Konzert:Trost- und Trauermusik

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Fesselnde Begegnung: das Münchner Streichquartett und die Sopranistin Lydia Teuscher in der Evangelischen Akademie Tutzing. (Foto: Nila Thiel)

Das Münchner Streichquartett gibt in Werken von Schostakowitsch und Mendelssohn ganz unterschiedliche Facetten des Abschieds vom Leben wieder

Von Reinhard Palmer, Tutzing

"Kann Musik wirklich helfen, wenn Tod oder Trennung ins Leben schneidet?", fragt Jörg Handstein im Programmheft des 5. Kammerkonzerts der BR-Symphoniker in der Evangelischen Akademie Tutzing. Auf alle Fälle spendet Musik Trost, weil sie seelentief eindringen und Emotionen hervorlocken kann. "Der Ton spricht aus, was im Menschen selber noch stumm ist", zitiert Handstein Ernst Bloch.

Viele Komponisten verarbeiteten Verluste in ihrem Œuvre: mal schmerzlich klagend, mal still trauernd oder auch versöhnlich Hoffnung stiftend. Schostakowitsch tat es mehrmals und das Münchner Streichquartett mit Anne Schoenholtz und Stephan Hoever an den Violinen, Mathias Schessl an der Viola und Jan Mischlich am Violoncello wählte den Extremfall daraus: Mit dem Streichquartett es-Moll op. 144 nahm der Komponist Abschied vom eigenen Leben. Er nahm sein Schicksal mehr oder weniger gefasst hin - die Musik gibt indes beredtes Zeugnis von einer schier unendlichen Trauer, vielleicht auch der Vorahnung des ewigen Nichts. Alle sechs Abschnitte des einsätzigen Werkes tragen die Bezeichnung "Adagio" und drücken den Schmerz mit Nerv tötender Monotonie aus. Schostakowitsch verzichtete dabei fast gänzlich auf dramaturgische Hilfsmittel und machte es damit den Interpreten nicht gerade leicht. Doch das Münchner Streichquartett hielt trotz der weiten, eben ereignisarmen Dehnung die Spannung aufrecht und zog den Bogen der Beklemmung konsequent bis zum letzten Ton.

Es ist ein introvertiertes Leiden, im Gegensatz zum Streichquartett f-Moll op. 80 von Felix Mendelssohn, in dem der Komponist nach langem Schweigen den frühen Tod der geliebten Schwester Fanny betrauerte, aber sich auch auf das eigene Ende vorbereitete. Der Tod Fannys hatte ihn lange gelähmt, so ist das Stück ein Rückblick auf die Benommenheit unerträglichen Schmerzes, kein spontan-emotionaler Ausbruch. Dennoch offenbarte das Streichquartett starke Gefühle und auch einen Ausruf der Verzweiflung. Gerade in den energischen Rahmensätzen wird die extrovertierte Haltung deutlich, immer wieder durchsetzt von liebevollen Rücknahmen, die den Aspekt der Hilf- und Kraftlosigkeit berücksichtigen. Die Liebe zu Fanny formte das Ensemble vor allem im Adagio, das in klangwarmer Schönheit überaus zärtliche Gefühle evozierte. Ein deutlicher Unterschied zur eher fatalistischen Haltung Schostakowitschs, dessen klangschön ausbalancierte Lyrik eher Ausdruck vom Ausgeliefertsein, Zerbrechlichkeit und Tragik ist. Mendelssohn suchte indes die Versöhnung, war bemüht, die zärtliche Liebe zu Fanny vom Tod ungetrübt zu bewahren.

Auf eine ganz andere, im Grunde philosophische Facette des Abschieds ließ sich das Streichquartett mit der renommierten Sopranistin Lydia Teuscher ein. Die acht Lieder und ein Fragment von Mendelssohn nach Gedichten von Heinrich Heine bearbeitete und ergänzte Aribert Reimann mit sechs Intermezzi unter dem Titel "...oder soll es Tod bedeuten?". Reimann übernahm die Melodielinien der Lieder wie beispielsweise "Leise zieht durch mein Gemüt", "Auf Flügeln des Gesanges" und "Warum sind denn die Rosen so blass"; wich aber im Quartettsatz von der ursprünglichen Klavierbegleitung in der Charakteristik deutlich ab. So erfuhren die Lieder eine neue Deutung und mittels der Intermezzi eine Verbindung zu einem geschlossenen Zyklus. Die Atmosphäre, die das Münchner Streichquartett sorgsam formte, erklang mit Cluster-Chromatik geradezu mystisch und konkretisierte sich dann immer wieder mit thematischen Zitaten. Mit scharfen Dissonanzen oder stark hervorgehobenen, impulsiv pointierten Passagen kam es zu einer neuen Hinterlegung der Texte, obgleich Teuscher die ursprünglichen, melodischen Gedanken beizubehalten hatte und sie auch klangschön im Sinne Mendelssohns aussang. Den fünf Musikern gelang es hier, Reimanns Infragestellung mit der musikalischen Auslegung Mendelssohns zu multiplen, durchaus kontroversen Aussagen zu vereinen: Eine fesselnde Begegnung zweier gar nicht mal so disparater Welten. Langer Dank.

© SZ vom 12.06.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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