Handwerk:"Der Verbraucher hat die Macht"

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Ausgezeichneter Bäcker: Thomas Böck aus Oberpfaffenhofen, hier mit Roggenbrot am Backofen. Doch wie überlebt man eigentlich als kleiner Handwerksbäcker? (Foto: Arlet Ulfers)

Die Oberpfaffenhofer Bäckerei Böck zählt zu den besten Bäckereien Bayerns - trotz Inflation, Personalmangel und Discounter-Semmeln. Wie schafft sie das? Eine Spurensuche zwischen Mehlstaub und Idealismus.

Von Dario Weber, Oberpfaffenhofen

Es riecht gut in der Bäckerei Böck. Nach einer Mischung aus Mehl, Teig und frisch gebackenen Semmeln. Bäcker Thomas Böck schiebt an diesem frühen Morgen die gerade geformten Brezeln in den Ofen. Mehlstaub hängt im großen Produktionsraum in der Luft, hinten wartet der Teig in großen Behältern. Er wird schon bald mit Marmelade und Zuckerguss verfeinert.

Es ist sechs Uhr in der Früh in Oberpfaffenhofen. Die meisten Menschen wachen jetzt so langsam auf, beginnen kurz darauf ihren Arbeitstag. Für Böck aber ist der Feierabend nicht mehr weit weg: Seit kurz nach Mitternacht ist er schon in der Backstube, knetet, formt, versüßt. In dritter Generation arbeitet er hier inzwischen schon, 1949 hatte sein Großvater die Bäckerei eröffnet. Sein Brot ist ausgezeichnet. Und zwar mit dem Staatsehrenpreis 2023 für die besten 20 Handwerksbäckereien im Freistaat. Es ist quasi der bayerische Oscar unter den Bäckerpreisen.

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Hinter der Verkaufstheke an der Wand wird es eng. Zum sechsten Mal hat er den begehrten Preis nun schon bekommen, allesamt sind sie stolz eingerahmt. Dabei werden unabhängige Handwerksbäckereien wie die Bäckerei Böck immer seltener. Schon seit Jahren sind die Zahlen in Deutschland rückläufig, immer mehr werden von Ketten übernommen. Gab es vor 60 Jahren noch rund 55 000 Betriebe, sind es 2023 nur noch knapp über 9600. Im Jahr 2022 musste fast jede 30. Bäckerei schließen. "Bäckereisterben", lautet das Schlagwort. Aber wie geht es eigentlich den Bäckereien hier im Landkreis, was sind für sie die größten Herausforderungen?

Im Laden wird Stammkunde Thomas Lützelberger (li.) von der Fachverkäuferin Tina Kugler (re.) bedient. (Foto: Arlet Ulfers)

Die kleinen Handwerksbäckereien trifft es derzeit nämlich besonders hart. Laut Zentralverband des deutschen Bäckerhandwerks machen sie nur noch rund ein Drittel der verkauften Gesamtmenge aus. Sie haben weder die Mittel noch die Größe, mitzuhalten mit den Gewinnern auf dem bundesdeutschen Backmarkt - den Massenproduzenten von Semmeln, Brezn und Plunderteig. Sie sitzen griffbereit in Supermärkten und als Backshops in Fußgängerzonen. Viele nehmen beim Einkauf gleich noch das Billig-Brot im Discounter mit. Das spart Zeit in einer Gesellschaft, in der Ehepartner immer häufiger gleichberechtigt in Vollzeit arbeiten. Außerdem schauen die Deutschen bekanntermaßen sehr auf den Preis, wenn es um den Kauf von Lebensmitteln geht.

Vier Kilometer nördlich von Oberpfaffen reicht Wilhelm Boneberger, Obermeister der Bäcker-Innung Starnberg, eine Tüte Semmeln über den Tresen. Der Inhaber von "Bonebergers Backparadies" in Gilching und FDP-Kreisrat schaut ebenfalls mit Sorge auf sein Handwerk. In den Sechzigerjahren gab es in der Innung noch 50 Bäckereien. Heute sind es gerade einmal noch acht. "Durch die gestiegenen Energie-, Rohstoff- und Personalkosten wird es immer schwieriger zu überleben", klagt Boneberger. Eine zweite Filiale musste er deshalb bereits schließen. An der Qualität des Brotes liegt das sicher nicht: Er gewann 2022 den Staatsehrenpreis. Vor allem qualifiziertes Personal zu finden, sei für ihn unmöglich gewesen, sagt er. Und die Preise für die Produkte, die eine zentrale Rolle für Bäcker spielen, sind auch deutlich gestiegen. Die Kosten für Mehl hätten sich zwischenzeitlich mehr als verdoppelt und sei für ihn heute immer noch rund 50 Prozent teurer als vor Corona und Kriegszeiten. Diese ganzen Preiserhöhungen könne man aber nicht eins zu eins an die Kunden weitergeben. "Wenn ich jetzt mit meiner Breze auf über einen Euro gehen würde", sagt Boneberger, "dann verliere ich meine Kundschaft". Denn im Discounter koste sie lediglich um die 50 Cent. "Als Kleiner hast du da einen klaren Wettbewerbsnachteil."

