SZ-Adventskalender:Wenn das Atmen zur Mühsal wird

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60-jähriger Gautinger ist chronisch krank und auf das Auto angewiesen. Das steht nun in der Werkstatt, und die Reparatur kann er nicht zahlen

Von Carolin Fries, Gauting

Wie gerne würde Knut Theilig wieder arbeiten gehen. Doch dem 60-Jährigen fehlt die Kraft. Der Frührentner erlitt vor drei Jahren einen Herzinfarkt, damals haben die Ärzte auch die chronische Lungenerkrankung COPD diagnostiziert. Theilig hat jahrzehntelang in einem Chemiebetrieb gearbeitet, jetzt sitzt er zuhause und löst Sudoku-Rätsel, wenn ihm langweilig ist. Oder er bastelt Modellsätze aus Holz zusammen - "das liebe ich", sagt er und lächelt verschmitzt. Auf dem Fensterbrett stehen drei verschieden große Pyramiden, sein ganzer Stolz. "Ich strenge mich an, wieder fitter zu werden, aber die Puste reicht gerade für die paar Stufen zur Wohnung."

Jahrzehntelang hat Knut Theilig in einem Chemiebetrieb gearbeitet, jetzt ist er schwer krank. Und für eine Autoreparatur fehlt das Geld. (Foto: Arlet Ulfers)

Glücklicherweise wohnt Knut Theilig im Erdgeschoss. Wenn er einkaufen muss, zum Arzt oder in die Lungenklinik, ist er auf das Auto angewiesen. Den Buchendorfer Berg in Gauting zu seiner kleinen Sozialwohnung kann er nicht mehr gehen, schon gar nicht mit Gepäck. "Das Atmen kostet mich so viel Energie, dass nichts mehr für was anderes übrig bleibt." Er fasst sich an die Rippen und sieht seinen schmalen Körper hinunter: 51 Kilogramm. Dabei isst er jeden Tag extra kalorienreich plus eine Tafel Schokolade. Neben seinem Bett steht ein Sauerstoffgerät, nachts setzt er die Maske auf, um gefährliche Atemaussetzer auszugleichen. Auch tagsüber benutzt er das Gerät hin und wieder, wenn er das Gefühl hat, schlecht Luft zu bekommen. Zusätzlich muss der 60-Jährige zahlreiche Tabletten nehmen und Spritzen wegen seines Morbus Bechterew, einer rheumatischen Erkrankung, die ihm arge Rückenschmerzen beschert. Die vergangenen Sommer hat er als Schulweghelfer in Gauting gearbeitet und damit seine geringe Erwerbsunfähigkeitsrente aufgebessert. Das vergangene Jahr ließ seine körperliche Verfassung das nicht zu, doch im kommenden Jahr will er wieder loslegen. "Das Rumsitzen ist auch nichts."

Manchmal fragt sich Knut Theilig, was er falsch gemacht hat im Leben. Viel fällt ihm nicht ein. Gut, er hat immer geraucht und kommt bis heute nicht von den Zigaretten los. Doch sonst? In Zwickau geboren träumt er davon, Hochseefischer zu werden. Doch wegen Fluchtgedanken wird er nach einem Jahr Ausbildung entlassen. Er lernt das Bäckerhandwerk, mit 21 Jahren setzt er seinen Traum von der Freiheit in die Tat um und flüchtet zu Fuß nach Tschechien. Er wird erwischt und muss für eineinhalb Jahre ins Gefängnis. In Augsburg startet er nach seiner Freilassung einen Neuanfang als Montagearbeiter. Als er im Jahr 2000 im Urlaub in Tunesien seine große Liebe kennenlernt, scheint das Glück perfekt zu sein. Knut Theilig heiratet und wird Vater zweier Kinder, vor elf Jahren zog die Familie nach Gauting.

Dass er nun ganz alleine in seiner kleinen Wohnung am Esstisch sitzt, liegt auch daran, dass er eines Tages mit dem Trinken begann. "Es war wohl der Stress", sagt er. Drei Jahre suchte er Zuflucht im Alkohol, dann wurde ihm klar, dass es so nicht weitergehen kann. Hilfe fand er bei Condrobs, die Suchtberatung unterstützt ihn bis heute. Auch wenn er viel alleine ist: Seine Kinder besuchen ihn regelmäßig. Er ist stolz darauf, wie vernünftig und selbständig diese ihr Leben gestalten. Umso unangenehmer ist es ihm, dass er ihnen nicht unter die Arme greifen kann. "Zu Weihnachten werde ich wohl wieder mit leeren Taschen kommen müssen." Wenn er es denn überhaupt schafft, die Einladung anzunehmen, denn das Auto ist in der Werkstatt. Die angekündigte Rechnung bereitet ihm Kopfzerbrechen, denn er weiß: Auch wenn er seinen Körper trainiert, sich viel bewegt und gut isst - ohne das Auto wird es wohl nicht mehr gehen.

© SZ vom 23.12.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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