Jugendherberge Pöcking:"Ich bin froh, dass wir noch existieren"

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Christian Burggraf freut sich, dass sich wieder was rührt in seiner Jugendherberge. Dafür, sagt er, sei man ja schließlich auch da. (Foto: Nila Thiel)

Im mittlerweile siebten Jahr leitet Christian Burggraf das Haus am See in Possenhofen. Ein bisschen verflixt ist es auch: Die Coronazeit ist zwar überstanden, doch die allgemeine Teuerungsrate bescheren den Betreibern die nächsten Herausforderungen.

Interview von Viktoria Spinrad, Pöcking

Gerade einmal 500 Meter vom Starnberger See entfernt liegt in Possenhofen die einzige Jugendherberge im Landkreis Starnberg. Herbergsvater Christian Burggraf, 41, und seine Mitarbeiter haben hier eine turbulente Zeit hinter sich gebracht: 2020 brachen die Buchungen um zwei Drittel ein. Nun, mitten im Aufwind, drohen die explodierenden Lebensmittel- und Energiepreise das Geschäftsmodell zu gefährden. Ein Gespräch über Plastikhandschuhe, Bio-Essen und die gesamtgesellschaftliche Bedeutung einer Klassenfahrt.

SZ: Klassenfahrten sind das Kerngeschäft von Jugendherbergen, viele erleben seit einem Jahr sogar einen regelrechten Ansturm. Auch in Possenhofen?

Christian Burggraf: Das kann man schon so sagen. Im vergangenen Sommer waren wir vollkommen ausgebucht. Um überhaupt eine Klassenfahrt machen zu können, haben manche Schulen ihre dann auf den November und Dezember verschoben. Momentan haben wir einen regelrechten Nachfrageboom bis ins Jahr 2024. Von den Osterferien bis in diesen Sommer rein sind wir fast ausgebucht. 25 000 Übernachtungen sind es 2023 bisher - fast so viele wie noch 2019.

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Ein starker Kontrast zur Corona-Zeit. Am 18. März 2020 mussten alle Jugendherbergen in Bayern über Nacht geschlossen werden, die Buchungen fielen auf null. Jugendherbergen standen vor der Insolvenz. Wie blicken Sie auf diese Zeit zurück?

Als bei uns die Verordnung ankam, hatten wir ausschließlich Familien da. Deren Aufenthalt war dann beendet. Wir alle waren von jetzt auf gleich in Kurzarbeit. Ich habe ausschließlich noch Stornierungen abgearbeitet, tausende Übernachtungen sind weggefallen. Die Schulen wollten wissen, ob wir ihnen einen alternativen Termin anbieten können. Aber das wusste ich ja selbst nicht - niemand wusste, wie es weitergeht. Das war eine schwierige Zeit.

Konnten Sie die auch nutzen?

Wir haben die Zimmer renoviert, gestrichen und das Außengelände wiederhergestellt. Größere Sanierungen waren aber nicht drin. Wir wussten ja auch nicht, wie es finanziell weitergeht.

Zunächst waren die Jugendherbergen unter keinem Rettungsschirm. "Ich hätte gerne eine Perspektive", sagten Sie damals.

Das mit dem Rettungsschirm hat dann nach einigen Wochen des Bangens geklappt - zum Glück. Pfingsten durften wir relativ schnell wieder öffnen, allerdings nur für Familien. Es war skurril: Wo sonst das pralle Leben herrschte, war es weitgehend leer. Die wenigen, die da waren, waren umso besser drauf: Sie waren froh, überhaupt reisen zu können, auch wenn es nur in Deutschland war.

Die Jugendherberge im Pöckinger Ortsteil Possenhofen. (Foto: Nila Thiel)

Viele Betriebe mussten kreativ werden. Wie sah das bei Ihnen aus?

