Tauchen im Starnberger See:Tödliches Tauchrevier

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Die Allmanshauser Steilwand am Starnberger See ist eines der faszinierendsten Tauchreviere Bayerns - und eines der tödlichsten.

Peter Haacke

Unterhalb der Seeburg - ein düsteres Gemäuer, in dem das Missionswerk "Wort des Lebens" residiert - geht es nur wenige Meter vom Ufer entfernt steil bis auf 80 Meter Tiefe hinab: Dunkel ist es da unten, und sehr kalt. Die meisten "normalen" Badegäste meiden die Stelle unter den hohen Bäumen genau auf der Grenze zwischen den Landkreisen Starnberg und Wolfratshausen.

Ein Tauch-Verbotsschild auf dem Erholungsgelände Allmannshausen See am Starnberger See. (Foto: STA)

Doch eine besondere Spezies findet hier ihre Erfüllung: die Taucher. Es gibt senkrechte oder überhängende Bereiche, kleine Terrassen und Felsvorsprünge. Die Steilwand von Allmannshausen - von den Sportlern kurz "die Kante" genannt - ist neben dem Walchensee eines der faszinierendsten und bestbesuchten Tauchreviere Süddeutschlands - und eines der tödlichsten: Seit 1994 ereigneten sich im Bereich der Steilwand elf tödliche Tauchunfälle.

Mehr als 40 Zwischenfälle mit teils schweren Verletzungen sind dokumentiert, der letzte erst im Dezember 2009: Eine dreiköpfige Gruppe aus Franken musste notgedrungen aus einer Tiefe von 60 Metern aufsteigen, weil die Luftgemischzufuhr eines Tauchgeräts vereist war. Der Zwischenfall blieb für die Beteiligten zum Glück ohne Folgen, sie kamen mit dem Schrecken davon. Doch nicht immer geht es so gut aus. Im März 2007 starb der vorerst letzte Sporttaucher an der Wand: Ein Tauchlehrer war mit vier Mann hinabgestiegen, beim Auftauchen aber fehlte ein 46-Jähriger. Seine Leiche wurde erst sieben Tage später auf Höhe der Seeburg in 67 Metern Tiefe entdeckt.

Nur wenige kennen sich in den Tiefen des Starnberger Sees an der Allmannshauser "Kante" besser aus als Jürgen Börroth aus Polling: Der Gründer und Leiter der Tauchakademie Bayern hat jahrzehntelange Erfahrung mit mehreren tausend Tauchgängen in heimischen Gewässern und anderen Revieren der Erde gesammelt. "Leichtsinn, Selbstüberschätzung und schlecht gewartete Ausrüstung", weiß Börroth, sind die häufigsten Ursachen für Unfälle. Und er schüttelt den Kopf angesichts der Unverdrossenheit mancher Kollegen, die - entgegen allen Vorschriften - allein in Tiefen von 90 Metern und mehr tauchen. "Ein einziger Fehler da unten", sagt Börroth, "kann der letzte gewesen sein".

Am Landratsamt Starnberg registrierte man die drastische Zunahme tödlicher Tauchunfälle an der Allmannshauser Steilwand mit wachsendem Unbehagen. 2008 entschloss man sich schließlich - in Zusammenarbeit mit dem Bayerischen Landestauchsportverband (BLTV) und der Starnberger Polizei - eine verbindliche Allgemeinverfügung für das Sporttauchen mit Atemgerät am Starnberger See zu veröffentlichen. Demnach dürfen Taucher mit Pressluftflaschen - die weitaus meisten Sportler - nicht tiefer als 40 Meter hinab.

Größere Tiefen bleiben den "Teccis", also Berufstauchern und Spezialisten mit Mischgasen und entsprechender Ausrüstung, vorbehalten. "Allein sollte man ohnehin nie tauchen", betont Dieter Popel, Präsident des BLTV. Wer sich nicht dran hält, muss mit drastischen Ordnungsstrafen in Höhe bis zu 50000 Euro rechnen. Auch für die Ausbildung gibt es strenge Vorschriften: Das Verhältnis von Tauchlehrer und Anfängern muss 1:1 betragen, Sicherheit hat absolute Priorität. "Diese Standards haben doch viele abgeschreckt", sagt Popel. Tauchen ist eine technisch äußerst komplexe Sportart, bei der viele Umstände genauestens zu beachten sind. Für Abenteuer und dubiose Experimente unter Wasser ist kein Platz.

Die Vorschriften finden bei den meisten Vereinen Anklang. Insgesamt 112 organisierte Taucherclubs mit insgesamt rund 10.500 Mitgliedern gibt es unter dem Dach des Bayerischen Fachverbands. "In einem Verein des Verbands Deutscher Sporttaucher ist man grundsätzlich gut aufgehoben", sagt Popel, der ebenso wie Börroth nicht müde wird, die Wichtigkeit einer soliden Ausbildung zu betonen. Erschwerend für Einsteiger ist aber die verwirrende internationale Vielzahl der Verbände. In Deutschland wird grundsätzlich nach dem europäischen Ausbildungsstandard (CMAS) ausgebildet.

