Seelische Gesundheit:"Unsere Arbeit ist durch den Krieg nicht weniger geworden"

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Nicht immer ist eine starke Schulter da, wenn man eine braucht: In solchen Situationen hilft der Krisendienst Psychiatrie. (Foto: svetikd/Getty Images)

In den vergangenen beiden Jahren litten viele Menschen über Weihnachten an der Einsamkeit. Und jetzt? Die Pandemie scheint vorbei, dafür belastet der Krieg in der Ukraine. Ein Gespräch über neue Ängste mit Martin Guth vom Krisendienst Psychiatrie.

Interview von Linus Freymark, Starnberg

Die Zeit zwischen Weihnachten und dem Jahreswechsel ist für viele Menschen ein Anlass, eine persönliche Bilanz zu ziehen. Neben den positiven Aspekten kommen dabei auch Dinge wieder hoch, die nicht so gut gelaufen sind. Gerade bei Personen, die zudem noch mit anderen Problemen zu kämpfen haben, kann das eine seelische Krise auslösen. Der Krisendienst Psychiatrie Oberbayern bietet unter der Telefonnummer 0800 / 655 3000 365 Tage im Jahr rund um die Uhr Beratungen in akuten Notlagen an. Manchmal genügt bereits ein Telefonat. Manchmal schicken die Mitarbeiter aber auch Einsatzteams zu den Betroffenen, die vor Ort Hilfestellungen geben. Der Sozialpädagoge Martin Guth, 48, betreut beim Krisendienst die Öffentlichkeitsarbeit und ist auch für den Kreis Starnberg zuständig.

SZ: Herr Guth, in den vergangenen beiden Jahren konnten viele Familien wegen der Corona-Auflagen Weihnachten nur unter Einschränkungen feiern, viele fürchteten, alleine unterm Tannenbaum zu sitzen. Nun sind die meisten Beschränkungen weggefallen. Geht es den Menschen also wieder besser?

Martin Guth: Naja. Was sicherlich gut ist, ist, dass die Leute wieder mehr rausgehen. Auch die Einrichtungen, die sich um vulnerable Personengruppen kümmern, können wieder mehr Aktivitäten anbieten. Ob es in diesem Jahr weniger Anrufe gab, können wir noch nicht sagen, traditionell melden sich viele erst in den kommenden Tagen. Gerade die Älteren haben in der Pandemie stark gelitten. Da haben wir mitunter schon gravierende Folgen festgestellt.

Welche?

Manche haben innerhalb weniger Monate bei ihren kognitiven Fähigkeiten stark abgebaut. Bei manchen ging das sogar in die Richtung eines demenziellen Schubs. Das war sehr erschreckend. Hinzu kam die Einsamkeit. Das war nicht ohne und geht auch nicht gleich wieder weg, wenn man wieder Menschen treffen darf.

Mit dem Krieg in der Ukraine und den Folgen des Konflikts ist nach der Pandemie direkt die nächste Krise auf uns zugerollt. Wie hat sich das auf Ihre Arbeit ausgewirkt?

Gott sei Dank waren wir da relativ schnell bei der Sache. Wir haben in den Einrichtungen, die sich um die Geflüchteten kümmern, die Helferinnen und Helfer über unsere Angebote informiert. Unser Vorteil ist, dass wir gute Kontakte in die seit 2015 bestehenden Strukturen haben. Auch die Einrichtungen, mit denen wir zusammenarbeiten, etwa Psychiatrien, haben sich schnell auf die neue Situation eingestellt. Aber klar, unsere Arbeit ist durch den Krieg nicht weniger geworden.

"Als die russische Armee kurz vor Kiew stand, habe ich mich teilweise an den Tag nach dem 11. September 2001 erinnert gefühlt": Martin Guth vom Krisendienst Psychiatrie. (Foto: Bezirk Oberbayern/hgnagel)

Haben die Geschehnisse in der Ukraine auch Ängste bei Menschen erzeugt, die von den Kampfhandlungen gar nicht unmittelbar betroffen sind?

Als die russische Armee kurz vor Kiew stand, habe ich mich teilweise an den Tag nach dem 11. September 2001 erinnert gefühlt. Damals haben sehr viele Leute angerufen, weil sie befürchteten, es gebe nun einen globalen Krieg. Das hat man auch jetzt gemerkt: Es hat sich eine Unsicherheit breitgemacht. Wir haben dann versucht, diese Leute aufzufangen. Aber es haben auch Menschen mit Kriegserfahrungen angerufen, etwa aus dem früheren Jugoslawien. Diese Menschen belastet so eine Situation mitunter sehr.

Hierzulande haben wir vom Krieg vor allem die enormen Preissteigerungen gemerkt. Wie hat sich das auf Ihre Arbeit ausgewirkt?

Das Thema kommt vor - allerdings viel häufiger in den Beratungsstellen vor Ort, als bei uns im Krisendienst. Die Einrichtungen betreuen die Leute ja schon wesentlich länger und sind auch für finanzielle Fragen zuständig. Bei uns geht es ja eher um akute Notfälle. Geldsorgen sind meist ein Puzzleteil eines größeren Themenblocks. Gepaart mit anderen Problemen kann das natürlich schon eine persönliche akute Krise auslösen.

Im Landkreis Starnberg leben zwar nicht nur reiche Menschen, dennoch gibt es hier überproportional viele Vermögende. Nimmt die Region eine Sonderstellung im Vergleich zu anderen Ecken Oberbayerns ein?

Was die Anrufe aus dem Münchner Umland bei uns angeht, bewegt sich Starnberg im Mittelfeld. Aber Geld schützt nicht vor persönlichen Krisen. Die Probleme sind andere, inhaltlich geht es beim Manager um andere Dinge als bei anderen Berufsgruppen. Aber die Verzweiflung ist die gleiche. Deshalb ist es wichtig, gut für sich zu sorgen - sowohl körperlich als auch seelisch. Das betrifft gerade Personen, die in einem Umfeld unterwegs sind, in dem Leistung von ihnen erwartet wird. Sozialkontakte, die einem gut tun, sind ein wichtiger Ausgleich. Wir stellen schon fest, dass bei vielen Menschen, die sich bei uns melden, der Fokus nicht so stark auf dem eigenen Wohlbefinden liegt.

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