SZ-Adventskalender:Umzug mit 50 Schmuse-Füchsen

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Mit seinen Füchsen fühlt sich der 20-jährige Michael wohl, aber er braucht rund um die Uhr eine Betreuung. (Foto: Georgine Treybal)

Ursula M. und ihr 20-jähriger Sohn müssen ihr Zuhause in Krailling verlassen. Um sich neu einzurichten, fehlt aber das Geld

Von Carolin Fries, Krailling

Einmal waren sie schon dort und haben die neuen Räume begutachtet. Im leeren Wohnzimmer saß ein Fuchs-Kuscheltier, das Mutter Ursula M. dort vorsorglich platziert hatte. "Wenn sich hier ein Fuchs wohlfühlt, dann muss es ein guter Platz sein", sagte sie damals zu ihrem Sohn Michael. Und der war der gleichen Meinung. Denn wenn der geistig behinderte 20-Jährige etwas uneingeschränkt liebt, dann sind das Schmuse-Füchse. Mindestens 50 hat er in seinem Zimmer versammelt, von jedem kennt er den Namen. In wenigen Wochen wird die alleinerziehende Mutter sie alle in eine Kiste stecken und mit ihnen und ihrem Sohn umziehen in eine Wohnung des Verbands Wohnen. Ein Mammutprojekt, in jederlei Hinsicht.

Seit 19 Jahren lebt die Familie in einem Reihenhaus in Krailling. Zu fünft waren sie eingezogen, inzwischen sind sowohl der Vater als auch die beiden großen Geschwister von Michael ausgezogen. Mutter Ursula kämpft sich seither mit ihrem Sohn alleine durch. Er benötigt rund um die Uhr eine Betreuung. Wenn er einen epileptischen Anfall hat, kippt er einfach um. Michael hat jeden Tag solche Anfälle, weshalb man ihn nicht aus den Augen lassen kann. "Er ist wie ein Magnet", sagt Mutter Ursula.

Gewöhnlich wird Michael morgens um sieben Uhr mit dem Bus abgeholt, um zu den IWL-Werkstätten nach Machtlfing zu fahren, einer Einrichtung für Menschen mit einer geistigen oder mehrfachen Behinderung oder einer psychischen Erkrankung. Michael ist nicht in der Lage, in einer der Werkstätten zu arbeiten, er wird dort aber in einer festen Tagesstruktur betreut. Ursula M. arbeitet an drei Tagen in der Woche als Schulsozialarbeiterin, erledigt den Haushalt und den Papierkram, nachmittags um halb fünf kommt Michael heim. Die Lieblingsfrage des 20-Jährigen lautet: "Was jetzt?" Die beiden gehen dann spazieren, bei Regen spielen sie im Wohnzimmer Memory oder Puzzle. Momentan hat er zwei Wochen Ferien, was für ihn vor allem eines bedeutet, ausschlafen zu dürfen. Bis mittags liegt er dann oft im Bett, er genießt den Garten und immer wieder mal einen Ausflug - auch wenn das für für seine Mutter Ursula M. stets ein Kraftakt ist. Sie hat kaum Freizeit, ist immer müde. Um in Ruhe zu lesen oder wichtige Dinge zu erledigen, steht sie morgens um fünf Uhr auf.

Vermutlich wären die beiden nie aus dem Reihenhaus ausgezogen, denn hier fühlen sie sich wohl und sicher. Doch bereits vor einigen Jahren hatte die Vermieterin vage die Möglichkeit des Eigenbedarfs angekündigt, weshalb sich Ursula M. auf die Warteliste für die neuen Wohnungen in der Kraillinger Ortsmitte setzen ließ. Sie hatte gar nicht damit gerechnet, dass es tatsächlich klappt. Nun heißt es Abschied nehmen.

Zunächst aber vor allem: entrümpeln. Ursula M. muss das Reihenhaus komplett leer räumen und die neue Wohnung einrichten. Dabei stößt die 57-Jährige psychisch und physisch an ihre Grenzen. Hinzu kommen die finanziellen Herausforderungen. Mit ihrem Verdienst, dem Pflegegeld und dem Unterhalt kommt Ursula M. gerade so über die Runden, zur Seite legen aber kann sie kaum etwas. Woher also das Geld nehmen für die neue Küchenzeile und das Wohnzimmerregal? Die Küchenzeile im Reihenhaus ist mehr als 30 Jahre alt und teilweise nicht mehr voll funktionstüchtig. Wenn möglich, würde Ursula M. Möbel aus den Behinderten-Werkstätten in Machtlfing kaufen, Michael bekommt als Betreuter einen Mitarbeiterrabatt. Hier könnte der Adventskalender für gute Werke der Süddeutschen Zeitung helfen. Zudem braucht Michael einen neuen Kleiderschrank, denn die Einbauschränke bleiben im Reihenhaus.

Ende September bereits will Ursula M. mit ihrem Sohn Michael das neue Zuhause beziehen. Bis dahin ist aber noch viel zu tun. Anstatt wie sonst im Sommer im Kinderhospiz im Allgäu ein paar Tage Urlaub zu machen, gilt es nun, den Umzug vorzubereiten und gleichzeitig Michael zu betreuen. Solange sie ihn noch hat, will sie für ihn da sein.

© SZ vom 19.08.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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