Nachhaltigkeit:Die Müllabfuhr, die mitdenkt

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Menstruationstassen sind kleine Becher, meist aus medizinischem Silikon, die in der Vagina das Periodenblut auffangen. (Foto: Catherina Hess)

Zuschüsse für Periodenwäsche, Boni bei Reparaturen: Der Abfallentsorger Awista will die Menschen im Landkreis motivieren, Müll zu vermeiden. Dabei macht das Kommunalunternehmen damit gar keinen Gewinn. Was hinter der Neuausrichtung steckt.

Von Carolin Fries, Starnberg

Marina Stöger hatte ihre bislang vielleicht beste Idee im Drogeriemarkt. Zumindest, was ihren Job beim Kommunalunternehmen Awista betrifft, dem Müllentsorger im Landkreis Starnberg. Die 32-Jährige war jedenfalls beim Einkaufen, als sie neben den Regalen mit den Windeln die Packungen mit den Menstruationsartikeln sah: Binden, Tampons, Slipeinlagen. Alles Einwegprodukte, die wie Windeln früher oder später im Müll landen. Warum also nicht die bereits vorhandene finanzielle Bezuschussung von Mehrwegwindeln auf nachhaltige Menstruationsartikel ausweiten? "Das isses!", dachte sich Stöger. Bereits am nächsten Tag stand sie bei der Sachgebietsleitung im Büro.

Im Frühjahr 2021 war das und es dauerte nur wenige Monate, bis die Awista die Idee der Leiterin des Kundenservice umgesetzt hatte. "Wir haben das richtig gut gefunden", sagt Unternehmenssprecher Sebastian Roth. Damals hatte die Awista gerade erst den sogenannten Windelbonus übernommen. Die Bezuschussung von Mehrweg-Wickelsystemen hatte zuvor das Landratsamt auf den Weg gebracht. Das Angebot ließ sich leicht ausdehnen, die Zahlen sprachen ebenso eindeutig dafür: Etwa 14 Prozent des Abfalls im Landkreis sind Hygieneprodukte, wozu auch Menstruationsartikel gehören. "Da gibt es Potenzial", so Stöger, die keine Hemmungen hatte, das Thema anzusprechen. "Frauen beschäftigen sich damit jeden Monat, dann können sich auch Männer damit beschäftigen."

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Wer nun also statt Binden und Tampons Menstruationstassen benutzt, die das Periodenblut auffangen, oder waschbare Binden beziehungsweise entsprechende Unterhosen, bekommt bis zu 50 Euro im Jahr. Kein anderer Abfallentsorger in Deutschland ist so nachhaltig wie die Starnberger Müllabfuhr: "Der Zuschuss ist unseren Wissens bundesweit einzigartig", sagt Landrat Stefan Frey (CSU), der auch Verwaltungsratsvorsitzender der Awista ist.

Das Prozedere des Mehrwegzuschusses für Stoff-Windeln und nachhaltige Menstruationsartikel ist denkbar simpel und ohne viel Bürokratie. Der Antrag auf der Homepage wird ausgefüllt und mit der Rechnung und einem Wohnortnachweis - zum Beispiel einer Kopie des Personalausweises - eingereicht. 20 Prozent des Kaufbetrags werden dann auf das angegebene Konto überwiesen. Auch Verträge mit Windelservices werden unterstützt. Bislang sind bei der Awista 76 Anträge eingegangen, rund 2500 Euro an Zuschüssen wurden bewilligt. Der Anteil für nachhaltige Menstruationsprodukte ist von 24 Prozent in 2021 auf bislang 56 Prozent in 2023 gestiegen.

Marina Stöger hat Geografie und Wirtschaftsingenieurswesen studiert und arbeitet seit fünf Jahren beim Kommunalunternehmen Awista. (Foto: Nila Thiel)
Tampons sind Einwegprodukte und landen im Müll. Wer nachhaltige Menstruationsartikel verwendet und so Abfall vermeidet, wird im Landkreis bezuschusst. (Foto: imago)

Das Kommunalunternehmen hat für seine innovativen Ideen zuletzt mehrfach Auszeichnungen erhalten. Im vergangenen Jahr gab es den Umweltpreis "KUMAS-Leitprojekt 2022" für den Reparaturbonus - ebenfalls ein Angebot zur Müllvermeidung und seit 2022 im Portfolio der Awista. Wer ein haushaltsübliches defektes Elektrogerät fachmännisch reparieren lässt, bekommt ebenfalls 20 Prozent der Kosten (maximal 50 Euro im Jahr) erstattet. Gefördert werden auch gemeinnützige Reparaturbetriebe und -initiativen.

