Schaukasten 4 in Starnberg:Eine Ode an die Dinge

Lesezeit: 3 min

Stolz präsentiert Rosemarie Zacher ihre Wunderkammer. Alle Werke sind ohne Titel. (Foto: Arlet Ulfers/Starnberger SZ)

Mit ihrer "Wunderkammer" begibt sich die Gautinger Künstlerin Rosemarie Zacher im Museum Starnberger See auf eine phantasievolle Reise durch die Zeit.

Von Luzi Power-Feitz, Starnberg

Zwei Stroh-Nester, die von Alligatoren behütet werden. Gleich daneben ein antiker Globus, ein verrostetes Brillenetui, eine Kakaokanne und ein uraltes Bügeleisen: Es wirkt wie eine absurde Kombination von Gegenständen, die im untersten Fach des Schaukastens 4 zu sehen ist. Dass es hier um kulturelle Aneignung geht - darauf muss man erstmal kommen.

Im Rahmen der Wechselausstellung "Gegenwartskunst im Heimatmuseum" des Museums Starnberger See bespielt Rosemarie Zacher im März den Schaukasten 4. Die Gautinger Künstlerin ist eine Allrounderin: als Malerin, Zeichnerin, Graphikerin, Illustratorin, Karikaturistin, Bildhauerin, Objektkünstlerin und Textilgestalterin prägt Rosemarie Zacher schon lange die Starnberger Kulturszene. Mit nur 23 Jahren erhielt die Künstlerin 1989 den ersten Kunstpreis der Stadt Starnberg. Mittlerweile gehört sie zu den Mitgliedern der Jury. Die letzte Auszeichnung erhielt Zacher im Herbst 2022, als sie mit dem Kulturpreis des Landkreises Starnberg ausgezeichnet wurde.

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"Rosemarie Zacher zu überzeugen, dem Trend des Minimalismus zu folgen, käme für sie absolut nicht in Frage", witzelt die Historikerin, einstige Kulturamtsleiterin und Kuratorin Annette Kienzle bei der Eröffnungsrede. Rosemarie Zacher ist leidenschaftliche Sammlerin von Dingen aller Art. Die Künstlerin versuche das Eigenleben der Dinge in ihren Werken hervorzubringen; durch ihre Hand erhielten sie eine neue Heimat, und erzählten wunderbare Geschichten, so die Kuratorin.

Rosemarie Zacher will auf kulturelle Aneignung aufmerksam machen

Den Schaukasten 4 hat Zacher zu ihrer persönlichen Wunderkammer verwandelt. Die studierte Kunsthistorikerin spielt damit auf die Wunderkammern an, die einstmals die Eingangshallen von Fürstenhäusern zierten: In den Vitrinen wurden exotische Dinge ausgestellt, die von Reisen aus fernen Ländern mitgebracht worden waren. In ihrer persönlichen Wunderkammer arbeitet Rosemarie Zacher mit den verschiedenen Dimensionen der Zeit: Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft.

Im untersten Fach des Schaukastens begibt sich Rosemarie Zacher auf eine Zeitreise in ihre Vergangenheit. Eine Uhr ihrer Eltern, eine Handpuppe eines Verwandten und eine Kakaokanne, die die Künstlerin im Kindesalter selbst gestaltet hat, lassen persönliche Erinnerungen der Künstlerin aufblühen. Mit den wundersamen Gegenständen, wie den Alligatoren, will Zacher aber auch auf eine dunkle Zeit in der Vergangenheit anspielen. Sie will aufmerksam machen auf kulturelle Aneignung - ein hochpolitisches Thema in postkolonialen Zeiten.

Schutzheilige - "die können wir in der heutigen Zeit gut gebrauchen", sagt Rosemarie Zacher

Die oberen zwei Etagen des Schaukasten 4 symbolisieren die Gegenwart. Die vielen Tonfiguren, die auf beiden Etagen platziert wurden, verkörpern "Schutzheilige", wie die Künstlerin sie nennt. "Die können wir in der heutigen Zeit gut gebrauchen", sagt Rosemarie Zacher mit einem Lächeln. Die Künstlerin hat mit viel Liebe zum Detail jede Figur mit einem eigenen Charakter ausgestattet.

Dazu hat die Künstlerin Glühbirnenteile, Flaschendeckel, und sogar Rohre aus der Kanalisation verwendet - alle aus ihrer Sammlung. Jeder Heilige hat eine andere Aufgabe. So gibt es Petrus mit Schlüssel in der Hand, aber auch eine andere Figur mit gebrochenem Krug als Mahnzeichen vor Alkoholismus. An der Wand rechts neben dem Schaukasten hängen, passend zu den Heiligen, fünf Schutzamulette, die die Künstlerin speziell für diese Ausstellung gestaltet hat.

Rosemarie Zachers Liebe zum Detail beschert jedem Schutzheiligen einen individuellen Charakter. (Foto: Arlet Ulfers)
Neben dem Schaukasten verzieren fünf Schutzamulette die Wand. Ein Plattenspieler sorgt für die noch fehlende Dynamik der Ausstellung. (Foto: Arlet Ulfers)

Auf einmal hört man es rattern: Rechts neben dem Schaukasten zieht ein Schallplattenspieler mithilfe eines Metallstabs einen Alligator auf Rädern auf einem Tablett vor und zurück. "Diese Installation soll der Ausstellung die Dynamik geben, die noch fehlte", erklärt Zacher.

Himmel und Hölle: Die Künstlerin lässt den Besuchern großen Interpretationsraum

Um der Dimension der Zukunft Raum zu geben, hat die Künstlerin sogar das "Dach" des Schaukastens bespielt. Ein Flugzeug, eine Tonfigur und das Kinderspiel "Himmel und Hölle" stehen auf der Vitrine. Das Flugzeug stehe für die Frage, wo die Menschheit mit der fortschreitenden Technik landen werde, erklärt die Künstlerin. Mit einer ähnlichen Fragestellung befasst sich das Faltspiel: Sind die Konsequenzen unserer Handlungen gut oder schlecht? Himmel oder Hölle - was wartet auf uns? Die Tonfigur soll den Betrachter an die Vergänglichkeit erinnern, "so wie der Lehm der Erde entnommen wurde, werden wir auch wieder zu Erde", erzählt die Künstlerin, während sie den Schaukasten betrachtet.

Das Faszinierende an Zachers Gestaltung des Schaukastens ist, wieviel Interpretationsraum die Künstlerin offen lässt. Deshalb ist es nur konsequent, dass Rosemarie Zachers Kunstwerke keine Titel besitzen. "Auf jede komplexe Frage gibt es eine einfache Antwort . . . und das ist die falsche" - so lautet eines der Zitate, die im Schaukasten 4 ausliegen. Man muss die Kunst von Rosemarie Zacher also als komplexe Fragen verstehen, die aber unmöglich mit nur einem Titel beantwortet werden können. Jeder Betrachter darf sich ganz individuelle Antworten überlegen.

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