Energiewende:"Wir verzetteln uns unnötig"

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Oliver Berger ist Diplomingenieur und Vorstand des Vereins "Energiewende Landkreis Starnberg". Er fährt, na klar, ein Elektroauto. (Foto: Franz Xaver Fuchs)

Wie kann der Landkreis Starnberg noch mehr vorankommen bei der Energiewende? Ein Gespräch mit dem Vorsitzenden des Starnberger Energiewendevereins, Oliver Berger.

Interview von Viktoria Spinrad, Starnberg

Der Landkreis Starnberg möchte bis 2035 weg von Öl und Gas - so hat es der Kreistag 2005 beschlossen. Doch trotz zahlreicher Bemühungen ist er davon weit entfernt. Zuletzt lag der Anteil erneuerbarer Energien bei knapp zwölf Prozent. Zu fast 90 Prozent wird immer noch mit fossilen Brennstoffen geheizt, die Zahl der Autos nimmt stetig von Jahr zu Jahr zu.

Oliver Berger ist Physiker aus Gilching und Vorsitzender des Energiewendevereins im Landkreis Starnberg. Spricht man mit ihm über die lokale Lage bei der Energiewende, stöhnt er immer wieder frustriert. Ein Gespräch über Beobachtungszeiträume für Vogelflüge, satirisch anmutende Behördengänge und den Zauber einer Grundwasserpumpe im Haus.

SZ: Herr Berger, zuletzt war der Landkreis erst zu elf Prozent energieautark, haben Sie ausgerechnet. Im Grunde glaubt keiner mehr dran, dass das 2035er-Ziel erreicht wird. Woran hapert es aus Ihrer Sicht?

Oliver Berger: Es fehlen schlicht die Leute für die Energiewende. Wie soll ein einzelner Umweltmanager im Landratsamt ein großes Konzept aufziehen? Die Klimaagentur Klima³ macht gute Arbeit. Aber auch hier: Wie viel können vier Leute voranbringen für drei Landkreise mit 68 Kommunen? Wir bräuchten mehr Beamte, aber auch mehr Handwerker. Gerade jetzt, wo Solaranlagen so günstig sind wie nie, weil China den Markt überschwemmt.

Aber es bauen sich doch immer mehr Privatleute PV-Anlagen auf ihr Dach. Und immer mehr Kommunen weisen Solarfelder aus.

Da geht einiges voran, und das ist gut. Aber es reicht nicht. Wir brauchen neben Solar auch die Windkraft - sonst ist es mau zwischen November und Februar. Fragt man den Kämmerer in Berg, was das beste Investment der letzten Jahre war, dann sind es die vier Windräder. Dort wird eine zweistellige Rendite eingefahren - besser geht's nicht.

Aber woher sollen die Kommunen das Geld nehmen? Sie sind blank.

Ja, das Geld ist nicht in den Gemeinden. Aber es ist da. Wenn man so etwas als Bürgergenossenschaft aufzieht, könnte man solche Projekte gut finanzieren. Unsere Banken haben einen Riesenfonds an Klimainfrastrukturmaßnahmen, mit Vorgaben, zu investieren. Zudem haben wir genügend Vermögende im Landkreis, die sich mit Energieprojekten eine schöne Rendite einfahren könnten. Wenn es an etwas nicht fehlt, dann am Geld.

Die Infrastruktur ist an vielen Stellen gar nicht ausgelegt auf die Energiewende. In Monatshausen war zunächst ein 20 Hektar großer Solarpark angedacht. Weil der entsprechende Einspeisepunkt zu weit weg ist, sollen es bald nur noch fünf werden.

Ja, beim Netzausbau standen wir viel zu lange auf der Bremse. Anlagen wie in Monatshausen sollte man eventuell gleich mit Akku planen. Dann ließe sich auch in der Nacht Energie einspeisen - allerdings kostet es dann eben auch mehr. Aber können wir uns leisten, es nicht zu tun? Die Kosten ohne Energiewende sind bei Weitem höher. Das Beispiel der Flüssiggasterminals an der Nordsee zeigt ja: Wenn der politische Wille da ist, geht etwas voran.

In Kerschlach soll ein Solarfeld entstehen - doch mit den Einspeisepunkten gestaltetet es sich kompliziert. (Foto: Nila Thiel)

Sie meinen, im Landkreis fehlt der politische Wille? Er hat sich das 2035er-Ziel doch selbst auferlegt.

