SZ-Adventskalender:Senioren mit Suchtproblem

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Renate Jakobs (Mitte) leitet die "Mittendrin"-Gruppe. (Foto: Georgine Treybal)

Condrobs-Gruppe will ohne Tabletten und Alkohol auskommen

Von Carolin Fries, Starnberg

Karin S. ( Namen von der Redaktion geändert) sagt, es falle ihr immer noch schwer, den Alltag ohne Alkohol und Tabletten zu schaffen. Dabei muss die 65-Jährige als Rentnerin nicht mehr arbeiten, die vier Kinder sind längst aus dem Haus, den wohl anstrengendsten Lebensabschnitt hat sie gemeistert. Karin S. kämpft jetzt nicht mehr mit dem Haushalt und Terminen, sondern gegen die Einsamkeit. "Das habe ich anders nicht gepackt." Eineinhalb Jahre ist die Starnbergerin jetzt schon abstinent - mit Hilfe der Suchtberatungsstelle Condrobs, die vor viereinhalb Jahren eine eigene Gruppe für Senioren mit Suchtproblemen eingerichtet hat.

"Der Bedarf war einfach da", sagt Einrichtungsleiter Matthias Taube. Die Zahl der Klienten in der Beratung sowie in der Nachsorge, die 50 Jahre oder älter sind, nehme seit Jahren stetig zu. Im oberbayerischen Schnitt waren es 2012 vier Prozent, die abhängig waren; aktuellere Zahlen gibt es nicht. Im Landkreis Starnberg sind es laut Taube zwischen sechs und acht Prozent - was auch daran liegt, dass hier überdurchschnittlich viele Senioren leben. In der Praxis habe sich gezeigt, dass die Bedürfnisse der älteren Klienten sich kaum mit denen jüngerer Menschen decken. Weil die Themen anders gewichtet sind. Da gehe es viel um Trauer, um die Bewältigung der eigenen Biografie, Verluste, körperliche Gebrechen oder eine Neuorientierung nach dem Wegfall der beruflichen Identifikation.

Themen, die Gruppenleiterin Renate Jakobs aus ihrem eigenen Leben kennt: Die 69 Jahre alte Diplompädagogin hat das Konzept für die Gruppe "Mittendrin" geschrieben, als sie selbst in den Ruhestand ging. Seither trifft sie sich alle 14 Tage donnerstags ganz unverbindlich für drei Stunden mit Klienten, die den Willen haben, ein suchtmittelfreies Leben zu führen. 16 Personen zwischen 50 und 81 Jahren nehmen über das Jahr verteilt teil, darunter eine stabile Gruppe von acht Klienten - und Jakobs Hund "Mio". Eine klare Altersgrenze nach unten gibt es nicht, denn: "Entscheidend ist die Phase des Umbruchs im Leben", sagt Taube. Die Condrobs-Gruppe ist das einzige Angebot dieser Art im Landkreis. Eine Pauschalfinanzierung gibt es allerdings nicht, weshalb Condrobs auf Unterstützung angewiesen ist und sich an den Adventskalender der Süddeutschen Zeitung gewandt hat.

Die Zeit in der Gruppe ist zweigeteilt. Erst ist Gelegenheit, sich auszusprechen und für therapeutische Übungen, etwa zur Entspannung. Abends, wenn sie nicht einschlafen könne und der Kopf bereits nach den Schlaftabletten schreie, würden ihr diese sehr helfen, sagt Karin S.. Melanie B., 56, helfen vor allem die Gespräche, "dass ich hier alles offen auf den Tisch legen kann". Die Gautingerin pflegt ihren schwerkranken Mann, hat kaum soziale Kontakte. "Hier kann ich auch mal lachen", sagt sie. Oder sich mit ihrem Talent präsentieren. Den zweiten Teil des Nachmittags gestalten die Mitglieder selbst mit praktischen Angeboten. Mal kochen sie gemeinsam, spielen Gesellschaftsspiele, jemand stellt ein Buch vor oder sich falten zusammen Papierschachteln. "Wir waren auch schon im Museum", sagt die 81 Jahre alte Gertrud, die von der ersten Stunde dabei ist. Die Rentnerin war 20 Jahre lang trocken, dann starb ihre Katze. Sie schätze an der Gruppe vor allem, dass nicht moralisiert und bewertet wird, sondern unterstützend gearbeitet wird.

Das von Condrobs ausgegebene Ziel ist "eine zufriedene Abstinenz", wie Taube es formuliert. Sonja R. nennt die Gruppe ihren "Anker": Die 74-Jährige hat mit dem Trinken begonnen, als sie herausfand, dass ihr Mann sie mit ihrer Freundin betrog. Seit eineinhalb Jahren ist sie trocken. "Wir helfen uns hier gegenseitig", sagt sie. Wenn sie sich einsam fühle oder aber das Gefühl habe, einem Rückfall nahe zu sein, "dann kann ich diesen Koffer aufmachen". Denn längst sind viele der Teilnehmer auch privat vernetzt, telefonieren oder besuchen zusammen Konzerte. Auch Renate Jakobs ist für die Klienten außerhalb der Gruppenstunden erreichbar. Sie ist unglaublich stolz darauf, dass diese ihr Leben ohne Suchtmittel so gut meistern. "So können sie ein Stück mehr Glück erleben."

Die Condrobs-Suchtberatungsstelle in der Starnberger Hauptstraße 22 ist telefonisch unter 08151-9596310 zu erreichen.

© SZ vom 30.03.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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