Starnberg:Die große Ausgewogenheit

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Kandidaten für den Tassilo-Preis: Jakob Wagner

Von Gerhard Summer, Starnberg

Dieser Tango ist eine feine Parodie. Roland Dyens hatte das Bravourstück jahrelang als Zugabe gespielt, irgendwann ließ er sich überzeugen, dass er die Noten besser selbst aufschreiben und herausgeben sollte, seitdem hat sein "Tango en skaï" die Konzertsäle erobert. Viele Gitarristen tun sich schwer mit der Gratwanderung, die Dyens verlangt, die einen geraten ins Romantisieren, die anderen rutschen nur virtuos übers Griffbrett. Und tatsächlich ist die Balance schwer zu erreichen bei dieser Musik, die nicht ernst genommen werden will, aber natürlich trotzdem alles andere ist als Jux und Tollerei.

Wenn der junge Klassikgitarrist Jakob Wagner aus Wangen bei Starnberg den Tango spielt, ist schon nach den ersten Takten klar: Hier weiß jemand genau, was er macht. Denn Wagner hat Ausgewogenheit im Sinn, er bekommt den großen Bogen hin, ohne die Feinheiten zu unterschlagen. In seiner Interpretation wird die Zugabe zu einem ironisch funkelnden Stück Unterhaltung: wunderbar rund und voll im Ton, absolut mühelos auch in den anspruchsvollen Passagen.

Das ist vielleicht das Verblüffendste, wenn man mit diesem 22-Jährigen spricht: dass er nicht nur auf der Bühne versucht, die Dinge von allen Seiten zu betrachten. Andere würden sich vielleicht über die umstrittenen Heroen der Szene mokieren, um sich selbst ins Licht zu rücken, etwa über den Amerikaner Eliot Fisk, der gern Paganini-Capricen über die Bünde treibt. Wagner aber sagt: Dieser Mann sei "auf jeden Fall ein Genie", natürlich könne man streiten über seine Art zu spielen, aber auch von ihm lernen, mutig hinter einer Interpretation zu stehen. Und zu Aniello Desiderio aus Neapel fällt ihm ein: Ja, dieser Gitarrist nehme sich "viele Freiheiten", aber er habe auch einen "wunderschönen Ton".

Jakob Wagner war neun oder zehn, als er auf klassische Gitarrenmusik stieß. Sein sieben Jahre älterer Bruder, der heutige Schriftsteller Elias Wagner ("Vom Liebesleben der Mondvögel"), hatte damals Westerngitarre gespielt und in einem Münchner Musikladen eine CD von John Williams geschenkt bekommen. Jakob Wagner hörte sie und dachte sich: "Das ist so schön, das muss ich auch machen." Sieben Jahre hatte er Unterricht bei Peter Jermer an der Musikschule Starnberg, er lernte außerdem Klavier. 2012 machte er am Gymnasium Starnberg Abitur, für ihn war klar, dass er das Konservatorium in Paris ansteuern würde, an dem Dyens lehrt.

Der Komponist Agustín Barrios aus Paraguay (1885 bis 1944).. (Foto: oh)

Doch erst mal tat Wagner, was schon etliche Schulabgänger vor ihm übernommen hatten, auch sein Bruder Elias: Er pflegte für ein paar Monate einen Mann, der an Multipler Sklerose leidet und im Rollstuhl sitzt. Im November fing er damit an, sich ohne Lehrer für die Aufnahmeprüfung in Paris vorzubereiten. Doch im März 2013 scheiterte er, "weil die anderen besser waren". Wagner nahm wieder Unterricht, diesmal in München bei Johannes Tonio Kreusch, und kam in der Musikhochschule Augsburg unter. Zugleich bewarb er sich für Weimar und Düsseldorf, bestand beide Prüfungen und entschied sich für die Robert-Schumann-Hochschule in Düsseldorf. Dort hat er nun seit 2015 Unterricht bei dem Cubaner Joaquin Clerch, einem einstigen Fisk-Assistenten, und dem Peruaner Alexander Sergei Ramirez, der ehemals regelmäßig bei den Musiktagen in Holzhausen gastiert hatte. Die ersten Wochen mussten die Studenten nur den Anschlag auf Leersaiten üben. Klingt ernüchternd. Aber Wagner ist seinen Lehrern dankbar dafür, dass sie seiner Technik ein Fundament gaben.

Der Starnberger ist nicht auf die Musik fixiert, wie er sagt, er hat auch eine Schwäche für Literatur. Mit seinem Bruder Elias und dem Schauspieler Peter Weiß trat er schon in Kempfenhausen, in der Bücherjolle Starnberg und auf der Roseninsel bei Feldafing auf. Ein Projekt wie der Zyklus "Platero y yo" von Mario Castelnuovo-Tedesco, also Musik mit Text, würde ihn besonders reizen. Daneben gibt Wagner als Stipendiat der Yehudi-Menuhin-Stiftung Konzerte, ob im Kindergarten, Hospiz, Pflegeheim oder einer Klinik für suchtkranke Jugendliche. Das seien "sehr herzliche, sehr emotionale Konzerte", sagt er.

Zu seinen Lieblingskomponisten gehört Agustín Barrios, der große Romantiker aus Paraguay, den Williams in den Siebzigerjahren wiederentdeckt hatte. Aber Jakob Wagner spielt natürlich auch Barockmusik und zeitgenössische Werke des Polen Marec Pasieczny und des amerikanischen Fingerstyle-Spezialisten Andy McKee, die alle Möglichkeiten des Instruments ausloten. In zwei Jahren wird er mit seinem Studium in Düsseldorf fertig sein und danach wohl noch ein Masterstudium absolvieren. Und dann? Sein Traum wäre es, an einer Hochschule zu unterrichten, "aber das wollen viele". Deshalb denkt Wagner eher an "bunte Arbeit": Konzerte geben, unterrichten, Kammermusik machen, als Studiomusiker oder fürs Theater arbeiten. Er sagt dazu: "Das Wichtigste ist, dass man aktiv und flexibel ist, man muss sich schon viel selbst kümmern."

© SZ vom 21.05.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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