Kinder sehen die Welt mit anderen Augen: Einen gebrochenen Arm etwa stellen sie sich wie einen zerbrochenen Stock als Gliedmaße in zwei Teilen vor. Erwachsenen fällt es mitunter schwer, eine kindliche Sichtweise einzunehmen - besonders im Bereich der Kulturgeschichte. Vermutlich liegt das an der vermeintlichen Ernsthaftigkeit und Schwere der historischen Ereignisse. Dass Geschichte auch anders daherkommen kann, beweist die Starnbergerin Claudia Wagner mit ihrem Buch "König & Kaiserin auf kleinem Fuß", das sie im Eigenverlag herausgegeben hat.
Zwei Spaziergänge entlang des Starnberger Sees stellt die 44 Jahre alte Kunsthistorikerin und Lektorin vor. Im Norden und Osten des Sees steht König Ludwig II. im Mittelpunkt der zehn Stationen, die zu Fuß, mit dem Auto oder per Schiff angesteuert werden können, am Westufer dreht sich alles um Kaiserin Elisabeth von Österreich. Das Taschenbuch in handtaschentauglicher Größe bietet zu allen Stationen die wichtigen historischen Fakten. Viel interessanter aber sind die scheinbar unwichtigen Dinge aus dem alltäglichen Leben der beiden, die in jungen Jahren große Verantwortung übernehmen mussten und ein eher unglückliches Leben führten. Was haben sie gespielt und gegessen, und durften sie auch alleine unterwegs sein?
Wagner erzählt, dass der Kini am liebsten Süßes aß, in der Folge unter Zahnschmerzen litt, aber aus Angst nicht zum Zahnarzt ging. Schließlich habe er nur mehr vier schwarze Stumpen im Mund gehabt. "Folglich nuschelte Ludwig und hielt sich beim Essen ein parfümiertes Taschentuch vors Gesicht", schreibt Wagner. Sie berichtet vom Hofkoch Theodor Hierneis, der stets dem Blick des Königs ausweichen musste, und von Ludwigs Traum vom Fliegen. Auch sein Lieblingspferd "Cosa Rara" findet Erwähnung; es steht heute ausgestopft im Marstallmuseum. Am liebsten aber, so berichtet Wagner, die regelmäßig Schulklassen führt, rätseln die Kinder über Ludwigs Tod. "Die erspinnen die wildesten Theorien."
Über Sisi erfährt man, dass sie sich im Hinterzimmer einer griechischen Kneipe ein Anker-Tattoo hat stechen lassen. "Franz Joseph war entsetzt", schreibt Wagner. Ihre langen Haare ließ sie nach dem Waschen an Haken trocknen, die an der Zimmerdecke befestigt waren. Überhaupt widmete sie sich ihrer Schönheit, ließ sich täglich mehrere Stunden frisieren, badete kalt, ließ sich massieren und machte täglich Gymnastik. Zusätzlich achtetet sie extrem darauf, was sie aß. "Es gab Tage, an denen sie nur sechs Orangen aß oder sich fast ausschließlich von Milch ernährte", schreibt Wagner. Das Ergebnis war ein feenartiger Körper, "aus heutiger Sicht sind ihre Körpermaße hochgradig ungesund".
Die Texte schmücken Fotos oder liebevolle Illustrationen, die Wagners Schwiegervater angefertigt hat. Darüber hinaus finden sich Anregungen, sich selbst mit dem Leben der Herrscher von einst auseinanderzusetzen. So kann man einen Freundebuch-Eintrag von König Ludwig erstellen oder seine Unterschrift üben, Sisi ein schönes Kleid malen oder einen Fächer basteln, wie sie ihn einst trug. "Kreative Kurzweiöl" nennt Wagner das.
Der Autorin ist es wichtig, dass sowohl Kinder als auch Erwachsene bei den Touren auf ihre Kosten kommen. 2015 hatte sie "Starnberg auf kleinem Fuß" geschrieben, das im Stadtverlag erschien. Diesmal hat sie alles selbst gestemmt. Sie hat sich viel Mühe gegeben, forschte im geheimen Hausarchiv der Wittelsbacher nach, traf sich mit Franz Herzog von Bayern, der ihr daraufhin das Geleitwort schrieb. Herausgekommen ist ein schön gemachtes Buch, das Kindern und Jugendlichen womöglich die Illusion eines königlichen Lebens nimmt. Stattdessen werden die Herrscher zu Menschen mit Freuden und Problemen.
"König & Kaiserin auf kleinem Fuß" von Claudia Wagner, ISBN 978-3-00-055966-2; 12,95 Euro. Auf Anfrage bietet Wagner auch Führungen passend zum Buch an.