paro in der Evangelischen Akademie Tutzing vor. "Roboterliebe! Drum prüfe, wer sich technisch bindet", heißt das Thema der Tagung, die die Akademie gemeinsam mit dem Deutschen Museum München organisiert. Studienleiter Hendrik Meyer-Magister wird in der Wochenendveranstaltung einen Einblick in den Umgang mit sogenannter sozialer Robotik und emotionaler künstlicher Intelligenz geben.

"Paro", die 60 Zentimeter lange Robo-Robbe mit Sensoren und Künstlicher Intelligenz, reagiert auf Ansprache und Berührungen

Von den positiven Effekten wie der gefühlsregulierenden Wirkung, die von der Kuschelrobbe ausgeht, ist Heil überzeugt. Zwar bekämen die Pflegebedürftigen von ihr keine menschliche, aber viel emotionale Wärme. Die etwa 60 Zentimeter lange Robbe ist mit moderner Sensorik und Künstlicher Intelligenz ausgestattet. Sie reagiert auf Ansprache und Berührungen. Wird sie gestreichelt, gibt sie vergnügte Quietschgeräusche von sich, sie kann sich bewegen, die Augen genüsslich schließen, wenn sie gestreichelt wird, sie richtet den Kopf auf, wenn sie angesprochen wird und ihr Fell fühlt sich richtig weich an.

Robo-Robbe "Paro" ist mit moderner Sensorik und Künstlicher Intelligenz ausgestattet: Sie reagiert auf Ansprache und Berührungen, gibt Laute von sich - und lädt zum Kuscheln ein. (Foto: Evangelische Akademie Tutzing/oh)

Es sei erstaunlich, wie schnell und positiv auch aggressive und unwillige Patienten von Paro in eine andere Stimmungslage gebracht werden können, hat Heil beobachtet. Demente Menschen, die anderen gegenüber ablehnend reagieren, sind mit dem Plüschtier oft sehr liebevoll. "Paro bereitet den Menschen Freude. Sie mögen sie", hat Heil festgestellt.

Dabei betont er, dass er keineswegs ein Freund von Robotern sei. Es gibt bereits Pflegeroboter, die bei der Pflege entlasten sollen. Sie können auf Befehl Getränke bringen oder Tabletten reichen. "Da bin ich extrem kritisch", versichert Heil. Seit 40 Jahren ist er in der Pflege tätig, täglich macht er etwa zehn Hausbesuche. Dabei hat er so viele unterschiedliche Menschen und Situationen kennengelernt. Diese Interaktion könne nicht durch einen Roboter ersetzt werden. "Jeder Mensch ist ein Individuum, und jeder Mensch braucht eine individuelle Pflege", weiß Heil. Man müsse auf Nuancen reagieren, auf wechselnde Stimmungen und Anforderungen - und es sei auch nicht auszudenken, was passieren könnte, falls ein Roboter einmal nicht funktioniert.

Im operativen Alltagsgeschäft kann der Pflegenotstand nicht mit Technik bewältigt werden - das wäre der falsche Weg

Für Heil wäre es der falsche Weg, den Pflegenotstand mit Technik bewältigen zu wollen. "Für das operative Alltagsgeschäft ist das nicht geeignet", so Heil, der aber zugibt, noch keinen Pflegeroboter im Einsatz erlebt zu haben. In der technikaffinen und sehr überalterten Gesellschaft in Japan sind sie längst im Einsatz, in Deutschland haben Roboter einen schlechten Leumund und werden Großteils abgelehnt. "Für mich ist das kalte Materie, da fehlt mir die menschliche Wärme", sagt auch Heil. Science-Fiction-Filme, in denen die künstlichen Helfer plötzlich ein Eigenleben entwickeln und sich gegen ihre Eigentümer wenden, tragen zu der kritischen Einstellung bei.

Auch bei der Robo-Robbe gibt es immer wieder kritische Stimmen, die es ablehnen, dass dementen Menschen mit einer künstlichen Robbe, die wie "echt" erscheint, etwas vorgegaukelt werde. Das sieht Heil anders. "Wir nehmen alle Menschen ernst", versichert er. Den Menschen werde nicht suggeriert, dass das Plüschtier echt sei. Sie ersetzt auch keine persönliche Zuwendung, sondern wird oft von Pflegekräften als Hilfsmittel genutzt, um durch das Plüschtier eine Beziehung aufzubauen. Eine alte Dame hat beispielsweise das Ritual, dass sie als erstes, wenn sie aufgeregt und unruhig in der Früh in die Tagespflege kommt, sich mit der Robbe auf einen Sessel setzt und diese zur Beruhigung streichelt.

Bei der Tagung geht es aber nicht allein um Kuschelroboter in der Pflege: Längst kann man sich mit Apps auch auf dem Smartphone unterhalten. Dahinter stehen komplexe Algorithmen, die in ihren Antworten auch Gefühle, Anteilnahme und echte Freundschaft vortäuschen.

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