SZ-Adventskalender:Ein Laptop für Kontakte im Lockdown

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Die Pandemie bedeutet für Menschen mit geistiger oder psychischer Behinderung in den Einrichtungen der Lebenshilfe Starnberg eine besondere Herausforderung. Mitarbeiter gewährleisten eine Rund-um-die Uhr-Betreuung

Von Jessica Schober, Starnberg

"Die größte Herausforderung ist die Unsicherheit", sagt Christian Münzel, der pädagogischer Leiter der Lebenshilfe Starnberg, wenn er beschreiben soll, wie sich die Corona-Pandemie auf Menschen mit Behinderung auswirkt. "Normalerweise stehen die Bewohner unserer Einrichtungen mitten im Leben: Sie gehen selbständig einkaufen, haben ihre Arbeit, treffen Freunde oder gehen in Sportgruppen. Das war alles von heute auf morgen weg. Das Leben in größtmöglicher Selbstständigkeit und Normalität ist schwer geworden." Geholfen wäre der Lebenshilfe mit besserer technischer Ausstattung, einem größeren Bildschirm und einem Laptop, um für die Menschen mit Behinderung mehr virtuelle Teilhabe zu ermöglichen.

Die Lebenshilfe Starnberg macht erwachsenen Menschen mit geistiger Behinderung in den Wohnheimen Hanfelder Straße, Prinzenweg und Leutstettener Straße Angebote zum selbstbestimmten Leben. Bei großer Selbstständigkeit ist für geistig und psychisch behinderte Menschen auch ein ambulant unterstütztes Wohnen möglich. Zudem gibt es eine Außenwohngruppe in Gauting. Als der erste Lockdown kam, konnten rund 80 Prozent der Bewohner der Einrichtungen plötzlich nicht mehr zu ihrer Arbeit in einer Werkstatt oder Förderstätte fahren. Dadurch waren die Wohneinrichtungen, die sonst von 8 bis 16 Uhr größtenteils leer stehen bis auf einige ältere Bewohner, plötzlich den ganzen Tag über voll. Anders als in den meisten Pflegeheimen leben in den Einrichtungen der Lebenshilfe Menschen aus allen Altersstufen zusammen. Das machte es für ältere Menschen mit Behinderung, die einer Risikogruppe angehören, aber auch gefährlicher. "Wir mussten eine neue Form der Tagesstruktur einführen", erzählt Münzel. "Wir hatten in den Wohneinrichtungen aber erst mal gar nicht genug Personal für eine Rund-um-die-Uhr-Betreuung." Kollegen aus anderen Bereichen der Lebenshilfe - wie den damals geschlossenen Schulen, Kindertagesstätten und Individualbegleitungen - verstärkten die Teams in den Wohneinrichtungen. "Das war ein enormes Hin- und Herschieben von Mitarbeitern und eine große Solidaritätsleistung unter den Kollegen", schwärmt Münzel von den Mitarbeitenden, "Die systemrelevanten Berufe leisten nach wie vor Grandioses." Heute sei er stolz, dass die Lebenshilfe die Zeit ohne Ansteckung unter Bewohnern und Lagerkoller überstanden habe.

Virtuelle Kommunikation mit Angehörigen ermöglichen - das wünschen sich (v.l.) Anton Josep Peter und Alex Schober in der Lebenshilfe Starnberg. Zwischendurch kommunizierte man auch über Balkone im Innenhof. (Foto: Georgine Treybal)

Sehr wichtig war es, in der Zeit des Lockdowns die Kommunikation mit den Angehörigen der Bewohner aufrecht zu erhalten. Im Wohnheim in der Leutstettener Straße, wo die Balkone auf den Innenhof führen, kamen zum Beispiel die Eltern einiger Bewohner auf den Gehweg, um so Kontakt zu halten. Nicht für jeden sei das aber aushaltbar gewesen - sich sehen, ohne sich berühren zu dürfen. Die langfristige Trennung, während in allen Einrichtungen ein Betretungs- und Besuchsverbot galt, sei vor allem für die Angehörigen schwer gewesen, erinnert sich Münzel. In einigen Wohneinrichtungen konnten die Menschen mit Behinderung über Videotelefonate per Skype oder Zoom Kontakt zu ihren Familien halten, "das war immerhin eine kleine Brücke zu den Angehörigen, die wir versucht haben auszubauen." Schwierig ist es auch heute immer wieder, wenn einzelne Bewohner mit Erkältungssymptomen in ihren Zimmern isoliert werden müssen, bis ein negatives Testergebnis vorliegt.

Ein dementer Rentner mit Down-Syndrom wollte in einer solchen Situation partout nicht allein in seinem Zimmer bleiben, erzählt Münzel. Eine Betreuungsperson in Schutzkleidung blieb also durchgängig mit ihm in der Quarantäne im Zimmer und ermöglichte es, etwa über Zoom-Konferenzen in Kontakt mit den anderen Mitgliedern der Wohngruppe in den Nachbarräumen zu bleiben. Besonders frustrierend seien Quarantäneregeln für Einzelne, wenn andere weiter in die Arbeit dürften.

Dank des Angebots der Mitarbeiter der Lebenshilfe ist den Menschen mit Behinderung in den Einrichtungen zumindest nicht langweilig geworden. Die mannshohen, meterlangen Betonwände im Innenhof des Wohnheims in der Leutstettener Straße wurden zum Beispiel von den Bewohnern und einer Betreuerin mit einem Panorama des Starnberger Sees bemalt. Einige Bewohner, die bei der IWL in Machtlfing arbeiten, konnten einen Teil der einfachen handwerklichen Montagearbeiten im Gemeinschaftsraum erledigen. So kam die Arbeit quasi zu ihnen nach Hause. Was auch schmerzlich vermisst wurde waren die regelmäßigen Besuche von Physio- und Ergotherapeuten sowie der Fußpflege.

Durch Corona sei die Teilhabe am gesellschaftlichen Leben auf Null heruntergefahren. "Unsere Bewohner treffen jetzt auf eine veränderte Außenumgebung", sagt Münzel. In dieser kompliziert gewordenen Welt mit Distanzregeln und Maskenpflicht könnten sich Menschen mit geistiger Behinderung weniger selbständig bewegen. Viele von ihnen trauten sich jetzt nicht mehr raus und hätten Angst vor ungeplanten Situationen. "Nur weil die Menschen eine geistige Behinderung haben, heißt das nicht, dass sie die Gefahr durch das Coronavirus nicht erkennen könnten. Unsere Bewohner sind sehr gesundheitsbewusst und befolgen die neuen Regeln erstaunlich gut", sagt Münzel. Momentan müssten die Mitarbeiter aber mehr alltägliche Handlungen für die Menschen mit Behinderung übernehmen, als sie eigentlich wollten. "Corona hemmt das selbständige Handeln", sagt Münzel. "Die Pandemie hat uns in der Inklusion weit zurückgeworfen."

© SZ vom 09.12.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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