Wirtschaft im Landkreis Starnberg:See statt Siemens

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Im Landkreis Starnberg gibt es derzeit rund 2000 arbeitslose Menschen. (Foto: Christoph Hardt/Imago)

Die Arbeitslosenquote ist im Landkreis Starnberg mit 2,9 Prozent vergleichsweise niedrig. Aber was verbirgt sich hinter den ganzen Arbeitsmarktzahlen? Und was sind die Stärken des Standorts? Darüber beraten sich hochrangige Wirtschaftsförderer.

Von Léonardo Kahn, Starnberg

Für Laien der Wirtschaftslehre ist die Arbeitslosenquote eine abstrakte Zahl. 2,9 Prozent sind es im Landkreis Starnberg, wenn man daraus ein halbwegs konkretes Bild machen möchte, könnte man sagen: Von dreißig Einwohnern ist im Schnitt einer arbeitslos. Im Landkreis Starnberg kommt man so auf insgesamt rund 2000 arbeitslose Menschen. Doch diese Chiffre ist weitaus vielschichtiger. Deshalb hat die Gesellschaft für Wirtschafts- und Tourismusentwicklung, kurz GWT, nun die wichtigsten Wirtschaftsförderer aus der Region zu sich nach Starnberg eingeladen, um sich über die Details genauer auszutauschen.

Anstatt am Monatsende plump die Arbeitslosenquote vorzutragen, wünscht sich GWT-Geschäftsführer Christoph Winkelkötter, dass auch das, "was sich hinter den Zahlen verbirgt", erklärt wird. Und vor allem auch das, was nichts mit klassischer Arbeitslosigkeit zu tun hat.

Die Auswirkungen des Krieges in der Ukraine

Vor einem Jahr ist durch den Angriff auf die Ukraine die Zahl der Jobsuchenden in die Höhe geschnellt - auch im Landkreis Starnberg. Dort ging es von 1200 hoch auf 1800, eine Steigerung von fünfzig Prozent. Mittlerweile, mehr als ein Jahr nach Kriegsbeginn, ist die Zahl wieder auf 1680 gesunken. Der Durchschnittswert der vergangenen zehn Jahre liegt bei ungefähr 1400.

Insgesamt konnten hier 150 Ukrainer in die Arbeitswelt eingebunden werden, vor allem im Dienstleistungssektor, etwa in der Hotellerie oder der Gastronomie. Für Dominik Blaß, Geschäftsführer des Starnberger Jobcenters, hat dieser Erfolg auch mit dem Angebot an Integrations- und Sprachkursen zu tun. Allerdings sind viele Ukrainer noch auf Arbeitssuche, das Thema bleibt also weiterhin drängend. Wie andere Experten bedauert auch Blaß, dass viele Arbeitsgeber sich nicht trauen, Ausländer mit geringen Deutschkenntnissen einzustellen. "Sie werden es schnell genug im Beruf lernen", sagt GWT-Chef Winkelkötter, "schnappt sie euch so früh wie möglich."

Die Tafelrunde der Starnberger Wirtschaftsförderer besteht aus: (v. li.) HWK-Beraterin Michaela Eisenschmid, Karin Münster, Geschäftsstellenleiterin der Agentur für Arbeit, Jobcenter-Geschäftsführer Dominik Blaß, Anne Boldt, Projektleiterin der Ausbildungsförderung, GWT-Geschäftsführer Christoph Winkelkötter, IHK-Regionalchefin Katja Lindo-Roever und Maximilian Keneder von der IHK. (Foto: Nila Thiel)

Fast zwei Drittel der ukrainischen Geflüchteten sind Frauen. Viele von ihnen sind jung und haben einen hohen Bildungsgrad. Daher stellt sich für die bei der GWT versammelten Wirtschaftsförderer die Frage, wie lange diese in Deutschland bleiben werden. "Aber das wissen die Ukrainer selbst nicht", sagt Jobcenter-Chef Blaß. Doch weil sich viele junge Erwachsene auch am Vereinsleben beteiligen, zum Beispiel in Sportclubs, steige auch die Chance auf eine bessere Integration.

