SZ-Adventskalender:"Ich möchte abwechseln und variieren"

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Der Liedermacher Stefan Noelle lässt sich mit seinem Mix aus Pop, Folklore und Swing stilistisch in keine Schublade stecken. Am Dienstag gibt der 54-Jährige ein Benefizkonzert für den SZ-Adventskalender

Interview von Gerhard Summer, Gauting

Der Liedermacher Stefan Noelle gibt am Dienstag ein Benefizkonzert für den Adventskalender der SZ. Der stilistisch breit aufgestellte Musiker spielt deutschsprachige, oft vom Alltag handelnde Lieder "in einer atemlosen Zeit". Der gebürtige Hagener ist in Westfalen aufgewachsen, mit zwölf Jahren nach München gekommen und in Pasing auf die Schule gegangen. Mit seinem Duo "Unsere Lieblinge" gastierte er mehrmals im Bosco, auch bei der Gautinger Reihe der "Hausbesetzungen" wirkte er mit. Noelle, 54, lebt mit Frau und zwei Kindern in München.

SZ: Es ist relativ selten, dass sich ein Schlagzeuger auf Gitarre und Gesang besinnt. Wie ist das bei Ihnen gekommen?

Stefan Noelle: Gitarre war mein erstes Instrument als Kind. Ich hatte schon als Dreijähriger die Sehnsucht, Schlagzeug zu spielen, aber das ging nicht aus bestimmten Gründen.

Warum?

Zu laut, kein Platz, zu teuer. Deshalb habe ich mit acht Jahren angefangen, klassische Gitarre zu lernen. Ich hab das Ganze dann nach zweieinhalb Jahren wieder sein lassen, weil es mir keinen Spaß mehr gemacht hat. Man muss sich vorstellen, dass ich in den zweieinhalb Jahren keinen einzigen Akkord gelernt habe.

Die Stücke von Carcassi und Sor haben Ihnen also keinen Spaß gemacht? Ich hatte Gruppenunterricht mit fünf anderen zusammen, ich war der Kleinste und hatte die kleinsten Hände, das war ein Problem. In der Pubertät habe ich aber wieder angefangen zu spielen, diesmal mit Songbooks. Ich hab' damals auch schon gesungen. Ich bin halt mit den Beatles, mit Cat Stevens und Simon & Garfunkel aufgewachsen und hab' die Songs gespielt. Als ich mir später das Schlagzeug erobert habe, hab' ich die Gitarre aber sicherlich zwei Jahrzehnte nicht angeschaut. Jenseits der Mitte 40 ist mir dann klar geworden: Du wolltest immer selber schreiben und hast es nie gemacht, jetzt reiß' dich mal zusammen, du willst nicht Mitte 60 sein und feststellen, dass du das nicht hinbekommen hast. Deshalb bin ich immer brav ins Vereinsheim zu Hannes Ringelstetter gegangen, in die Mixed-Show, und hab' Sachen ausprobiert. Das hat immer sehr gut funktioniert. Was sehr ermutigend war. Jetzt habe ich in den vergangenen sechs Jahren ungefähr 60 Lieder geschrieben - und bin froh über diese Entwicklung. Das ist noch einmal eine andere Facette von mir.

In welcher Tradition sehen Sie sich als Liedermacher? Und gibt es Vorbilder?

Ein spezielles Vorbild gibt es nicht. Ich bin mit der Musik der Siebzigerjahre aufgewachsen; dazu rechne ich aber alles, was ich damals gehört habe, auch die ZDF-Hitparade mit deutschen Schlagern, auch Liedermacher wie Reinhard Mey und Ulrich Roski. Weil ich mich aber früh auch für Jazz interessiert habe und mein Vater ein passionierter Klassikhörer war, ist mein Spektrum an Musik, die ich im Kopf habe, sehr weit. Als professioneller Schlagzeuger habe ich sehr viel Jazz gespielt, deshalb weiß ich halt auch harmonisch ein bisschen mehr als Leute, die nur drei Akkorde auf der Gitarre spielen können.

