Konzert:Raffiniertes Recycling

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Mitreißend eigenwillig: Das "Rick Hollander Quartet" bei seinem Auftritt im Feldafinger Bürgersaal. (Foto: Nila Thiel)

Das "Rick Hollander Quartet" stellt in Feldafing Standards auf den Kopf, ohne an Fahrt zu verlieren

Von Reinhard Palmer, Feldafing

Was den musikalischen Charakter betrifft, könnten diese vier Jazzer kaum unterschiedlicher sein. Tatsächlich schöpft The Rick Hollander Quartet seine Besonderheit aus dieser Übereinkunft der Eigenarten. "Jazz am See" präsentierte im Feldafinger Rathaus-Bürgersaal jedenfalls ein Ensemble, das zwar meist vom Standard-Repertoire ausging, aber in der Verarbeitung gezielt auf Ecken und Kanten setzte und dabei auch den Mut hatte, das Material schon mal auf den Kopf zu stellen.

Rick Hollander selbst breitete am Schlagzeug als Pulsgeber einen soliden, von den Becken dominierten hellen Geräuschteppich aus, der kleinteilig gewebt Zurückhaltung im Volumen übte, um in den Soli das Wirbeln auf die Trommeln zu verlagern und motivisch zu arbeiten. In dieser Dichte und Intensität hielt auch der Saxophonist Brian Levy, ein zweifach promovierter Analytiker, in den Höhepunkten mit. Seiner vordergründigen Rolle gerecht, gab er den Stücken stets eine fesselnde dramaturgische Entwicklung. Das raffinierte Spiel begann meist mit auffällig simplen Themen, die zunächst von Levy ganz harmlos, ja fast naiv ausgesungen daherkamen, sich dann aber allmählich improvisatorisch zu hochkomplexen Gebilden verdichteten, um schließlich im intensiven Bebop ihren Höhenflug zu erleben. Der erst 26-jährige Gitarrist Paul Brändle, der einzige Deutsche unter den US-amerikanischen Musikern, steuerte zunächst brav die dialogisierende zweite Stimme bei, markierte knapp die Harmonien oder rief im Hintergrund behutsam die Themen in Erinnerung. In seinen Soli dachte er aber reichlich um die Ecke. Mit Rhythmusbrechungen, metrischen Verschiebungen und Überlagerungen sorgte Brändle für sperrige Wirkungen, die sich gegen den unaufhaltsamen Drive der Rhythmusgruppe stellten. Solche Reibungen taten den Songs gut, weil sie aus Altbekanntem Neues machten und reizvolle Spannung aufbauten. Brändle gab schließlich immer nach und ließ sich - um die Spannungen so wieder wohltuend aufzulösen - vom pulsierenden Fluss der Rhythmiker mitreißen. Gemeint ist neben Hollander der Kontrabassist Will Woodard, der mit seinem unermüdlichen Walking Bass für eine zuverlässige Unterlage sorgte, ohne sich von den Eskapaden der Mitspieler ablenken zu lassen.

Einförmig ging es in der Musik des Quartetts aber keinesfalls zu. Die Musiker verstanden es, mit Wendungen unentwegt für Überraschungen zu sorgen. Das war um so bemerkenswerter, als die Themen für die Improvisationen sehr schlicht daherkamen, ja bisweilen mit ihrer Geradlinigkeit geradezu archaisch wirkten, zumal wenn Saxophon und Gitarre sie unisono anstimmten wie etwa in "Glad as can be". Sie standen bisweilen aber auch der Popmusik nahe, beispielsweise bei Titeln wie "I can't sleep at night", "You never know" und den Klassikern "Moon River" und "The Best is yet to come", die groovend respektive mit originellen Ostinato im Unterbau daherkamen. Auf solche song-fremden Elemente kam es letztendlich an, denn sie eröffneten die Möglichkeit für neue Blickwinkel. Das Spannende dabei: Am Anfang stand nie die eigentliche Thematik. In den Intros bemühten sich die Musiker, zwar in die Atmosphäre des Songs einzuführen, doch mit einem Material, das meist recht weit von den eigentlichen Themen lag, die dadurch schon bei ihrer ersten Vorstellung überraschten.

Ungeachtet der Finessen hatten die Songs aber auch einen mitreißenden Vordergrund, denn die Jazz luden die Musik meist mit straffem Drive ordentlich mit Energie auf. So entstand trotz all dieser Details und kniffligen Experimente nicht der Eindruck verkopfter Konstruktionen. Dank der erfrischenden und packenden Spielweise konnten die Zuhörer das Rick Hollander Quartet auch einfach nur genießen und sich begeistern lassen. Das ist schon eine besondere Qualität, für die das Quartett wohl in erster Linie den frenetischen Applaus erntete. Die Zugabe lieferte das Motto des Abends nach: "Anything can be used again".

© SZ vom 29.11.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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