SZ-Adventskalender:Zwei Schicksale, ein Wunsch

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Ein einstiger Orthopädieschuhmacher und ein früherer Bäcker sind nach Firmenpleite und Krankheit in der Gemeinschaftsunterkunft in Starnberg gelandet. Beide hoffen, dass sie endlich wieder eine eigene Wohnung finden

Von Blanche Mamer, Starnberg

Kommen gut miteinander aus: Dirk Steiner und Max Maler (Namen geändert) unterwegs in Starnberg. (Foto: Franz Xaver Fuchs)

Sie verstehen sich gut, und das ist ein Glück. Dirk Steiner und Max Maler (beide Namen geändert) haben ihre Wohnungen verloren und leben nun zu zweit in einem städtischen Container an der Petersbrunner Straße in Starnberg. Sie haben derzeit jeder ein eigenes Zimmer, sie teilen sich Bad, Küche und Gemeinschaftsraum. Sie waren auch schon mal zu dritt und zu viert in dem Container, doch das ging nie gut.

Bis zu acht Menschen könnten notfalls in einer solchen Behelfsunterkunft untergebracht werden, hat ihnen Thomas Regler vom Starnberger Ordnungsamt gesagt. Eine Horrorvorstellung für die beiden Männer, die hoffen, bald wieder eine eigene Wohnung zu finden. Es ist ihr sehnlichster Wunsch zu Weihnachten, dass es damit 2021 klappen möge.

Beide Männer haben eine ordentliche Ausbildung und waren gute Handwerker. Bis ihnen Pleite und Krankheit dazwischengekommen sind und ihnen Wohnung und Perspektive geraubt haben. Dirk Steiner ist an diesem Freitag 51 Jahre alt geworden. Er stammt aus Mecklenburg-Vorpommern, ist Ortopädieschuhmacher und 1992 nach einer Anwerbeaktion durch das Land Bayern nach Bayern gekommen. Voller Hoffnung und Tatendrang.

(Foto: SZ Grafik)

Er machte sich im Landkreis Starnberg selbständig, hatte ein paar gute Jahre, viel Arbeit und Anerkennung. Wann der Abstieg begann, kann er nicht mehr genau sagen. "Es kam einiges zusammen. Die Vorgaben der Krankenkassen waren inzwischen geändert worden. Ich musste für jede Anfertigung oder Reparatur einen Kostenvoranschlag einreichen. Das war so viel Papierkram und Zeit, und am Schluss ging der Auftrag dann doch an einen anderen." Steiner sagt, er habe gemerkt, dass die Geschäfte nicht mehr gut liefen.

Doch: "Anstatt mir gleich Rat zu holen, habe ich zugewartet. Die Pleite war nicht mehr zu verhindern. Dann konnte ich die Miete nicht mehr zahlen und habe ich mich mit meinem Vermieter, einem Bekannten, gestritten. Ich war so blöd, ich dachte, in drei Monaten finde ich leicht eine neue Wohnung. War aber nicht so. Und so saß ich auf der Straße."

Steiner hat lange in Seefeld gelebt, zuletzt in einem baufälligen Haus, wie er sagt. Vor zwei Jahren sei er dann nach Starnberg überwiesen worden, in die Containersiedlung, in der auch Flüchtlinge leben.

Doch noch etwas habe seine Lage nicht eben verbessert, erzählt er freimütig. Als es seinem Betrieb schlecht und schlechter ging, habe er angefangen zu spielen, zuerst habe er die Automaten nur mit Münzen gefüttert, dann mit Euro-Scheinen.

"Statt die Notbremse zu ziehen, hab ich diesen Shit gemacht. Ich bin selbst schuld, und das macht mich so wütend", sagt er. Er sei von der Spielsucht runter, er sei wirklich froh, dass er das geschafft habe. Er glaube jedoch einfach nicht mehr daran, in Bayern Arbeit in seinem Beruf zu bekommen. Er wisse, dass in anderen Bundesländern, in Schleswig-Holstein beispielsweise, Orthopädieschuhmacher gesucht würden. Er habe beim Jobcenter um Hilfe bei einer Bewerbung und einem eventuellen Umzug nachgefragt, doch er sei auf Granit gestoßen.