Man kann dem Landkreis nicht allein den schwarzen Peter zuschieben. Aber ja, der Wille fehlt schon. Wenn die Politik zehn Jahre lang das Mantra wiederholt, "Windräder sind doof", "die schauen nicht aus", dann akzeptieren die Menschen sie auch nicht. Dafür muss man die Leute mitnehmen, erklären: Diese Windräder finanzieren eure Feuerwehrautos und machen eure Kitaplätze umsonst. Günstige Energie ist ein Wirtschaftsstandortfaktor.

Sehen Sie die Politik oder die einzelnen Bürger in der Verantwortung?

Es ist ein Wechselspiel aus Politik, Genehmigungsbehörden und Einzelaktionen. Ich kenne einen Gilchinger Bauern, der gerne eine Solaranlage auf seine schlechten Acker stellen würde. Allerdings sind die mehr als 500 Meter von der Autobahn entfernt - und dadurch nicht privilegiert. Wo ist der Sinn, wenn die Politik gute Ackerflächen entlang von Autobahnen und Bahntrassen unbürokratisch bebauen lässt - schlechte Böden, die weiter weg sind, allerdings nicht? Das ist absurd.

München investiert in skandinavische Windparks. Wäre das ein Modell für den Landkreis?

Wenn wir von der Nordsee bis nach Oberbayern eine Stromtrasse ziehen, haben wir zwar weniger Masten hier, dafür aber mehr in der Republik. Und der Gewinn fällt auch woanders aus. Wieso soll sich der Windparkbetreiber seinen dritten Porsche kaufen? Das Geld soll doch lieber hier im Landkreis bleiben. Derzeit geben wir hier über 500 Millionen Euro im Jahr für Benzin, Heizöl, Gas und Strom aus. Geld, mit denen wir momentan autokratische Regime finanzieren. Wenn ich hingegen Projekte mit Bürgerbeteiligung aufziehe, kann das ein millionenfaches Konjunkturprogramm für den Landkreis werden.

In einer ehemaligen Kiesgrube bei Unterbrunn steht ein Solarpark, dessen 6336 Module Strom für 600 Haushalte produzieren können. (Foto: Georgine Treybal)

Derzeit sind viele Einzelprojekte in Planung, die teils wenig miteinander zu tun haben.

Die Gemeinden müssten sich viel mehr zusammentun. Wenn Gilching zwei Windanlagen mit Alling und Schöngeising bauen will, dann fragt doch gleich in Berg nach, wie es geht und tut euch mit Gauting und Starnberg zusammen, die auch Windräder wollen - und erfindet nicht in jeder Gemeinde das Rad neu.

Viele schreckt auch die Bürokratie ab.

Ich kenne einen Bauern, der Solarmodule auf seine Flächen in Starnberg und Gilching stellen möchte. Zwei verschiedene Gemeinden also, für die er dann zwei verschiedene Anträge vorlegen muss. Warum kann ich für zwei Flurstücke nicht zweimal dasselbe verschicken? Ach, da verzetteln wir uns unnötig.

In Berg stehen vier Windräder, es sind die einzigen im Landkreis Starnberg. Dabei bräuchte es viel mehr. (Foto: Arlet Ulfers)

Das hat etwas von Satire. Wie bei Asterix und Obelix, die mit Passierscheinen durch das Bürogebäude laufen.

Wenn für ein Windrad für soundsoviele Tage im Jahr der Vogelflug beobachtet werden muss, mit Temperatur und Wetterfenster, es dann Ende März aber 20 Grad hat statt 15 Grad, und ich dann wieder ein Jahr warten muss für die Beobachtung - dann sage ich: Das geht so nicht.

Firmen haben oft große Dachflächen. Wie überzeugen Sie die?

Wenn man dem Firmenchef sagt: Heute ist es sonnig. Mit einer Solaranlage sparst du dir 1000 Euro Stromkosten am Tag. Und reche das mal hoch auf 250 Tage im Jahr, wo die Sonne scheint. Dann sieht er eine Viertelmillion Euro auf seinem Konto dazukommen. Das sind die Argumente, mit denen man bei Firmenchefs Gehör findet.

Sie selber fahren ein Elektroauto, haben zu Hause aufgerüstet. Wie ist Ihre persönliche Bilanz?

Als ich 2012 eine Grundwasserpumpe eingebaut habe, haben mich alle belächelt. Selbst mein Bruder meinte: Das rechnet sich niemals. Im letzten Jahr hatte ich 600 Euro Kosten für Heizung, Strom und zwei Autos (lacht). Jetzt lache ich.

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