Die Kleinen werden von den Großen aufgekauft

Durch die Massenproduktion der großen Bäckereiketten oder der Industrie kann deutlich billiger produziert werden. So kommt es dazu, dass - wie in vielen anderen Branchen auch - der Markt immer konzentrierter wird. Die Kleinen werden von den Großen aufgekauft oder übernommen. Laut Zentralverband des deutschen Bäckerhandwerks machten 2023 Betriebe mit mehr als fünf Millionen Euro Umsatz 70 Prozent des Umsatzes der gesamten Branche aus. Noch machen fast zwei Drittel der Betriebe in Deutschland unter 500 000 Euro Umsatz und sind somit Klein- und Mittelbetriebe. Sie erzielen jedoch nur noch sechs Prozent des gesamten Umsatzes.

Boneberger seufzt. "Um eine kleine Handwerksbäckerei heutzutage weiterzuführen, gehört auch viel Idealismus dazu", sagt er. Viele seiner Kollegen arbeiten in Familienbetrieben und wollen ihr Traditionshandwerk erhalten. Die Arbeit ist lang und mühsam, die Uhrzeiten, in denen gewerkelt wird, nicht immer einfach. Und der Gewinn ist im Vergleich mit anderen Branchen eben nicht unbedingt üppig. Der Oberpfaffenhofer Bäcker Thomas Böck arbeitet 60 bis 70 Stunden die Woche, nur sonntags hat er frei.

Thomas Böck salzt die Brezen, die er kurz zuvor geformt hat. (Foto: Arlet Ulfers)

In der aktuellen Situation, in der Gesellschaft und vor allem junge Menschen von Vier-Tage-Wochen und Work-Life-Balance sprechen, passt der Bäckeralltag nicht so ganz ins Bild. "Die Vier-Tage-Woche, das wäre eine gute Sache", sagt Böck. "Doch die Brötchen, die müssen halt jeden Tag frisch verkauft werden." Zwischen 2015 und 2022 hat sich die Zahl der Auszubildenden laut Zentralverband des deutschen Bäckerhandwerks fast halbiert, von knapp 19 000 auf knapp 11 000. In der Handwerksbranche sind diese rückläufigen Zahlen in Zeiten des Fachkräftemangels kein Einzelfall. Doch sie geben auch eine Antwort darauf, warum immer mehr Bäckereien schließen. In vielen Fällen fehlt schlicht und ergreifend die Nachfolge für einen Betrieb. Manche verschwinden dann, andere werden von größeren Betrieben aufgekauft. Dort wird dann eben oft nicht mehr frisch gebacken, sondern nur noch verkauft.

Marco Fuchs, angestellter Bäcker bei der Bäckerei Böck, sieht aber auch viele Vorteile in seinem Beruf. Als ausgebildeter Bäcker habe man "absolute Jobsicherheit". Das Tolle an dem Beruf sei, mit den Backwaren, "die du gerade mit Handarbeit gemacht hast, den Leuten eine Freude zu machen". Im Büro hätte er sich nicht gesehen. Den ganzen Tag vor dem Bildschirm zu sitzen, wäre für ihn nie infrage gekommen. Das frühe Aufstehen stört ihn auch nicht, er sei schon immer Frühaufsteher gewesen. Die sozialen Kontakte müsse man zwar ein wenig umstellen, ansonsten wäre das aber kein Problem für ihn. Und das Gehalt? "Also, ich bin zufrieden", sagt Fuchs, "da kann ich mich nicht beschweren". Laut Tarifvertrag fängt ein ausgebildeter Bäcker mit zwei Jahren Berufserfahrung bei 2800 Euro brutto an.

Einen Bäcker wie Marco Fuchs zu finden, war für Inhaber Böck schwer, lange musste er suchen. Einen Azubi hatte er schon seit Jahren nicht mehr, da helfen auch seine Auszeichnungen nichts.

Handarbeit ist Trumpf: Thomas Böck knetet den Teig. (Foto: Arlet Ulfers)

Es gibt aber auch durchaus noch Hoffnung: Mehr als 2000 Bäckereien sind in Bayern noch in die Handwerksrolle eingetragen. Das bedeutet, dass in Handarbeit frisch gebacken wird. Fast jeder fünfte deutsche Betrieb ist in Bayern. Im Gegensatz zu anderen Bundesländern gibt es hier noch vergleichsweise viele Bäckereien. Doch auch im Freistaat ist der Rückgang spürbar. Was also tun gegen diesen Trend?

Viele beklagen einen zu hohen bürokratischen Aufwand, von dem sie erleichtert werden wollen. Boneberger fordert, dass die Wettbewerbsfähigkeit für Mittel- und Kleinbetriebe von der Politik gefördert werden müsse. "Wenn ein großes Unternehmen stirbt, dann kommt die Politik immer zu Hilfe." Aber die kleinen Betriebe, die würden nicht berücksichtigt.

Doch eine Sache ist Boneberger noch besonders wichtig: "Der Verbraucher hat die Macht. Jeder Kauf beim Discounter schadet der örtlichen Bäckerei." Man müsse den Leuten bewusst machen, was sie schon verloren haben - "und was sie noch verlieren können".

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