Auch mit dem Wunsch, zu Weihnachten seine alten Eltern in der alten Heimat zu besuchen, habe er kein Glück gehabt. Ein Reisezuschuss sei ihm verweigert worden, sagt er und kann seinen Frust nur schwer unterdrücken. Ihm sei gesagt worden,seine Eltern müssten für ihn aufkommen. Sie sind Kleinrentner, Geld von ihnen will er auf keinen Fall.

Steiner erzählt, dass er sich in seiner alten Gemeinde als Babysitter eines kleinen Mädchens engagiert habe. Jetzt passe er auf deren kleine Tochter auf. "Sie ist wie eine Ziehtochter für mich, für die Kleine bin ich Opaersatz." Wegen der Besuchsvorschriften könne er sie über Weihnachten wohl nicht sehen. Heißt, dass er wohl allein feiern wird, denn sein Kumpel Max will bei seiner Familie sein. Neben dem großen Wunsch nach eigenen vier Wänden hat Steiner ganz bescheidene Anliegen. Ein Radio wäre schön, ein Wasserkocher auch, sagt er. Und dann hätte er noch gerne einen Wischmopp, damit er nicht mehr auf den Knieen herumrutschen müsse, um den Boden zu wischen.

Max Maler, 59, ist froh, dass er seine erwachsenen Söhne mit ihren Familien in der Nähe hat. Und dass sie sich kümmern. Er lebt seit September 2016 an der Petersbrunner Straße, hat viele Mitbewohner kommen und gehen gesehen, etliche wurden von der Polizei abgeholt, sagt er. Jetzt, allein mit Dirk, das sei O.K. Maler, ein gebürtiger Münchner, hat in Leutstetten gelebt, bis er seine Wohnung verlor. Er hatte Bäcker und Konditor gelernt und auch lange in seinem Beruf gearbeitet. Bis er wegen einer Mehlallergie an Asthma erkrankte und die Arbeit aufgeben musste. Er hat dann für eine Münchner Firma Essen ausgefahren, hat Kindergärten und Schulen beliefert. Doch dann wurde die Firma an "einen Großen" verkauft, wie er sagt, und er selbst wurde nicht mehr gebraucht. Und damit war sein sozialer Abstieg endgültig besiegelt.

"Mit Corona ging es dann wirklich bergab. Mit Flaschensammeln hatte ich meine Ressourcen von 160 Euro aufgebessert. Doch jetzt findet man kein Leergut mehr. Mein Sohn kümmert sich nun darum, dass ich wenigstens Grundsicherung bekomme. Mir geht es auch psychisch nicht so gut, ich kann jedoch nicht zum Arzt gehen, weil ich seit drei Jahren nicht mehr krankenversichert bin." Die Söhne und die Schwiegertöchter helfen, wo sie können, der Sohn sei jetzt auch an der Krankenversicherung dran. Maler erwähnt, dass er schon lange geschieden ist. "16 Jahre, nein, es sind schon 18 Jahre. Die Buben sind bei mir geblieben, mit ihrer Mutter habe ich keinen Kontakt."

Er versteht nicht, dass viele der Flüchtlinge, die in der Unterkunft gewohnt haben, mittlerweile Wohnungen bekommen haben, er aber nicht. Das klingt mehr resigniert als aufgebracht. Er findet es jedenfalls sehr ungerecht, dass in Bayern geborene Menschen das Nachsehen hätten. Er tue alles, um ordentlich und adrett auszusehen. "Ich passe auf mich auf." Mit der Wäsche fährt er regelmäßig in einen Waschsalon in Gauting, anschließend besucht er die Söhne, die mit ihren Familien im Würmtal wohnen.

Wünsche? Endlich wieder eine eigene Wohnung, meint er. Und dass es ihm gesundheitlich und psychisch besser gehe. Er gönne sich nichts, er habe genug zu essen und ein Dach überm Kopf. Wichtig sei ihm, immer genug Geld zu haben, um die S-Bahn-Fahrkarte bezahlen zu können, damit er, wann immer er will, die Kinder besuchen kann.

© SZ vom 22.12.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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