Wenn das Gehalt nicht reicht

Die Zahl der Arbeitssuchenden scheint mit 1680 im Landkreis Starnberg relativ hoch. Aber darunter sind auch viele sogenannte Aufstocker subsummiert. Diese sind zwar in einem Betrieb angestellt, verdienen mit dem aktuellen Job aber nicht genug, um davon mit ihrer Familie leben zu können. Bei ihnen wird das Gehalt deshalb um das sogenannte Bürgergeld ergänzt.

Wegen der hohen Lebenshaltungskosten hier in der Region wächst auch die Zahl der Aufstocker. Winkelkötter betont dennoch: "Arbeit lohnt sich immer." Letztlich bleibt in der Familienkasse mehr übrig, wenn man arbeitet statt Arbeitslosengeld zu beziehen.

Wenn sich die Ausbildung nicht rentiert

Die Ausbildungsförderer der Bayerischen Handwerkskammer (HWK) und der Industrie- und Handelskammer (IHK) würden gerne ukrainische Flüchtlinge in die Ausbildung bringen, wenn diese länger in Deutschland bleiben wollen. Zuletzt blieben rund 140 Azubiplätze im Landkreis Starnberg unbesetzt. Ansonsten, betont HWK-Beraterin Michaela Eisenschmid, bleibt die hiesige Bilanz mit rund 600 Azubis pro Jahr konstant. Das Ausbauhandwerk und die Versorgungstechnik - also Schreiner, Zimmerer und Elektriker - sind nach wie vor am beliebtesten. Das liege auch daran, dass diese Berufe gut entlohnt werden. Bei der IHK sind aus ähnlichen Gründen die Ausbildungen zum Industriekaufmann, Kaufmann und Fachinformatiker am beliebtesten.

Die Gewerbereferentin Michaela Eisenschmid verweist aber auch auf die exotischeren Ausbildungen. "Viele wissen nicht, dass man als Orgelbauer in Andechs später nach Tokio reisen kann, um dort Orgeln zu reparieren, oder dass man als Orthopädiemechaniker im Spitzensport tätig ist", erklärt die Beraterin.

Wenn der Status quo konstant bleibt, heißt das aber auch, dass die Problemstellen die selben bleiben. Obwohl es im Landkreis Starnberg durchaus an Arbeitskräften mangelt, bleiben verschiedene Ausbildungen unbeliebt, wie zum Beispiel die Lehre zur Bäckereifachverkäuferin, zum Frisör oder zur Hotelfachfrau. In dem Punkt kann die Handwerkskammer jedoch wenig ausrichten, da es eher am Tarifpartner liegt, den Beruf attraktiver zu gestalten. Mit einem Gehalt von rund 1000 Euro netto kommt man in Starnberg jedenfalls nur schwer über die Runden, dafür macht kaum jemand drei Jahre Ausbildung.

Was den Standort Starnberg auszeichnet

Im Landkreis Starnberg mangelt es deshalb nicht nur in manchen Branchen an Fachkräften, es mangelt wegen des schwierigen Gehalt-Kosten-Verhältnisses eher grundsätzlich an Arbeitskräften. Nichtdestotrotz spricht der GWT-Chef Winkelkötter von einem "resilienten Arbeitsmarkt", weil die Beschäftigungsrate hier nicht so stark nach Saison schwankt wie beispielsweise in Garmisch-Partenkirchen.

"Wir haben hier zwar nicht die Spitzenunternehmen wie Siemens oder BMW", sagt Winkelkötter, "dafür haben wir aber viele mittelgroße Unternehmen mit eigenen Aufstiegschancen." Ein weiteres Argument sei auch die gewonnene Lebenszeit. Denn wer in Starnberg lebt und arbeitet, der stehe weniger im Stau oder in der Bahn, sagt Winkelkötter und fügt ein schwergewichtiges Argument an: "Außerdem kann man in Starnberg in der Mittagspause zur Abkühlung schnell in den See springen."

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