Konzert:Wogende Lyrik, kakofone Fluten

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Klassische Wurzeln, Lust am Experiment: Der polnische Violinist Adam Bałdych galt schon bald als Wunderkind und fand mit 13 Jahren zum Jazz. (Foto: Arlet Ulfers)

Adam Bałdych und Helge Lien verblüffen im Duo in Feldafing mit vielen überraschenden Kontrasten

Von Reinhard Palmer, Feldafing

Die Kulturen der weiter gefassten Region rund um die Ostsee weisen mit ihrem melancholisch-sentimentalen Charakter schon viel Gemeinsamkeiten auf. Gerade in der Musik verbinden Skandinavien, die baltischen sowie einige slawische Länder eine elegische Grundstimmung, aber auch ein Hang zum Poetischen, Klangmalerischen und Narrativen. Das gilt auch für den Jazz, der dementsprechend meist überaus imaginativ und bildhaft-suggestiv ausfällt. Das dürfte auch der Grund dafür sein, dass der polnische Violinist Adam Bałdych und der norwegische Pianist Helge Lien so wunderbar miteinander harmonieren.

Zu Gast bei "Jazz am See" im Feldafinger Bürgersaal bewies das Duo jedenfalls absolute Homogenität - im Spiel, Zugriff und der Ausdrucksweise. Und das war auch für die inhaltlichen Vorstellungen hilfreich, gaben die Musiker doch sonst zum Verständnis von Titeln wie "Faith", "Love" oder "Brothers" keine Erläuterungen. Die Musik, die Bałdych zusammen mit dem Helge Lien Trio in den Alben "Bridges" und "Brothers" (dort um ein Saxophon erweitert) aufgenommen hat, ist sehr stimmig. Aber nicht etwa aufgrund einer stilistischen Reduktion - nein, im Gegenteil: In dieser Musik finden sich ganze Welten der Folklore, Klassik und Neuen Musik sowie des Jazz bis hin zum Rock. Es ist gerade die in Bildern erzählende Verarbeitung des reichhaltigen Materials, die jedes Stück in ein Hörabenteuer verwandelt. Und das folgt immer einer klaren Dramaturgie, in der geradezu organisch eins aus dem anderen hervorgeht, die aber zugleich viel Freiraum für überraschende Wirkungen öffnet. Es sind insbesondere die plötzlichen Wendungen zwischen gegeneinander kontrastierenden Charakteristika, die der Musik des Duos enorm viel Spannung verleihen und dank der Überraschungseffekte niemals langatmig werden, auch wenn sich das Duo viel Zeit für die Entwicklung der meist selbst verfassten Kompositionen nahm.

Diese überraschenden Wendungen erforderten viel Fingerspitzengefühl und einfühlsames Vorgehen. Dabei erwies es sich zweifelsohne von Vorteil, dass beide Musiker trotz elektronischer Verstärkung beim authentischen Klang ihrer Instrumente blieben: Das ermöglichte ein subtileres Gestalten und beraubte vor allem die gefiedelten musikantischen Elemente nicht ihres besonderen klanglichen Reizes. Bałdych nahm zwar gerne die Vorteile des Tonabnehmers an - insbesondere bei perkussiver Spielweise, beim Pizzicato und bei der klangexperimentellen Erzeugung von Geräuschen. Aber der 32-Jährige wurde am Instrument durchaus auch seinen klassischen Wurzeln gerecht. Sehr reizvoll wirkte es, wenn nach wild improvisierten oder gar rockigen Passagen plötzlich eine Rücknahme erfolgte und der Geiger mit empfindsamem, instrumentalem Gesang seelentief abtauchte. Zumal wenn ihn von Lien in der Bildung von soundscape-artiger Atmosphäre einfühlsam und klangschön unterstützte. Solche Kehrtwenden waren enorm wirkungsvoll und sprachen das Publikum unmittelbar, ja berührend an.

Die kammermusikalische Reduktion auf ein Duo war ein anspruchsvoller Schritt und nötigte zu extremer Präzision. Dazu war vor allem spieltechnisches Könnens erforderlich: Eine Anforderung, die beide Musiker mit Bravour absolvierten, wobei sie sich kreuz und quer durch diverse Spielweisen und experimentelle Finessen frei bewegten. Ohne Bass, Schlagwerk und weitere Melodieinstrumente fielen Lien wie Bałdych im Ensemblespiel gleich mehrere Funktionen zu. In der hohen Schule des suggestiven Gestaltens gelang es, weite Melodiebögen in luftigen Höhen schwebend zu spannen und dennoch das rhythmische Grundgerüst spüren zu lassen. Dann reicht es auch, an prägnanten Stellen rhythmisch zu akzentuieren, perkussive Passagen einzuflechten oder kurz einen Groove ins Ohr der Zuhörer zu setzen, um das Schlagwerk gedanklich mitzuführen.

Ein Flügel ist zudem vielseitig genug, um auf mehreren Ebenen gleichzeitig zu agieren. Und der 43-jährige Lien hat in allen möglichen Konstellationen genügend Erfahrung, sich zwischen den Aufgaben spielerisch zu bewegen - zumal ihm seine Virtuosität eine breite Palette von Möglichkeiten an die Hand gibt: Beginnend bei klangexperimenteller Bearbeitung der Saiten über wogende Lyrik bis hin zu rockigem Groove oder gar wild-kakofonen Fluten zeigte der zurückhaltende Norweger gänzlich unangestrengt, was an den Tasten so alles möglich ist. Nach Hause schickte das Duo die beglückten Zuhörer aber mit einer zarten Seelenmassage: Dem Song "Hallelujah"des kanadischen Poeten Leonard Cohen.

© SZ vom 12.02.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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