Starnberg:Mutige Entscheidung in einer Zeit der Angst

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Elisabeth und Martin Otto haben einen Widerstandskämpfer vor der Gestapo versteckt und bezahlten dafür mit einem Gefängnisaufenhalt. Eine Stele soll künftig an die couragierte Tat der Machtlfinger Familie erinnern

Von Ute Pröttel

Ihre Hochzeitsreise ging ins Konzentrationslager. Elisabeth Otto und ihr Mann Martin waren gerade frisch verheiratet, als der Widerstandskämpfer Albrecht Haushofer nach dem misslungenen Attentat vom 20. Juli 1944 vor den Nazis flüchten musste. Auch Haushofer wurde gesucht, obwohl er nicht direkt daran beteiligt war. Seine Verbindungen in den Widerstand waren zu offensichtlich. Also floh er von Berlin in seine Heimat im Fünfseenland.

Aufgewachsen war Haushofer auf dem Hartschimmelhof zwischen Andechs und Pähl. Doch schnell wird klar, dass er dort nicht bleiben kann. Er schlüpft im Klostergut Kerschlach unter, und als die dortige Priorin den jungen Arzt des Tutzinger Krankenhauses, Martin Otto, bittet, den Widerständler zu verstecken, zögert der tief gläubige Mediziner nicht.

Mit seiner jungen Frau und seinem Vater Franz lebte Dr. Otto in Machtlfing. Beide waren Lehrer und wurden von den Nazis vom Dienst suspendiert. Der Vater Franz Otto musste 1936 seinen Dienst in Schlesien aus politischen Gründen quittieren. In Machtlfing und Andechs war er als Organist tätig. Elisabeth Otto war vor ihrer Hochzeit in München Lehrerin und stand einer katholischen Lehrergruppe nahe. Einmal war sie im Gefolge des Widerstandskämpfer Pater Rupert Mayr in der Stadt festgenommen worden. Zusammen mit ihrem Schwiegervater leitete sie den Kirchenchor in Machtlfing.

Für die Familie Otto war es keine Frage, Haushofer Schutz zu gewähren. Sie versorgten ihn in verschiedenen Verstecken mit Essen und Trinken und gewährten ihm in ihrer Wohnung Unterschlupf. Der Gefahr, der sie sich dadurch aussetzten, waren sie sich bewusst.

Am 18. September 1944 wurden sie entdeckt. Ein SS-Kommando durchkämmte das Dorf, die Gestapo erschien auch bei der Familie Otto. Zwei Stunden konnten sie die Verfolger hinhalten. Das war Zeit genug, dass Haushofer erneut flüchten konnte. Doch alle drei Ottos wurden verhaftet und in das Gefängnis nach Weilheim gebracht. Von dort wurde Martin Otto nach Dachau ins KZ überstellt, Elisabeth Otto kam in das Gefängnis der Gestapo nach München.

Die Machtlfinger Familie Otto. (Foto: privat)

"Ihr starker Glaube hat ihnen geholfen diese schreckliche Zeit zu überstehen," erzählt Tochter Gabriele Gentner. "Meine Mutter hat später nicht gerne davon gesprochen," erinnert sie sich. "Aber sie hat erzählt, dass die Gestapo ihre Todeskandidaten kurz vor der Hinrichtung immer zu ihr in die Zelle verlegt hätten, weil sie soviel betete". Im November 1944 wurde das Gefängnis wegen eines Bombeneinschlag geräumt, Elisabeth Otto musste aber zu Aufräumungsarbeiten bleiben. In einer eidesstattlichen Erklärung zu ihrer Verhaftung beschreibt sie die Zustände: "Ich hatte mehrere Wochen keine Fenster in der Zelle. Sie wurde, da ja auch keine Heizung funktionierte, so feucht, dass das Wasser an den Wänden stand." Im April 1945 kommt sie frei. Bereits im Gefängnis erleidet sie eine Gallenblasenentzündung, die ein Jahr später operiert werden muss und liegt 1946 mehrere Wochen mit Herzinsuffizienz im Tutzinger Krankenhaus.

