Konzert:Vergoldet und verputzt

Lesezeit: 2 min

Die Sängerin Julia von Miller beim Schlagerabend zum Auftakt des kleinen Sommerfestivals. (Foto: Franz Xaver Fuchs)

Mit Schlagerliedern startet das Gautinger Sommerfestival

Von Reinhard Palmer, Gauting

Zuerst die schlechte Nachricht: Die schöne Rückwand der Bühne in der Gautinger Remise von Schloss Fußberg mit ihrem Konglomerat aus Ziegeln, Bruch- und Flusssteinen wurde weitgehend übertüncht. Sauber und ordentlich verputzt. Nur ein Rechteck blieb unberührt. Die gute Nachricht: Bürgermeisterin Brigitte Kössinger (CSU) eröffnete nun mit einer Dankesrede, die so klang, als gäbe es in Gauting sonst kein anderes Kulturunternehmen, das 11. kleine Sommerfestival. Der künstlerische Leiter Florian Prey dankte überschwänglich und bat zur Eröffnungsveranstaltung.

Allerdings träumte hier nicht ganz Paris von der Liebe, wie ursprünglich angekündigt. "Ich tanze mit dir in den Himmel hinein", war vielmehr der Titel der Veranstaltung mit Schlagern aus den Jahren 1929 bis 1969. Von "Wenn ich mir was wünschen dürfte" über "Lili Marleen" bis hin zu "Zwei kleine Italiener". Ein in vielerlei Hinsicht zwiespältiges Programm.

Im Grunde war es ein kritischer Rückblick auf die Geschichte einer musikalischen Gattung, die wie keine andere den Geist und auch den Ungeist der deutschen Gesellschaft widerspiegelte. "Die Erinnerung vergoldet alles", meinte schelmisch Anatol Regnier, der mit Julia von Miller die Hintergründe beleuchtete und gelegentlich auch sang, während der Pianist Frederic Hollay einfühlsam begleitete und zwischendurch mit einem packenden Solo glänzte. Er beherrscht das Repertoire und konnte sich entspannt um die adäquate nostalgische Atmosphäre kümmern und Miller die Freiheit zugestehen, die sie für ihre ausdrucksstarken, bisweilen parodierend überzogenen Schlagerinterpretationen benötigte wie zum Beispiel bei dem Lied "Ich will einen Cowboy als Mann".

Die kabarettistischen Einlagen zwischen den Schlagern jonglierten sprachlich geschickt mit den zwei konträren Sichten einerseits aus der jeweiligen Zeit heraus, andererseits mit wertendem Blick zurück. Die Kritik galt nicht nur dem Umgang mit jüdischen Autoren aus der Schlagerwelt und der Vereinnahmung der seichten Muse durch die Nazis, die damit versuchten, ihrem Grauen eine idyllische Fassade zu verpassen. Miller und Regnier thematisierten auch die Nachkriegszeit, die Rückkehr der traumatisierten Männer und das deutsche Wirtschaftswunder, gekoppelt an eine Generalamnesie, Spießigkeit und ein unverändertes Frauen- und Familienbild.

Bis hin zur sexuellen Revolution, die aus dem Leben der Achtundsechziger herüber schwappte in die prüde Welt mit der Fassade der Anständigkeit und Sittsamkeit. Schön sauber und ordentlich wie die neu verputzte Wand, aber doch mit einem Auge auf den Itsy Bitsy Teenie Weenie Honolulu Strandbikini und dessen Inhalt. Das Publikum war begeistert. Die Frage ist nur: wovon?

© SZ vom 20.05.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: