Starnberger Einheimischenmodell:Hitze im Wiesengrund

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Pfeift der Wind zwischen den Reihenhäusern im Starnberger Einheimischenmodell "Am Wiesengrund", sollten die Terrassen besser aufgeräumt sein. Probleme bereiten auch intensiver Sonnenschein und Niederschlag. (Foto: Franz Xaver Fuchs)

Die Entwicklung des Starnberger Wohnviertels stand von Beginn an unter keinem guten Stern. Jetzt rächen sich Schwächen der Architektur und des Bebauungsplans. Bewohner würden sich gerne vor der Sonne schützen und ihre Terrassen überbauen, doch das ist nicht erlaubt.

Von Peter Haacke, Starnberg

Der Wiesengrund bleibt Starnbergs Problemviertel: Das ambitionierte Einheimischenmodell, das von Beginn an in allen Phasen schwer fehlerbehaftet war, lässt die Stadtverwaltung ein weiteres Mal verzweifeln. Konkreter Anlass: Die nach drei Jahren noch immer nicht vollends fertiggestellte Reihenhaussiedlung erweist sich bei Wetterkapriolen als anfällig. Nur allzu gern würden die meisten Anwohner ihre Terrassen daher überdachen, doch das ist laut Bebauungsplan nicht erlaubt.

Zwar hat der städtische Bauausschuss in der vergangenen Woche grundsätzlich die Möglichkeit eingeräumt, dass sich Wiesengrund-Bewohner im gegenseitigen, nachbarschaftlichen Einvernehmen bei der Stadtverwaltung von den Vorgaben befreien lassen können. Soll heißen: Sind die unmittelbaren Nachbarn einverstanden, kann eine Pergola gebaut werden. Unklar ist jedoch, ob auch die übergeordnete Baubehörde am Starnberger Landratsamt bei dieser Lösung mitspielen wird. Damit nicht genug: Womöglich widerspricht sogar der gesamte Wiesengrund-Bebauungsplan geltendem EU-Recht.

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Wenn der Wind von Westen her zwischen den Häusern am Wiesengrund hindurch pfeift, ist bei den Anwohnern schnelles Handeln gefragt: Sonnenschirme, Gartenstühle, Tische und alles andere, was fliegen kann, sollte dann schnellstmöglich geborgen werden. Ein heftiger Sturm vor wenigen Wochen hat sogar vier Photovoltaik-Module vom Dach gerissen; ein Wunder, dass es bei Sachschaden blieb. Der geplante Bau von Geschosswohnungen, die wie eine Windbremse wirken könnten, lässt auf sich warten.

Scheint hingegen im Hochsommer die Sonne, kann ein Aufenthalt auf der Terrasse schier unerträglich werden: Die Temperaturen steigen, der Beton heizt sich auf. Miriam Meyer-Dehn präsentierte bei einem Ortstermin mit Stadträten wie zum Beweis eine sonnenverbrannte Hortensie, die nur zwei Stunden lang in der prallen Sonne gestanden haben soll: "Wie eine Babyhaut", sagte Meyer-Dehn mit mitleidsvollem Blick auf die verbrutzelten Blüten. Regnet oder schneit es hingegen, sollten die Türen tunlichst geschlossen bleiben: Weil die Terrassen nicht überdacht sein dürfen, könnte es feucht werden in der Wohnung.

Verbrutzelte Hortensien: Miriam Meyer-Dehn und Alexander Dehn präsentieren das Ergebnis einer zu lange in der Sonne stehenden Blütenpracht. (Foto: Peter Haacke)

Vor Wochen hatte einer der Anwohner selbst die Initiative ergriffen: 31 der insgesamt 51 Eigentümer unterzeichneten ein Schreiben an die Stadt, in dem die Möglichkeit einer Terrassenüberdachung gefordert wurde. Doch die Stadträte lehnten ab - aus gutem Grund: Der Bebauungsplan hat die überbaubaren Flächen durch Baugrenzen und -linien klar definiert, die maximal festgesetzte Grundfläche ist in den allermeisten Fällen ausgeschöpft.

Der Bau eines Terrassendaches würde zur Überschreitung der zulässigen Grundfläche führen und letztlich die "Grundzüge der Planung" für das Neubauviertel berühren. Mit jeder individuellen Befreiung von den Vorgaben liefe der Bebauungsplan Gefahr, obsolet zu werden. Denn bei Balkon- und Terrassenüberdachungen handle es sich um "Teile der Hauptnutzung", sie sind somit "abstandsrelevant": Es muss ein Mindestabstand von drei Metern zu den Grundstücksgrenzen eingehalten werden.

