Musik:Heile Welt mit Herz und Schmerz

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Widmen sich den Hits der Prilblumen-Ära (von links): Frederic Hollay am Klavier, Julia von Miller und Anatol Regnier. (Foto: Arlet Ulfers)

Julia von Miller, Anatol Regnier und Frederic Hollay gehen mit Schlagern der 70-er Jahre auf Zeitreise

Von Katja Sebald, Seeshaupt

"Schööön ist es auf der Welt zu sein", trällerte eine Konzertbesucherin, als sie in der Pause ihren Rollator aus dem Saal schob. Mission accomplished, möchte man da sagen. Aber halt: falsche Zeit, falscher Ort. Es waren die Schlager der Siebziger Jahre, mit denen Julia von Miller, Anatol Regnier und Frederic Hollay am Donnerstag in der Seeresidenz "Alte Post" in Seeshaupt gastierten. Selbst der Titel des Programms "Let it Be" führte in die falsche Richtung, denn es ging beinahe ausnahmslos um deutsche Schlager von Heino bis Wencke Myhre.

Das Programm ist die Fortschreibung ihrer erfolgreichen Schlagerrevue, mit der das Trio ein Stück deutsche Geschichte von den Zwanziger Jahren bis in die Wirtschaftswunderzeit erzählte. Und nun also die Siebziger: Das Wirtschaftswunder war vorbei, die dunklen Zeiten endgültig verdrängt und kollektiv vergessen. Für Regnier, geboren 1945, war es "das Jahrzehnt des großen Ausprobierens": Nicht nur in Sachen Mode mit Schlaghosen und Blumenmustern, sondern auch in gesellschaftlicher Hinsicht mit strickenden Männern und Frauen, die auf Büstenhalter verzichten und ihren Bauch für sich haben wollten. Den Darm regulierte man mit Apfelessig und die Karriere mit bei Konsul Weyer gekauften Titeln. Dann aber wurde das Öl knapp und die RAF begann zu morden, im Hintergrund rumorte der Kalte Krieg. In der Musik schlug sich das alles aber nicht nieder: Man blieb beim Altbewährten und besang die heile Welt mit Herz und Schmerz. "Das bisschen Haushalt" war da schon das absolute Maximum an Feminismus.

Regnier fasst als Chronist die Ereignisse des Prilblumen-Jahrzehnts ebenso pointiert wie humorvoll zusammen und wird selbst zum Akteur - etwa als Roy Black im Duett mit Anita, als Charles Aznavour ("Du lässt Dich gehn") mit französischem Akzent und als Peter Alexander ("Kleine Kneipe") samt Wiener Originalversion. Mit feinsinniger und völlig unprätentiöser Musikalität ist er über alle Untiefen von Hitparade und Disco erhaben.

Julia von Miller, bekannt auch und vor allem als Jazz- und Chansonsängerin, gibt in diesem Programm die "Schlagernudel". Und um es gleich vorweg zu nehmen: Die weitaus meisten dieser fetten Schnulzen singt sie weitaus schöner als im Original. Heinos "Karamba, Karacho, ein Whisky" und sein "Blau blüht der Enzian" oder Karel Gotts "Babicka", "Herzen haben keine Fenster" oder sonst ein "Shabadabadabdab", sind wohl selten so sauber und elegant, so fein moduliert und charmant interpretiert worden. Als Vamp kann sie bei "So ein Mann, so ein Mann" mit Margot Werner locker mithalten, mit der putzenden und bügelnden Johanna von Koczian sowieso. Sie fährt mit "Theo nach Lodz" und später als junges Mädchen "im Wagen vor mir", zum Schluss besteigt sie auch noch das "knallrote Gummiboot".

Die drei wirklich unsterblichen Songs dieses Abends, zu denen nicht nur das titelgebende "Let It Be" und das ebenso unerreichbare "Bridge Over Troubled Water" gehörten, sondern auch "Du hast den Farbfilm vergessen" von der diplomierten Schlagersängerin Nina Hagen, blieben dagegen jedoch schmerzhaft weit hinter dem Original zurück. Das lag wohl auch an der zwar virtuosen, aber in den ganz großen Momenten auch unerbittlichen Klavierbegleitung: Die einzigartigen Augenblicke der Popgeschichte, in denen die Welt erzittert, lassen sich eben nicht mit dem Metronom messen.

Dieser Schlagerabend ist eine ausgesprochen amüsante, aber auch höchst skurrile Zeitreise: Blickt man aus dem Jahr 2018 zurück auf die 1970er-Jahre, dann erscheint vieles an dieser Schubidubi-Schunkelei recht schal. Seinem Untertitel "Kitsch und Tragik der 70er" wird dieses Programm jedenfalls voll und ganz gerecht: Auch wenn es nur eine leise, manchmal sogar sehr leise Ironie ist, mit der sich die Interpreten an die unverwüstlichen Melodien und ihre Texte machen, so ist dieser Abend doch auch eine Hommage an die Schlagersänger, die erst gefeiert wurden und dann am schönen Schein zerbrachen.

© SZ vom 28.07.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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