Konzert:Poesie mit 13 Knoten

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Nostalgiefahrt: Konstantin Wecker mit dem Pianisten Jo Barnikel beim Dampfer-Konzert. (Foto: Martin Mildner)

Liedermacher Konstantin Wecker spielt auf dem Ausflugsdampfer Starnberg Klassiker aus fünf Jahrzehnten und ein paar neuere Songs.

Von Gerhard Summer, Starnberg

Weiße Wolken betten gerade den schmächtigen Mond zur Ruh', da steuert die Nostalgiefahrt auf die Achtundsechziger zu. Konstantin Wecker sitzt am Flügel und schlägt d-Moll an. Er sagt: Das sei ein sehr trauriger Akkord, der sich aus den Tönen a, f und d zusammensetzt, also aus AfD. Dann spielt er das Lied, das ihn mit einem Schlag berühmt gemacht hat und immer noch zu seinen bewegendsten Stücken gehört: "Willy", die Geschichte eines Aufrechten, der keinen Zentimeter zurückweicht vor Faschisten und eines Abends in einer Kneipe von einem Idioten erschlagen wird. Wecker macht mit langen Erzählpassagen ein hochdramatisches Hörspiel aus seinem alten Song, und irgendwie wäre es für die allermeisten Passagiere wohl ganz tröstlich, wenn sie sagen könnten, dass dieser Text nicht mehr so sonderlich aktuell ist. Aber leider: Er passt nach wie vor.

Konstantin Wecker auf dem noblen Ausflugsdampfer MS Starnberg: Ja, das ist schon grotesk. Zum einen kriegen die 270 Zuhörer zeitweise gar nicht mit, dass sie auf einem Schiff sitzen, weil der Katamaran ruhiger als jeder Linienbus dahingleitet und die Nacht schwarz ist wie Pech. Wer nach draußen schaut, sieht oft nichts, manchmal Lichter und einmal ein Feuerwerk. Zum anderen ist das schon eine sehr bourgeoise Veranstaltung: Die Leute haben einen Haufen Geld für ein Ticket hingelegt, vorher dürfen sie sich noch an einem feinen Imbiss stärken, sollen dann aber nicht mehr mit dem Besteck klappern, wenn der Meister begonnen hat.

Hätte Wecker nicht früher auf solche Regeln, pardon, geschissen? Der Alt-68er und Revoluzzer, der gegen die Spießer und die satte Gesellschaft angesungen hat, die theoretisch alles gibt, solange sie ihre Villa am See, die Yacht oder wenigstens den Mercedes behalten darf. Kann schon sein. Andererseits ist aber auch wahr, dass dieser durchaus eitle Wecker, der vielleicht wichtigste unter den deutschen Liedermachern, immer Genussmensch war. Der Mann hat rein gar nichts ausgelassen in seinem Leben, am allerwenigsten die Frauen.

Wecker gibt auf dem flott fahrenden Dampfer mit kleinen Änderungen sein Programm "Poesie und Widerstand", eine Mischung aus Konzert und Lesung. Doch in der ersten Hälfte überwiegt die Poesie mit 13 Knoten. Wecker blendet zurück, singt "Ich liebe diese Hure", sein "Liebeslied", "Fangt mi wirklich koaner auf", das sehr witzige "Weil ich dich liebe" und natürlich "Wenn der Sommer nicht mehr weit ist" und "Genug ist nicht genug". Er erzählt von dem Knaben, der mit seinem Vater, einem Opernsänger, romantische Arien schmetterte und hohe Frauenpartien übernahm. Von dem Buben, der schon mit Zwölf von zu Hause ausriss, weil er freier Dichter werden wollte, und mit 18 die Kasse der Daglfinger Galopprennbahn plünderte. Von der Zeit im Knast, wo sich "der Mond in kleinen Karos an der Wand brach". Von "Punkte", seinem Zellennachbarn in Stadelheim, der die Operette liebte und in Wahrheit ein weicher, "zur Härte geprügelter" Zuhälter war. Und von der Zeit, da er, der Ex-Bodybuilder, mit einem bodenlangen Nerzmantel durch München stolzierte, weil auch er als Zuhälter durchgehen wollte. Und mit einem Firebird samt Adler auf der Motorhaube zu seinen Protestkonzerten brauste. Ja, sagt Wecker, er sei nicht immer im Einklang mit seinen Texten und Inhalten gewesen, das habe ihm viel Ärger eingebracht. Aber: Seine Lieder seien immer ehrlich gewesen, manche habe er erst Jahre später verstanden.

Wecker geht nicht schonungslos mit sich um, sein Kokain-Elend im Grünwalder Eispalast lässt er weg. Aber er ist erstaunlich aufrichtig, andere Musiker würden ihre dunklen Zeiten vielleicht ganz übergehen. Noch überraschender aber ist, dass dieser Wecker auch mit 70 in Hochform dahinsaust. Okay, er nutzt einen als Monitor getarnten Teleprompter, seine Lyrics sind nun mal kompliziert. Aber seine Tenorstimme klingt genauso wie in den Achtzigerjahren: kraftvoll, satt und mit viel Präsenz. Das leichte Operntimbre, die ungewöhnlich exakte Aussprache, die feinen Zurücknahmen bis hin zum Flüsterton - Wecker ist als Sänger und Sprecher nach wie vor ein Erlebnis, als impulsiver Pianist sowieso. Denn am Flügel pflügt er wie durch aufgewühlte See. Über weite Strecken übernimmt dann sein Wegbegleiter Jo Barnikel die Klavierbegleitung. So technisch versiert Barnikel auch ist, bei ihm klingt alles gleich viel gemäßigter, ausgewogner und eine Spur langweiliger. Was schließlich die Texte betrifft, macht Wecker immer noch keiner was vor. So wunderbare Metaphern, so treffsichere Poesie hat kein anderer Liedermacher im Gepäck. Bei Wecker klebt der Sommer noch an den Häusern, und die U-Bahn-Schächte atmen schwer. Zwischen zwei Espressi schminkt sich der Mittag. Falter feiern Feste, Südwinde laden sie ein.

Je später der Abend, desto politischer wird die Fahrt in die Vergangenheit. Und der Auftritt des heftig beklatschten Liedermachers dauert lange, tatsächlich könnte er wohl bis zum Morgengrauen weitermachen. Sein Œuvre gäbe das her: 600 Lieder, 42 Alben, 31 Bücher, daneben noch die vielen Musicals und Bühnenmusiken.

Wecker spielt das neue "Den Parolen keine Chance" und behauptet, er hätte nur gemerkt, dass der Refrain geklaut ist, aber nicht von wem ("Freude schöner Götterfunken"). Was er hoffentlich selbst nicht glaubt. Er singt "Die weiße Rose" und erklärt, wie man die Rassisten kriegen könnte - "auf dem Airport-Scheißhaus: Knöpfchen drücken, runterspülen, fertig". Und er legt an Tempo zu. Sein flotter "Wedam"-Blues und "Questa Nuova Realta" zeigen aber auch, dass es vorher fast eine Spur zu gemächlich zuging.

Ob man dem so gereift und gelassen wirkenden Wecker also jetzt alles glauben kann? Dem Mann, der sagt, dass eine Dampferfahrt ein Traum für die Künstler ist, weil keiner vom Schiff runterkommt? Und verschweigt, dass er Konzert und Fahrt um eine Stunde verlängert, weil er noch nicht aufhören will? Ach was!

© SZ vom 02.10.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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