Ortsbesichtigung am Wiesengrund: Mitglieder des Bauausschusses und Anwohner machen sich ein Bild von den Zuständen im Neubauviertel. (Foto: Peter Haacke)

Die Anwohner zeigen bislang wenig Verständnis für derlei bürokratische Vorgaben. Sie erwirkten in der vergangenen Woche eine Ortsbesichtigung: Knapp die Hälfte der Mandatsträger des 13-köpfigen Bauausschusses machte sich unter Leitung der Dritten Bürgermeisterin Christiane Falk (SPD) und des Stadtbaumeisters Stephan Weinl persönlich ein Bild von den Zuständen am Wiesengrund. Einige Anwohner haben ihre Terrassen bereits überdacht, doch das sind allesamt Schwarzbauten. Bei Katarina Perusko verhängte das Landratsamt, das nun häufiger kontrolliert, vor drei Monaten einen Baustopp. Seitdem geht nichts mehr.

Im Ausschuss überwog das Verständnis für die Nöte der Anwohner in den ohnehin beengten Verhältnissen auf kleinen Grundstücken. Vertreter verschiedener Fraktionen forderten in der Debatte eine Lösung, die nicht nur Wind und Wetter, sondern auch den gesetzlichen Bestimmungen standhält. Gleichwohl betonte Stadtbaumeister Weinl, dass eine weitere Änderung des Bebauungsplans einen enormen zeitlichen und bürokratischen Aufwand für die ohnehin überlastete Verwaltung nach sich ziehe. In jedem Fall erwartet die Starnberger nun eine juristische Gratwanderung.

Einheitskubatur auf engstem Raum und bislang ohne Erweiterungsmöglichkeiten: das Starnberger Einheimischenmodell "Am Wiesengrund". (Foto: Franz Xaver Fuchs)
Die meisten der 51 Reihenhäuser im Wiesengrund sind bereits bewohnt, an anderen wird noch gebaut. (Foto: Franz Xaver Fuchs)

Bestenfalls als Kompromiss kann daher der jüngste Beschluss des Bauausschusses in dieser Angelegenheit gelten: Der Anfrage zur Errichtung von Terrassen- und Balkonüberdachungen im Bereich des Einheimischenmodells wird darin grundsätzlich stattgegeben. "Falls beantragt, sollen Zustimmungen zu Befreiungen und Einvernehmen nach Paragraf 31 III Baugesetzbuch erteilt werden, sofern dieser Antrag mit nachbarrechtlichen Belangen vereinbar ist", heißt es weiter. Eine Änderung des Bebauungsplans wird in diesem Zusammenhang explizit nicht befürwortet.

Ob auch das Landratsamt dieser grenzwertigen Lösung zustimmen wird, ist jedoch fraglich. Im Zweifelsfall wäre die Wirksamkeit des gesamten Bebauungsplans, der beim Verwaltungsgerichtshof ohnehin auf dem Prüfstand steht, hinfällig. Die Richter in München warten bislang noch auf die Begründung eines Urteils des Bundesverwaltungsgerichts: Das Gericht befand unlängst, dass der Paragraf 13 BauGB (Vereinfachtes Verfahren zur Aufstellung eines Bebauungsplans) geltendem Europarecht widerspreche.

Was das für das Einheimischenmodell am Wiesengrund bedeutet, das auf dieser Rechtsgrundlage fußt, ist noch unklar. Ein Rückbau der Gebäude - also ein Abriss der Neubauten - dürfte wegen der Verhältnismäßigkeit zwar höchst unwahrscheinlich sein, ist aber auch nicht gänzlich auszuschließen. Noch im Mai 2021 hatte die Starnberger Stadtverwaltung per E-Mail einem Bauherren mit Blick auf die ausstehende Gerichtsentscheidung vorsorglich mitgeteilt: "Diese (Klage) kann im schlimmsten Fall zur Unwirksamkeit des Bebauungsplans führen" - und hätte somit die Verpflichtung der einzelnen Käufer zum Rückbaus zur Folge.

Vorerst geht es jedoch nur um die "kleinen" Probleme. Bürgermeister Patrick Janik versteht nach eigenen Worten die Leute sehr gut, die sich im Sommer in der Reihenhaussiedlung, in der noch immer gewerkelt wird, Schatten und Witterungsschutz wünschen. Aber er will die Betroffenen am Wiesengrund auch nicht in falscher Sicherheit wiegen: "Es kann sein", entwich es Janik noch während der Sitzung in düsterer Vorahnung, "dass wir da in ein paar Wochen Anarchie haben."

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