"Wer auf den Malediven, in der Karibik oder im Roten Meer das Tauchen gelernt hat", sagt Börroth, "ist in einem Binnensee möglicherweise hoffnungslos überfordert". 40 Meter Tiefe im warmen, lichtdurchfluteten Meer entsprechen 20 Meter im Starnberger See in Dunkelheit und Kälte, Die Temperaturen bleiben auch im Winter relativ konstant bei vier Grad Celsius. Hinzu kommt eine psychische Komponente: Manch' einer gerät in der Dunkelheit oder aufwirbelndem Sediment in Panik - und hat dann richtig Probleme, denn im Freiwasser fehlt jegliche Orientierung. Und wenn der Nebenmann, der "Buddy", nicht mehr zu sehen ist, erhöhen sich schlagartig Atem- und Pulsfrequenz.

Auch der so genannte Tiefenrausch, der schon in vergleichsweise geringer Tiefe von 20 Metern einsetzen kann und vor dem auch erfahrene Taucher nicht gefeit sind, kann dramatische Momente heraufbeschwören: Je nach individueller Verfassung kann es zu euphorischen Momenten, aber auch zu Panikattacken kommen. Das Beherrschen der Tauchersprache mit Fingerzeichen oder Taschenlampe allein gewährt keine Sicherheit. "Da muss man auch schon mal genau in die Augen des Tauchpartners schauen", sagt Börroth. Wer fit ist, hat ein geringeres Risiko als jemand, der am Abend zuvor eine rauschende Party gefeiert hat oder von Sorgen gequält wird.

Grundsätzlich gilt: Tauchen ist riskant, passieren kann immer was. Ein zu schneller Notaufstieg ohne Dekompressionsstopps endet im harmlosesten Fall mit "Taucherflöhen" aufgrund zu viel gebundenen Gases in Gewebe und Gelenken. Im ungünstigeren mit einem Aufenthalt in der Dekompressionskammer in München oder Murnau. Oder im Sarg.

Andreas Ruch, stellvertretender Leiter der Polizeiinspektion Starnberg, weiß von wenigstens von sieben Leichen im Starnberger See, die bisher nicht gefunden werden konnten. Darunter sind auch zwei Taucher. Andere Quellen berichten gar von bis zu 28 Vermissten. Rauch kennt auch Geschichten aus älteren Zeiten, "aber da wird's dann unseriös mit den Zahlen." Unter Umständen aber kann man unter Wasser im bis zu 127 Meter tiefen See durchaus makabre Entdeckungen machen von Menschen, die schon seit Jahren vermisst wurden.

Zumeist aber gibt es weitaus weniger gruselige, aber nicht minder überraschende Dinge zu entdecken. Lino von Gartzen ist BRK-Rettungstaucher, Unterwasserarchäologe und Tauchlehrer, und er hat schon vieles im See gefunden, das dort nicht hingehört. Insgesamt sechs Flugzeuge wurden seit Ende des Zweiten Weltkriegs geborgen, zuletzt 1983 eine Arado 66: Der einmotorige Schuldoppeldecker für die Pilotenausbildung der deutschen Luftwaffe war zufällig auf der Suche nach einem versunkenen Drachen-Boot entdeckt worden.

Ruder-, Segel- und Motorboote, die meisten in der Seemitte, sind noch unten. Sogar ein Gespann, das einst mit Bierfässern beladen im Eis einbrach, soll vor Tutzing auf dem Grund ruhen, und in der Nähe von Possenhofen liegt ein Pferdeschlitten. 2008 erst entdeckte von Gartzen am Ostufer einen Torpedo der Kriegsmarine, Typ "T5 Zaunkönig", mit scharfem Gefechtskopf, der schließlich gesprengt wurde. Häufig finden sich historische Bierflaschen, die "Amphoren Bayerns": Stumme Zeugen ausschweifender Bootspartys mit unbedachter Müllentsorgung.

An der Allmannshauser Wand indes pflegen die Taucher ihren ganz eigenen Humor: Da ist zum Beispiel die Sitzbank, auf der man den "Ausblick" über dem Abgrund genießen kann. Oder eine Toilettenschüssel, die freilich ebenso niemand nutzt wie die Badewanne, einen Spiegel oder das Telefon. Nützlich scheint - neben anderen Verkehrsschildern - das Stop-Zeichen auf 40 Meter Tiefe zu sein: Hier ist die vorgeschriebene Grenze für Presslufttaucher. Und es gibt auch Nachdenkliches, wie die Gedenkstätten an jene Kameraden, die an der "Kante" ihr Leben ließen. Im Internet kursiert ein vielgeklicktes Amateurvideo mit dem einprägsamen Namen "Die toten Taucher im Starnberger See".

Für Polizei und Wasserwacht sind die Vorschriften am Starnberger See ein Segen. "Früher war's viel schlimmer", sagt Ruch. Mittlerweile aber habe der Tauchtourismus spürbar abgenommen, die Beamten kontrollieren zumeist nur die Zufahrtsberechtigung der herumstehenden Autos. BLTV-Präsident Popel und Akademie-Leiter Börroth indes setzen weiter auf konsequente Schulung und Aufklärung. Die gemeinsamen Anstrengungen haben sich gelohnt: Seit drei Jahren hat es keinen tödlichen Unfall mehr an der Allmannshauser Wand gegeben.

© SZ vom 17.07.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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