Konzert:Voller Spannung

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Ein weiteres Highlight des Tages ist die Münchner Singer-Songwriterin Amélie Haidt. (Foto: Georgine Treybal)

Die Singer-Songwriterin Amélie Haidt aus Weßling legt mit ihrem Sextett in Seefeld einen mitreißenden Auftritt hin

Von Reinhard Palmer, Seefeld

Vielleicht sollte man ein wenig präzisieren, was die Veranstalter von Kultur im Schloss Seefeld unter der Überschrift "Neue Bands am Start!" verstehen. Es geht hier nicht etwa um Hinterhoftruppen, die ihre Verstärker selbst zusammenklopfen und sich in Kellerverliesen autodidaktisch die ersten Gitarrengriffe beibringen. Nein, die Seefelder Bands am Start kommen zumindest mit dem Bachelor der Musikhochschule daher. Was bedeutet: Sie beherrschen ihre Instrumente oder Stimme und haben auch ausgiebig Harmonielehre, Komposition, Instrumentierung, Arrangement und vieles mehr solide beigebracht bekommen.

Dennoch macht das die Sache nicht viel leichter, denn der Konkurrenzdruck steigt, und die Zahl der Konzertgänger nimmt eher ab. Es gilt also, sich von der Masse abzuheben, originell zu sein, einzigartig und emotional anzusprechen. Was das Amélie-Haidt-Sextett auf die Bühne des akustisch verbesserten Sudhauses brachte, tendierte schon in die richtige Richtung. Nicht von Anfang an, denn die Aussteuerung der Anlage gab zunächst nur Lärm her, sozusagen als Bestätigung eines Suchappells, denn der Verein braucht noch technisch fähige Mitglieder. Es wurde aber schnell besser. Und die Stimmung im randvollen Sudhaus machte den Spätnachmittag perfekt.

Die aus Weßling stammende Jazzsängerin und Gitarristin Haidt brachte zu ihrem Beinahe-Heimspiel mit, was sie für den Bachelor abliefern musste: nicht nur eigene Songs, sondern auch eine Band, deren Besonderheit zweifelsohne das starke Schlagwerk ist. Mit dem energisch-präzisen Drummer Marco Dufner und dem hyperkreativen Percussionisten Samuel Wootton sowie dem schmissig groovenden Kontrabassisten Maximilian Hirning dominierte die Rhythmusgruppe das Szenario. Das war der unabdingbare Antriebsmotor für die kraftvoll drängende Musik. Zugleich lieferte vor allem der Tausendsassa Wootton mit Klangschalen, Rasseln, Trommeln und anderem viel Imagination für experimentelle Klangspiele, auf die Leo Betzl am bisweilen präparierten Flügel und Moog-Synthesizer besonders eng einging. Seine ausschweifenden Soli verdichteten sich meist zum virtuosen Bebop. Hier präsentierte sich ein technisch brillanter Pianist, der seiner Vermittlungsrolle zwischen Rhythm Section und dem thematischen Geschehen auf packende Weise gerecht wurde.

Dennoch ging es nicht darum, stilistisch homogen zu agieren. Jeder Musiker konnte seine Stärken und Vorlieben einbringen, ohne sich verbiegen zu müssen. E-Gitarrist Lukas Häfner tendierte eher zum Rock, schon mal gerne etwas funky. Haidt, die zwischen Pop, Jazz, Hip-Hop und Singer Songwriter unplugged wandelt, mag es an der Gitarre ebenfalls rockig. Sie beschränkte sich aber weitgehend aufs Begleiten, war ihre Hauptaufgabe doch schließlich der Gesang, den sie mit wandelbarer, farblich changierender Stimme sicher über die oft kleinteiligen Strukturen legte. Auch wenn die Band mal entfesselt in ein gewolltes Chaos ausbrach.

Nur einmal ließ sich Haidt auf ein ausgiebiges Gitarrensolo ein und überzeugte mit hymnisch gesteigerten Phrasenbildung, wie man sie von feinsten Rockballaden her kennt. Nicht selten wählt sie in ihren Kompositionen ein hektisches Element als Ausgangsmaterial, was der Musik immer wieder auch eine hastende Note gab. Mit "Hounted" machte sie die Empfindung des Abgehetzt-Seins im heutigen Alltag greifbar, was in der Musik durchaus auch stilbildend sein konnte. Selbst in Balladen ruhte sich die Truppe nie aus, blieb voller Spannung und ließ es unter der Oberfläche brodeln. Um so mehr überraschte eine Bearbeitung des Beatles-Songs "Help", der inDaniel Scheffels Version in Zeitlupe ausgeführt und so zu einer sentimentalen Ballade wurde, in der aber wieder die Percussion-Geräuschkulisse über die Grundstimmung entschied.

Amélie Haidt ist eine Grenzgängerin zwischen diversen Genres, woraus sie die Routine schöpft, in ihren Songs stilistische Tabus zu brechen, ohne die Schlüssigkeit zu sprengen. Was sie mit dem Gitarristen Wolfgang Netzer im Unplugged-Genre praktiziert, brachte sie auch nach Seefeld, alleine mit ihrer akustischen Gitarre, die sie seit ihrem achten Lebensjahr begleitet. Die Einlage wurde zu einer stimmungsvollen Bestätigung, dass Haidt ihr Handwerk beherrscht und ohne viel Brimborium gute Musik machen kann. Mit dem Material stehen ihr sicher einige Wege offen, so mit den Bands MissMango, 23 Karat oder Siea, einer zehnköpfigen Münchner Frauen-Band. Und wenn sie immer so begeistern kann wie in Seefeld, dann steht der Karriere nichts im Weg.

© SZ vom 04.02.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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