Konzert:Sinfonisch gedacht

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Kammermusik ist nicht genug: das mit Gästen verstärkte Ensemble Berlin bei seinem Auftritt im Gautinger Bosco. (Foto: Nila Thiel)

Ensemble Berlin spielt im Bosco Mozart und Schneider

Von Reinhard Palmer, Gauting

Mit Oboe und fünf Streichern war das Ensemble Berlin diesmal zum Gautinger Bosco-Konzert angereist - und mit zwei neuen Gesichtern. Der vielseitige Karajan-Akademist Simon Eberle sprang am Violoncello ein; die ausgewählte Literatur benötigte diesmal auch eine zweite Bratsche, die Martin Stegner übernahm. Ansonsten rekrutiert sich die Stammbesetzung gänzlich aus den Reihen der Berliner Philharmoniker: Luíz Filíp Coelho (Violine), Walter Küssner (Viola), Ulrich Wolff (Kontrabass) und Christoph Hartmann (Oboe). Im Prinzip ging es also um ein Streichquintett mit einer solistischen Bläserstimme, die allerdings nicht durchgehend konzertant aufzutreten hatte. Der Münchner Komponist Enjott Schneider (geboren 1950), bekannt vor allem als Schöpfer von Filmmusik ("Schlafes Bruder"), nutzte die Farbe des Blasinstruments sehr gezielt und griff daher auch schon mal zum Englisch Horn, das Hartmann zusätzlich blies.

Schneiders "Dunkelreise" ist eine Art Collage, in der er Fragmente des mit 26 Jahren gestorbenen Bruckner-Schülers Hans Rott explizit für das Ensemble Berlin neu einfasste. Schneider konzipierte in erster Linie Stimmungen und Farbszenarien, die orchestral gedacht sind - was den Orchestermusikern zweifelsohne entgegenkam.

Das einfühlsame Zusammenspiel ist für diese Komposition entscheidend, denn Schneider interessierten in dem Kontext die psychotischen Zustände und Wahnvorstellungen Rotts, die das Ensemble Berlin im Changieren zwischen Vision und Realität, sprich zwischen abstrakten Gebilden sowie klaren und konkreten romantischen Rott-Passagen überzeugend umzusetzen verstand.

Prägend für das Repertoire des Abends sollte denn auch die reiche Farbigkeit bleiben, doch auch in den beiden weiteren Werken nicht im kammermusikalischen Sinn, sondern orchestral, ja gar sinfonisch. Zumindest bei im Quintett G-Dur op. 77 mit Kontrabass, wobei Stegner als Joker des Abends zur zweiten Violine griff. Dvořák war noch wenig bekannt, als er das Stück komponierte, und auf der Suche nach dem eigenen Stil. Vielleicht deshalb erlaubte er sich nicht allzu viele Freiheiten. Liszt und vor allem Wagner standen Pate, doch die reizvollen Mährischen Melodien kündigten mit ihrer Farbigkeit und Schönharmonik den späten Dvořák bereits an. Die Berliner Musiker, die übrigens seit nunmehr 20 Jahren in Gauting ihr treues Publikum finden, setzten das Quintett mit viel Fingerspitzengefühl, aber auch satter Klangfülle und kraftvoller Dramatik im Kontrast um.

Im Grunde war auch Mozarts Konzept in seiner Serenade B-Dur KV 361, der sogenannten Gran Partita von 1775, ähnlich. Franz Joseph Rosinack, Arrangeur aus Mozarts Zeit, verstärkte diese Tendenz möglicherweise noch. Rosinack übertrug das ursprünglich für zwölf Bläser und Kontrabass geschriebene Werk auf Oboe und Streichquintett, in dunkler Färbung mit zwei Violas und Kontrabass. Darin ist einerseits der orchestrale Ansatz erkennbar, aber auch ein Versuch des Oboisten, sein Instrument besser einzusetzen und es als Glanzlicht abzuheben.

Hartmann ließ sich indes nicht zu konzertanten Höhenflügen verführen, blieb weitgehend beim Ensemble und dosierte den entrückten Klang seines Instruments mit Bedacht. Nur im Adagio, das zu den schönsten langsamen Sätzen Mozarts gehört, übernahm er die unerlässliche solistische Aufgabe, die ja den Satz zum Meisterwerk der Musikliteratur macht. "Doch da, plötzlich, hoch darüber, eine einsame Oboe, ein einzelner Ton, unerschütterlich über allem, bis eine Klarinette ihn aufnimmt, in einer Phrase von solch himmlischer Süße", heißt es dazu im von Miloš Forman verfilmten Theaterstück "Amadeus".

Eine Beschreibung, an die das Ensemble Berlin offenbar anknüpfte und den Satz zum stillen Kulminationspunkt des Konzerts machte. Aber auch in den übrigen Sätzen führte das Ensemble den 19-jährigen Mozart als einen gewiss ehrgeizigen, vor allem aber jugendlichen Komponisten mit Gespür für das reiche Changieren der Emotionen vor.

Das Ensemble Berlin entschied sich in seiner Interpretation allerdings, Mozarts galante Leichtigkeit und Beschwingtheit zugunsten einer kraftvollen Dramatik zu hinterfragen. Das Resultat setzte einen resoluten Schlusspunkt, der mit der Koloraturpartie der Königin der Nacht aus der "Die Zauberflöte" eine würdige Zugabe fand.

© SZ vom 01.10.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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