Wir haben uns von Hygienekonzept zu Hygienekonzept gehangelt. Als wir Pfingsten 2020 wieder aufgemacht haben, mussten wir zum Beispiel selber das Essen ausgeben. Um 140 Leuten das Essen zu servieren, fehlt uns aber schlicht das Personal. Deshalb sind wir dann zu Plastikhandschuhen für die Gäste übergegangen. Da mussten wir den Arbeitsaufwand leider über die Nachhaltigkeit stellen. Später konnten sich die Gäste dann zum Glück wieder selber bedienen.

Klassenfahrten waren während der Pandemie fast durchgehend verboten - unter Protest von Schulfamilien und Kinderärzten.

Ja, das war von jetzt auf gleich eine enorme Einschränkung für Schülerinnen und Schüler. Dabei sind Klassenfahrten so wichtig für die Entwicklung der Persönlichkeit. Wir haben hier Seminare für Klassensprecher, Streitschlichter, Chöre - das ist alles weggebrochen. Plötzlich war alles digital. Da geht so viel verloren, auch die persönlichen Erfahrungen auf einer Klassenfahrt. Da gehört ja auch der Schmarrn dazu.

In der Possenhofener Jugendherberge gibt es 142 Betten. (Foto: Nila Thiel/Starnberger SZ)

Der erste Kuss...

All sowas. All solche Erfahrungen sollen die jungen Leute weiter machen dürfen.

Seit dem vergangenen Frühjahr sind Klassenfahrten wieder erlaubt. Wie haben Sie das erlebt?

Da hatte ich teils schon die Sorge, wie Sachen wie die Maskenpflicht bei den jungen Leuten ankommen. Wir wollen ja nicht die ganze Zeit mit erhobenem Zeigefinger rumlaufen: Maske auf! Aber die Sorge war schnell wieder weg. Die Schülerinnen und Schüler waren es ja längst aus der Schule gewohnt. Eine Lehrerin hat gesagt: Es ist so schön, dass die Schüler einfach wieder gemeinsam draußen sein können, auch ohne großes Programm.

Stichwort Inflation: Der Landesverband des Deutschen Jugendherbergswerks klagt darüber, dass sich zunehmend viele Schüler eine Klassenfahrt nicht leisten können - und Klassen nur unvollständig anreisen. Ist das auch bei Ihnen ein Thema?

Bisher noch nicht. Aber ich könnte mir vorstellen, dass es noch ein Problem werden könnte. Bei den Preissteigerungen bei Lebensmitteln, Energie und schlussendlich auch Personal ist es praktisch unmöglich, die Preise zu halten. Allein das Bio-Essen, auf das wir zunehmend setzen, ist ein Drittel teurer geworden. Deswegen mussten wir die Preise auch noch mehrmals hochsetzen - leider.

"Klassenfahrten muss ein anderer Wert beigemessen werden."

Der Verband fordert vom Freistaat, Klassenfahrten zu subventionieren. Sind Schulausflüge eine öffentliche Aufgabe?

Natürlich würden auch wir Jugendherbergen davon profitieren, aber eben auch die jungen Menschen. Klassenfahrten muss ein anderer Wert beigemessen werden. Wenn sie nicht mehr selbstverständlich dazugehören, wäre das nicht nur schade, sondern auch gefährlich für die Entwicklung der Schüler.

Bei Ihnen können Schulen Teamtrainings buchen. Was ist hier der "Bestseller"?

Die Sozialtrainings haben schon nochmal Fahrt aufgenommen. Im Sommer bauen Schulklassen dann zum Beispiel Flöße, mit denen man für eine bestimmte Zeit auf dem Wasser bleiben muss. In Kleingruppen wird das Material gesammelt. Solche Übungen zeigen: Für die Gemeinschaft ist jeder wichtig.

Was bedeutet die "Renaissance" der Jugendherbergen für Sie persönlich?

Ich bin einfach glücklich, wieder den alten Arbeitsalltag aus der Vor-Corona-Zeit zu haben. Buchungen verwalten, die Abläufe besprechen, unsere Angebote erklären und den Menschen, die kommen, eine schöne Zeit bescheren. Ich bin froh und dankbar, dass sich doch alles zum Guten entwickelt hat, dass wir als Jugendherbergen überhaupt noch existieren - und weiter Gastgeber sein dürfen.

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