SZ-Adventskalender:Familien ohne Wohnung

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Simone Christenn hat im vergangenen Jahr in Gilching 18 Haushalte beraten

Von Carolin Fries, Gilching/Starnberg

Simone Christenn hat noch nie jemanden weggeschickt. Die 55-jährige Sozialpädagogin kümmert sich um Menschen, die von Obdachlosigkeit bedroht sind oder bereits ihre Wohnung verloren haben und auf der Straße leben. Unterm Strich ist es ein Kampf gegen Goliath, den sie da führt. "Es wird immer schlimmer", sagt sie. Denn Wohnungslosigkeit sei längst in der Mitte der Gesellschaft angekommen. "Ich berate zum Teil Familien, der Vater hat eine Ausbildung und arbeitet als Fachkraft, die Mutter kümmert sich um die Kinder. Wird ihnen die günstige Wohnung gekündigt, haben sie kaum eine Chance, hier zu bleiben."

Seit einem Vierteljahrhundert kümmert sich Simone Christenn um sozial bedürftige Menschen. Der Container nahe des Starnberger Bahnhofs ist eine Wärmestube für Obdachlose. (Foto: Nila Thiel)

Meist werde wegen Eigenbedarf gekündigt, weiß Christenn. "Die Zahlen sind gewaltig explodiert." Nicht immer habe der Eigentümer tatsächlich einen Wohnbedarf, so die Erfahrung der Sozialpädagogin - oft wolle er lediglich die Miete im begehrten Münchner Speckgürtel hochschrauben. So sitzen bei ihr in der Beratungsstelle in Gilching immer mehr Menschen, die als Friseure, Arzthelfer, Erzieher oder Krankenpfleger keine bezahlbare Bleibe mehr finden. "Irgendwo zwischen Weilheim und Schongau finden wir dann was", erzählt Christenn. Wenn das so weitergehe, müssen rund um München wohl irgendwann die Kitas und Altenheime wegen Personalmangels schließen.

Simone Christenn weiß wovon sie spricht. Sie versucht seit 2010 im Auftrag der Gemeinde Gilching Menschen in Notsituationen vor der Wohnungslosigkeit zu bewahren. 2017 hat sie 18 Haushalte beraten, in allen Fällen konnte die Obdachlosigkeit vermieden werden. Wenn sich keine Wohnung finden lässt, kann Christenn auf die Notunterkunft der Gemeinde an der Weßlinger Straße zurückgreifen, hier hat sie auch ihr Büro. Von den 15 Plätzen sind aktuell elf belegt. Christenn hilft den Bewohnern, möglichst schnell wieder eine feste Bleibe zu finden, denn eigentlich soll die Notunterkunft keine Dauerlösung sein. Doch das klappt nicht immer. Von den 23 Personen, die im vergangenen Jahr hier untergekommen sind, sind nur sechs wieder ausgezogen. "Es gibt Menschen, die sind einfach nicht wieder auf dem Wohnungsmarkt vermittelbar", sagt Christenn. Viele seien chronisch krank. Und wenn doch, dann gibt es keine bezahlbaren Wohnungen.

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(Foto: Catherina Hess)

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Im vergangenen Jahr lag die Zahl der Bewerber für geförderte Mietwohnungen bei etwa 950 Haushalten. Sie alle warten darauf, eine der 1872 Sozialwohnungen vermittelt zu bekommen. Doch die Chance ist gering: Nur 88 Wohnungen mit Belegbindung wurden im vergangenen Jahr neu vergeben. Wenn es nach Michael Vossen, Geschäftsführer des Verbands Wohnen in Starnberg ginge, wären es mehr. Der Verband alleine hat 2349 Mietwohnungen in 300 Häusern im Bestand, darunter klassische Sozialwohnungen sowie Wohnraum, der ohne Wohnberechtigungsschein kostengünstig vermietet wird. Der Verband baut beständig weiter, doch: "Man muss sich schon drüber im Klaren sein, dass wir die Wohnungsnot im Landkreis nicht alleine beheben können, sondern allenfalls lindern", sagt Vossen.

Simone Christenn bekommt das täglich zu spüren. Ist sie nicht in ihrem Büro in Gilching, dann sitzt sie in der Nähe des Starnberger Bahnhofs in einem Container, wo sie im Auftrag der Caritas Wohnungslose versorgt und berät. 57 Menschen kamen hier im vergangenen Jahr an, um zu duschen, zu essen, die Wäsche zu waschen, sich aufzuwärmen. Vor allem aber um den Hartz-IV-Tagessatz von 13,63 Euro abzuholen, welchen die Sozialpädagogin auszahlt. Und um mit Christenn zu sprechen, welche an Behörden, Ärzte und Fachdienste vermittelt.

In sieben Fällen fand sie gar eine Unterkunft, für zwei Menschen sogar eine Arbeit. Die Mehrheit der Hilfesuchenden kommt aus dem Landkreis und der Region. Christenn kennt nicht alle Biografien, doch sie weiß: "Viele haben eine traumatische Kindheit erlebt oder nur einen niedrigen Schulabschluss." Sie gibt die Menschen nicht auf: "Es gibt immer einen Weg."

© SZ vom 22.12.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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