Vor allem rhythmisch müssten Sie im Vorteil sein.

Ja, aber auch von den Harmonien her. Sagen wir so: Mein einfachstes Lied hat zwei verschiedene Akkorde, mein komplexestes hat 17.

Wobei die Zahl der Akkorde nichts sagt.

Die sagt nichts, aber das ist sozusagen die Weite von dem, was ich mache; das steht dafür, dass ich versuche, stilistisch variabel zu sein. Ein Song kann funky sein, ein anderer eher poppig, ein dritter ein mediterraner Walzer. Ich möchte dem Publikum nicht immer wieder das gleiche Lied vorsetzen, ich möchte abwechseln und variieren. Dabei stehe ich eher in der europäischen Tradition, in der Tradition der Franzosen und Italiener, durchaus auch der deutschen Liedermacher. Zeitungskritiker haben schon geschrieben: Ja, das sei so ein bisschen im Stil von Reinhard Mey oder Konstantin Wecker, obwohl das nie genau zutrifft. Natürlich kenne ich Bob Dylan, Johnny Cash und Towns van Zandt, natürlich beeinflusst mich das auch irgendwie. Aber ich bin kein Country-Blueser. Was nicht heißt, dass dieses Element nicht auch mal auftaucht.

Um was geht es in Ihren Liedern?

Viele Texte drehen sich um alltägliche Momentaufnahmen. Ich hab' ein Herbstlied, das war schon 1986 in meinem Kopf, da war ich 21 und stand in der Morgendämmerung auf dem Weg zu einem Job auf der Donnersberger Brücke in der Inversionslage - ein wunderbarer goldener Herbst. Ich hab' mir immer gedacht, da müsstest du ein Lied drüber schreiben. Mit 47 habe ich es dann gemacht. Es gibt natürlich auch mal ein Liebeslied, es gibt Sachen, die haben Humor, etwa ein Song darüber, wie ich mein eigenes Spiegelbild anschaue, feststelle, dass die Haare auf dem Kopf doch sehr spärlich sind und mich an einen Satz meines Vaters erinnere, der da heißt: "Die Summe aller Haare ist konstant". Andererseits bin ich kein Musikkabarettist, ich möchte gern auch ernst sein können. Und ich bin ein Liebhaber der deutschen Sprache. Mir ist Poesie ungeheuer wichtig.

Sie sind aber auch kein politischer Liedermacher.

Ich werde das gerade etwas mehr. Ich bin mit sehr vielen Kolleginnen und Kollegen der deutschen Szene gut vernetzt, und ich bekomme die Diskussion mit, ob wir alle uns mehr äußern sollten, so wie das für Konstantin Wecker ganz normal ist. Von mir gibt es mittlerweile auch ein dezidiert politisches Lied, "Muss ich jetzt was sagen?" Da thematisiere ich genau die Frage.

Für einen politisch denkenden Menschen ist es ja fast ein Muss, sich zum Erstarken der Rechtsradikalen zu äußern und zu dem beängstigenden Nationalismus.

Ja, ich spiele "Muss ich jetzt was sagen?" auch am Dienstag. Es gibt noch einen anderen Song, "Der Spiegel", da erzählt ein Spiegel aus seiner Perspektive die Geschichte seiner Zerstörung, das ist der Badezimmerspiegel von Donald Trump. Nur: Der Name Donald Trump fällt in dem ganzen Stück nicht, ich beschreibe nur, wer dem Spiegel gegenüber steht.

Sie beschreiben, dass die Summe aller Haare ein Eichhörnchen ergibt - die Trump-Frisur?

Nein, das nun nicht.

Können Sie von der Musik leben?

Ja, weil meine Frau auch voll berufstätig ist. Als Alleinverdiener würde ich das in München mit Familie nicht schaffen.

Stefan Noelle und Band treten am 6. November, 19.30 Uhr, im Gautinger Bosco auf. Kartenbestellung: www.bosco-gauting.de.

© SZ vom 03.11.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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