Im ersten Jahr sind 129 Reparaturzuschussanträge von Privatpersonen eingegangen, welche mit etwa 4800 Euro bezuschusst wurden. Auch haben vier Repair-Cafés von der Möglichkeit der Förderung Gebrauch gemacht und insgesamt etwa 3000 Euro erhalten. Gerade bei Elektrogroßgeräten wie Waschmaschinen und Trocknern (28 Prozent der reparierten Geräte), Spülmaschinen (15 Prozent), Computern (15 Prozent) und Backöfen/Kochfeldern (zwölf Prozent) bestand eine große Nachfrage. "Wir sind zu einer Wegwerf-Gesellschaft geworden", sagt Roth. Längst würden voll funktionsfähige Flachbildschirme oder Handys in den Wertstoffhöfen entsorgt - einfach nur deshalb, weil sie zu klein sind oder neue Modelle attraktiver erscheinen.

Mit einem Führungskräfte-Workshop ging es los

In diesem Frühjahr erhielt die Awista für den "Mehrweg- und Reparaturbonus als Abfallvermeidungsmaßnahme" den NachhaltigkeitsAWARD in Silber. Fast einhundert Bewerbungen waren für die begehrten Preise der "Zeitung für kommunale Wirtschaft" (ZfK) eingegangen. 16 Unternehmen wurden in sechs Kategorien ausgezeichnet. "Das bestätigt die seit Jahren gute Arbeit", kommentierte Frey, "aber vor allem die Innovation". Und schon gibt es wieder was Neues vom Müllentsorger Awista: Die Mitarbeiter an den Wertstoffhöfen tragen nun nachhaltige Arbeitskleidung, produziert von der Firma Steinmüller aus Feldafing. Die Jacken und Hosen bestehen zu mehr als 80 Prozent aus recyceltem Polyester.

Wie kommt es, dass die Müllabfuhr im Landkreis in Sachen Nachhaltigkeit ganz vorne dabei ist? "2019 hatten wir einen Führungskräfte-Workshop zum Thema Nachhaltigkeit", erklärt Sebastian Roth. Das Ergebnis: Zehn der 17 UN-Nachhaltigkeitsziele hat das Kommunalunternehmen übernommen, "daran arbeiten wir seither kontinuierlich". Die Abfallvermeidung ist dabei höchstes Ziel und "oftmals nur erreichbar, wenn Bewusstseins- und Verhaltensänderungen erreicht werden". Hierfür brauche es ein Umdenken in der täglichen Routine - und Motivation. Deshalb die "Belohnung". Die Awista selbst macht dabei keinen monetären Gewinn. Zwar spart jede Tonne Restmüll, die nicht verbrannt werden muss, Geld. Doch das landet über die Müllgebühren wieder beim Verbraucher, die Beiträge bezeichnet Roth als "stabil". Awista Geschäftsführer Christoph Wufka sieht dennoch einen Profit:"Nachhaltigkeit macht uns leistungsfähig im Wettbewerb und stärkt unsere Position als attraktiver Arbeitgeber."

Abfallentsorger aus anderen Landkreisen wollen wissen, wie das funktioniert

Marina Stöger sagt, die Abfallwirtschaft sei moderner geworden, weil sie sich verjüngt habe. Das treffe auch auf die Awista zu. Längst habe sich über die Landkreisgrenzen hinaus herumgesprochen, welche Ideen hier umgesetzt wurden. "Abfallentsorger aus anderen Landkreise rufen an und fragen nach, wie das funktioniert", berichtet sie. Bislang habe sie nicht eine negative Rückmeldung auf ihre Idee erreicht. Besonders positiv aber waren die Reaktionen aus ihrem persönlichen Umfeld in München. "Meine Freundinnen waren ganz begeistert und hätten auch gerne die Möglichkeit", erzählt sie. Doch die Landeshauptstadt sei noch nicht so weit.

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