Einheimischenmodell in Starnberg:Bauherren wollen Stadt verklagen

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Die Erschließung der Baugrundstücke am Wiesengrund wirde deutlich teurer als erwartet. Acht Bauherren sind deshalb wieder abgesprungen. (Foto: Franz Xaver Fuchs)

31 Bewerber für das Areal am Wiesengrund wollen nicht länger warten: Sie bereiten eine Dienstaufsichtsbeschwerde, Schadenersatz- und Untätigkeitsklage vor.

Von Peter Haacke, Starnberg

Geduld ist eine Tugend, doch sie ist nicht endlos: 31 Bewerber des Starnberger Einheimischen-Modells "Am Wiesengrund", die von der Stadtverwaltung im Sommer 2019 eine Grundstückszusage zum Bau eines Reihenhauses bekamen, aber noch immer keinen Vertrag unterzeichnet haben, akzeptieren offenbar keine weiteren Zeitverzögerungen mehr. Sie haben eine Münchner Rechtsanwältin mit der Vorbereitung einer Klage beauftragt. "Wir haben beschlossen, gegen die Stadt nun härtere Geschütze aufzufahren und werden verschiedene Anträge beziehungsweise Klagen an das Bayerische Staatsministerium stellen", teilt eine Sprecherin der Interessengruppe mit. "Es kann nicht sein, dass die Bürger vom Wiesengrund sich alles gefallen lassen müssen." Angestrebt wird nach SZ-Informationen eine Untätigkeitsklage, eine Dienstaufsichtsbeschwerde sowie eine Schadenersatzklage wegen gestiegener Baukosten, verringerter KfW-Zuschüsse und des Entfalls von Baukindergeld, das es nur bis Jahresende gibt.

Das ambitionierte Einheimischen-Modell, das von Starnbergs ehemaliger Bürgermeisterin Eva John seit 2015 mit großem Aufwand beworben wurde, ist bislang eher von gravierenden Pannen als von übermäßigem Erfolg gekennzeichnet. Nachfolger Patrick Janik hat mit dem Wiesengrund jedenfalls eine Hinterlassenschaft übernommen, die von Beginn an unter keinem guten Stern stand: Mehrfach mussten die Vergabekriterien nachjustiert werden, bei Abfrage der persönlichen Vermögensverhältnisse waren wichtige Kriterien vergessen worden; die Verlosung der insgesamt 51 Grundstücke wurde wiederholt. Zudem kam massive Kritik von heimischen Feuerwehrlern auf, die nicht zum Zuge gekommen waren. Zu allem Überfluss erwies sich auch der lehmige Baugrund als problematisch: Erschließung, Geländenivellierung und Austausch kontaminierten Bodens des nur 3,5 Hektar Quadratmeter großen Areals - das entspricht etwa einer Fläche von fünf Fußballfeldern - wurde mit nunmehr 5,14 Millionen absurd teuer. Und eine befriedigende Verkehrsanbindung an die B2 existiert bislang auch nicht.

Hat mit dem Einheimischen-Modell am Wiesengrund ein schwieriges Erbe von seiner Vorgängerin übernommen: Starnbergs Bürgermeister Patrick Janik muss mit Klagen rechnen. (Foto: Georgine Treybal)

Entscheidend für den seit August 2019 währenden Stillstand aber war ein fehlerhaftes Vergabefahren: Die Verwaltung hatte einen Bewerber unberücksichtigt gelassen. Nach einigem Hin und Her und zwischenzeitlich großer Verunsicherung der übrigen Betroffenen, die um den Zuschlag für ihr Reihenhaus bangten, konnte mit dem unberücksichtigten Bauwerber im März zwar eine Einigung erzielt werden. Doch die Beurkundung des Vertrags, den die Rechtsanwälte im Auftrag der Stadt aushandelten und dafür rund 40000 Euro Honorar einstrichen, "steht wegen Abstimmungsbedarfs mehrerer Beteiligter zu Vertragsdetails noch aus", teilt die Stadtverwaltung mit. Im Klartext: Solange dieser Umstand nicht geklärt ist, können auch die 51 Wiesengrund-Bauherren weder Verträge mit der Stadt noch mit ihrem Kreditinstitut oder einer Baufirma schließen.

"Uns bleibt nichts anderes übrig als die Klage", sagt die Sprecherin der Gruppe, die ebenso wie alle übrigen Beteiligten namentlich nicht genannt werden will, weil sie Benachteiligungen im weiteren Verfahren befürchtet. Ihre Haltung aber ist eindeutig: "Seit August sind wir der Willkür der Stadt ausgesetzt. Immer wieder haben wir bei der Verwaltung angefragt, aber immer wieder wird man permanent mit einer Ausrede weitergeschickt. Monatelang hat man uns warten lassen, nichts wird beantwortet." Weitere Kritikpunkte: Der Interessengemeinschaft erscheint die Wärmeversorgung des Quartiers als überdimensioniert und zu teuer. Zudem gilt die Bindungsfrist für die Immobilien von 20 Jahren als zu lang. Vor allem aber die Frage nach realen Kosten und Zeitrahmen rückt zunehmend in den Vordergrund.

