Freeriden:Schwungvoll durch den Tiefschnee

Lesezeit: 3 min

Jonas Reuter freut sich über seinen zweiten Platz beim Freeride Contest im Alpbachtal. (Foto: privat)

Jonas Reuter fährt im Gelände Ski und zeigt dabei spektakuläre Sprünge über Felsen und Wechten. Die bringt er sich selbst bei - und ist damit auch bei Wettbewerben erfolgreich.

Von Carolin Fries, Starnberg

Manchmal hüpft Jonas Reuter daheim auf einem Bein die Treppe rauf und runter. "Die Knie müssen bombenfest sein", sagt er. Da solle nichts passieren. Ein Freund hat sich im vergangenen Jahr das Kreuzband gerissen, "der fällt die ganze Saison aus". Saison, das ist bei dem 19 Jahre alten Starnberger und seinen Kumpels der Winter. Sobald es in den höheren Lagen schneit, wird er nervös. Am Wochenende fährt er dann los, am liebsten ins Zillertal oder in die Axamder Lizum. Sein Sport ist das Freeriden.

Auf Skiern sucht er sich abseits der Pisten unberührte Landschaften. Meistens trägt er die Ausrüstung darum von der Gipfelstation der Bergbahn noch zwanzig Minuten oder eine halbe Stunde bergauf. "Die Strecken durch den Wald sind meistens recht schnell zerfahren", erklärt Jonas Reuter. Er liebt es, dort die Skier anzuschnallen, wo der Pulverschnee nur ihm gehört. Ist ein guter Einstieg ins Gelände gefunden, geht es los. Durch den frischen Schnee zu schaukeln, sich dabei selbst einzustauben, das sei ein unbeschreiblich schönes Gefühl, sagt er. Dabei sucht er sich bewusst eine Strecke, die den ein oder anderen Fels oder eine Schneewechte zum Springen bietet: Rückwärtssaltos und Shiftys, bei denen die Skier in der Luft quergestellt werden gehören längst zum Repertoire des Starnbergers. Vor wenigen Wochen durfte der seinen größten sportlichen Erfolg feiern: Beim Einsteiger-Wettbewerb, dem Freeride Contest im Alpbachtal landete Reuter in diesem Jahr auf Platz zwei.

Den Backflip (Rückwärtssalto) und viele andere Tricks hat sich der 19-Jährige selbst beigebracht. (Foto: privat)
Die ersten Spuren in frischen Schnee setzen - das sei unbeschreiblich schön, sagt Jonas Reuter. (Foto: privat)

Auf Skiern einen Rückwärtssalto oder Drehungen um die eigene Achse machen, die Bretter in der Luft schräg stellen: Das alles hat sich Jonas Reuter selbst beigebracht. Als er drei Jahre alt war, steckte ihn seine Mutter zum ersten Mal in Lenggries in einen Skikurs. Jedes Jahr lernte er hier nun in den Weihnachtsferien für ein paar Tage, wie man schöne Bögen fährt, bremst und sich ordentlich in die Liftschlange einreiht. Er lernte, im Tiefschnee zu fahren. Als Zwölf- oder Dreizehnjähriger macht er in der "Action Academy" der Alpina-Skischule seine ersten Sprünge. Er meldet sich beim Skiclub in Starnberg an und fährt ein paar Saisons lang Rennen - doch schon bald vermisst Reuter das wilde und freie Fahren im Gelände. Als pandemiebedingt viele Lifte stillstehen, zieht er mit seinen Freunden los. Immer wieder nimmt seine Mutter die Clique mit in die Berge, sie macht dann Skitouren.

Jonas Reuter lernt früh Skifahren. (Foto: privat)
Jedes Jahr in den Weihnachtsferien macht der Junge einen Skikurs. (Foto: privat)

Angst habe er nie, sagt Jonas Reuter. Respekt schon. Deshalb sind er und seine Freunde - meist sind sie zu fünft oder sechs unterwegs - ausschließlich mit Schutzausrüstung unterwegs, tragen Airbag und haben Lawinensuchgeräte, Sonden und Schaufeln dabei. "Und wir fahren immer einzeln nacheinander." Sollte sich eine Lawine lösen oder einer der Skifahrer stürzen, können die anderen helfen. Über Walkie-Talkies geben sie sich Tipps, welche Strecke sich anbietet beziehungsweise welche Passage besser vermieden werden sollte. Sie haben gelernt, den Schnee einzuschätzen - dennoch wissen sie, dass im Gelände immer etwas passieren kann. Bislang hatten sie immer Glück.

Die Freeride-Szene ist überschaubar. Neben den wenigen Profis, die bei der Worldtour starten, gibt es untergeordnete Serien für Halbprofis und Einsteiger. Der Deutsche Skiverband hat eine Freeski-Abteilung und entwickelt Nachwuchstalente. "Mir hat man gesagt, ich wäre schon zu alt", sagt Reuter. Also fährt er alleine zu Wettbewerben wie zuletzt im Alpbachtal und misst sich mit der Konkurrenz der sogenannten Qualifier. In 1:15 Minuten schaffte er die etwa 300 Meter lange Abfahrt und zeigte zwei Sprünge. Die Punktrichter bewerten neben Technik und Tricks auch Linienführung und die Flüssigkeit des Laufes sowie die Kontrolle. "Ich wusste, dass ich vorn mitfahren kann, wenn alles klappt", erzählt Reuter. Im vergangenen Jahr landete er nach einem Sturz auf dem zwölften Platz.

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Der Starnberger würde gerne öfter bei Wettbewerben starten, doch meistens aber sind die Veranstaltungen weiter weg und das Reisen zu teuer. Für ihn ist der finanzielle Aufwand ohnehin hoch: Die Snow Card Tirol für 1050 Euro hat er sich heuer nur leisten können, weil er nach dem Abitur im Frühjahr als Kellner und bei einem ambulanten Pflegedienst jobbte. Die Ausrüstung - er hat drei Paar Ski und mehrere Hosen und Jacken - wünscht er sich in der Regel zum Geburtstag und zu Weihnachten. "Ganz praktisch, dass ich im Dezember geboren wurde."

20 Skitage hat er in diesem Winter schon sammeln können - nach dem Lernstress im vergangenen Jahr die ersehnte Belohnung. Im Herbst hat Jonas Reuter begonnen, Pflegewissenschaften an der Ludwig-Maximilians-Universität in München zu studieren, am Wochenende geht es in die Berge. Wenn mal kein guter Schnee liegt, trainert er in präparierten Funparks seine Sprünge - dabei gelingen ihm auch doppelte Saltos und Corks, also Rotationen außerhalb der Achse. Im Sommer hält er sich mit Radfahren fit und schnallt die Trainingsski nur für Sprünge im Banger Park in Scharnitz an. Der Starnberger bewundert den französischen Freestyle-Skifahrer und früheren Freeride-Weltmeister Candide Thovex, "meiner Meinung nach der beste Skifahrer, den es je gab". Ob er selbst auch an die Weltspitze will? "Ich will vor allem extrem viel Spaß haben", sagt Jonas Reuter. Und gesund bleiben.

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