Der Arzt Martin Otto kommt in den letzten Kriegstagen frei. Zu dem Zeitpunkt ist er auf 40 Kilogramm abgemagert und schwer erkrankt. "Mein Vater hatte alles, was man sich vorstellen kann, Fleckthypus, TBC und mehr", erzählt Gabriele Gentner. Auf einem Leiterwagen wird er von Feldafing nach Hause transportiert. "Ein Jahr lang hat er unsere Mutter nicht erkannt," erzählt Gabriele Gentner weiter, "so schwach und ausgemergelt war er." Aus einem Bericht zu seiner Verhaftung geht hervor, dass Martin Otto in Folge der starken Unterernährung eine schwere Leberentzündung mit starker Gelbsucht durchlitt.

Und doch haben die drei Ottos den Krieg überlebt. Dass die Gemeinde Andechs nun in Machtlfing eine Stele zum Gedenken aufstellt und ihre Eltern dort ausdrücklich erwähnt werden, erfüllt die heute 65-jährige Tochter mit Stolz. Albrecht Haushofer wurde wenige Tage vor dem Ende des Zweiten Weltkrieges von einem Kommando der Gestapo erschossen.

Nach dem Krieg bekam das Ehepaar Otto in den Jahren 1948 bis 1957 fünf Kinder. Gabriele Gentner ist die mittlere Tochter. Dass sie nach den körperlichen Strapazen noch fünf Kinder bekommen haben, bezeichnete ihre Mutter als "ein Wunder über Wunder", berichtet Gentner. Sie beschreibt die Mutter als patente Person, die den Haushalt und die Familie zusammengehalten habe. Mit 60 Jahren kehrte sie sogar zurück in den Schuldienst und blühte dort noch einmal förmlich auf.

An die Machtlfinger Familie Otto erinnert ein Schriftzug, der im Erlinger Atelier von Franziska Ghirardo und Franz Nickel entsteht. Gabriele Gentner (rechts) hat sich mit ihrer Tochter Julia (links) die Arbeit angeschaut. (Foto: Franz Xaver Fuchs)

"Als Kinder wussten wir nur, dass die Eltern und der Großvater jemanden versteckt hatten. Aber je größer wir wurden, desto genauer fragten wir natürlich nach. Unser Vater hat immer sehr offen von seiner Zeit im KZ gesprochen", erzählt sie. Nie larmoyant, sondern immer eher wie eine Abenteuergeschichte. Er war überhaupt sehr gesprächig. Den Wunsch, Internist zu werden, musste er allerdings aufgeben. Zu stark waren die körperlichen Beeinträchtigungen nach der Haft, und so verband er Beruf mit Glauben und nahm die Stelle des Anstaltsarztes in Ursberg im Kreis Günzburg an. Aus dem dortigen Kloster entwickelte sich im vergangenen Jahrhundert eine renommierte Einrichtung zur Betreuung von Menschen mit Behinderung. Heute trägt sie den Namen ihres Gründers Dominikus Ringeisen.

"Meine Eltern waren einerseits streng gläubig, führten aber ein sehr offenes Haus. Auch der Großvater lebte noch bis zu seinem Tod mit 75 Jahren bei uns. Er brachte uns Kindern das Klavierspielen bei", erzählt Gabriele Gentner. Auch der ehemalige Finanzminister Theo Weigel stammt aus Ursberg. "Er ging bei uns ein und aus", erinnert sich Gentner. Den Kontakt nach Tutzing hat sie über ihre Patin Gabrielle Dessauer aufrecht erhalten. Sie war zusammen mit ihrem Vater am Tutzinger Krankenhaus.

Ob es ihren Eltern denn Recht gewesen wäre, namentlich genannt zu werden, vermag sie nur schwer einzuschätzen. "Da waren sie sehr bescheiden", beschreibt Gentner das Ehepaar Otto. Mit ihrem Tun und den Konsequenzen hätten sie nie geprahlt, sondern gesagt: "Das war doch selbstverständlich."

Die Gemeinde Andechs gedenkt ihrer mit einer Stele, die zum Jahrestag ihrer Verhaftung am kommenden Sonntag, 17. September, eingeweiht wird.

© SZ vom 15.09.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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