Wegen des problematischen Baugrunds sind die Erschließungskosten - der Anschluss an Ver- und Entsorgungsnetze sowie die übrige Infrastruktur - entgegen der ursprünglichen Planung vom November 2018 um 1,2 Millionen Euro gestiegen, teilt die Stadtverwaltung mit. Besondere Herausforderung dabei waren die Regenwasserbeseitigung und Geländeaufschüttung bis zu zwei Meter, der Boden war teilweise kontaminiert. Hinzu kommen für die Bauherren Kosten für Nahwärmeanbindung, Carports oder Stellplätze. Das kleinste Grundstück umfasst 142, das größte 253 Quadratmeter, die Erschließung kostet 305 Euro pro Quadratmeter. Der Preis für die Häuser ist abhängig vom bevorzugten Typ und den jeweiligen Baufirmen. Längst aber ist klar, dass selbst die kleinste Reihenhaus-Variante schlüsselfertig wenigstens eine halbe Million Euro kosten wird - auch wenn der von der Stadt festgelegte Quadratmeterpreis für Baugrund mit 486 Euro für hiesige Verhältnisse als ausgesprochen günstig erscheint. Betrug der offizielle Bodenrichtwert in Starnberg vor drei Jahren noch 1080 Euro, wird er mittlerweile auf gut 1400 Euro taxiert. Ein voll erschlossener Quadratmeter Baugrund am Wiesengrund aber dürfte - großzügig berechnet - mittlerweile nun schon knapp unter 1000 Euro kosten. Ein Schnäppchen ist das nicht. Acht Bewerber mussten angesichts dieser Preissteigerung bereits zurückziehen, bestätigt die Stadtverwaltung, weitere dürften noch folgen.

Dabei blieb die eigentliche Zielgruppe dieses Einheimischen-Modells, die unteren Einkommensgruppen, bislang unberücksichtigt. Ex-Bürgermeisterin John waren die Reihenhäuser für mittlere Einkommensgruppen offensichtlich wichtiger als der soziale Wohnungsbau. Für die Hochhäuser mit insgesamt 75 Wohneinheiten gibt es daher bislang weder Planungen noch Vergabemodus. "Wegen des anhaltend hohen Informations-und Abstimmungsbedarfes bei der Vergabe der Reihenhausgrundstücke waren noch keine Ressourcen für die Vorbereitung der Vergabe des Geschosswohnungsbaus vorhanden", heißt es aus dem Rathaus. Erst wenn die Reihenhausgrundstücke vergeben und alle wesentlichen Fragen geklärt seien, sollen Kriterien zur Ausschreibung des Geschosswohnungsbaus erarbeitet werden. Am Wiesengrund dürfte dann schon an den Reihenhäusern gearbeitet werden. Fraglich ist jedoch, unter welchen Bedingungen: Zwar hat die Stadt den Bauherren empfohlen, Gemeinschaften zur Erstellung des Rohbaus zu bilden. Doch letztlich kann jeder Häuslebauer selbst entscheiden, wann er loslegen will. Im ungünstigsten Fall könnte es also extrem eng werden auf Baustellen und Zufahrten, wenn jedes Haus mit einer anderen Baufirma entsteht und zeitgleich die mehrgeschossigen Gebäude erstellt werden.

Ob das angekündigte Rechtsverfahren gegen die Stadt schnell zum gewünschten Erfolg führen wird, bleibt allerdings fraglich. Die Klägergemeinschaft reklamiert neben den bislang bekanntgewordenen Fehlern und Verzögerungen "explodierende Erschließungskosten bis hin zu Knebelverträgen bei der falsch abgeschlossenen Nahwärmeversorgung" sowie eine übermäßig lange Bindungsfrist auf nunmehr 20 Jahre. Im Hinblick auf den Zeitfaktor könnte sich eine Klagezulassung womöglich sogar als kontraproduktiv erweisen. Immerhin hat die Stadtverwaltung nun eine Infoveranstaltung für Bauherren, die laut Stadtratsbeschluss schon längst hätte stattfinden sollen, für den 30. Juni angekündigt. Im Rathaus geht man davon aus, dass die Erschließung des Areals im August abgeschlossen ist. Sofern auch der unberücksichtigte Bauwerber den mit der Stadt ausgehandelten Vertrag bis dahin unterzeichnet hat, könnten die Wiesengrund-Bauherren demnach im September mit dem Bau ihrer Reihenhäuser beginnen.

© SZ vom 12.06.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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