Konzert:Linderung der Leiden

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Das Ensemble Lodron, zwei Chöre und namhafte Solisten unter der Leitung von Stephan Ronkov überzeugen im Dießener Marienmünster mit Dvořáks "Stabat Mater"

Von Reinhard Palmer, Dießen

"Stabat mater dolorosa iuxta crucem lacrimosa" - wohl kein anderes christliches Motiv ist so häufig Gegenstand künstlerischer Auseinandersetzung geworden als die leidende Maria zu Füßen ihres gekreuzigten Sohnes. Sowohl in der bildenden Kunst als auch in der Musik. Dieses Bild gilt als Inbegriff des Leidens. Antonín Dvořák musste einen solchen Schmerz selbst erfahren. Nachdem seine jüngste Tochter starb, entwarf er nach diesem mittelalterlichen Gedicht ein Oratorium, und vollendete es, nachdem nur eineinhalb Jahre später auch seine ersten beiden Kinder starben. Kaum vorstellbar, aus welcher Leere diese Musik hervorging.

Was in der Reihe der Dießener Münsterkonzerte unter der Leitung des Haus-Kirchenmusikers Stephan Ronkov zu hören war, zeugte aber nicht von Verzweiflung oder Verbitterung. Dvořáks "Stabat Mater" ist eine Musik, die den Schmerz lindern und seelentief durchdringend den inneren Frieden herbeiführen soll. Das Ensemble Lodron München hatte dabei nicht selten einen symphonischen Part zu bewältigen. Es ging um große Musik, die Ronkov am Pult mit weit ausgreifenden, fließenden Gesten sehr musikalisch und mit Blick auf die Gesamtwirkung formte.

Letzteres war ein zentraler Aspekt, sind doch auch die Gesangsstimmen Teil des Instrumentariums. Setzte doch Dvořák viel Mühe daran, durch diverse stimmliche und instrumentale Konstellationen immer wieder neue Klangfarben zu entwickeln. Die einzelnen Stimmen sind eng miteinander verflochten, sodass es unbedingt auf die Balance im Gesamtklang ankommt. Und geht es um Stimmen, so ist hier die Rede vom Münsterchor Dießen in Kooperation mit dem Oratorienchor Landsberg, die vor allem ein ausgeprägtes Gespür für die Balance der Stimmen entwickelten.

Die Chöre sind bei Dvořák Erzeuger von Atmosphäre, aber auch als Instrument eine gewisse plastische Masse, die es behutsam zu formen gilt. Gerade das Ineinandergreifen der Stimmen machte diese Aufgabe aber so schwierig, zumal ja die Solisten die Maßstäbe setzen. Juliane Banse (Sopran), Florence Losseau (Alt), Robert Wörle (Tenor) und Thomas Gropper (Bass) ergaben ein stimmiges Ensemble, auch wenn Wörle forcierter und deshalb dramatischer auftrat. Deutlich wurde diese kleine Unstimmigkeit im eng verflochtenen Duett mit der sehr lyrisch und einfühlsam formenden Banse "Fac, ut portem Christi mortem", das auch vom Orchester mit fließender Melodik empfindsam getragen wurde.

Empfindsamkeit ist die zentrale Eigenschaft, die für die Interpretation von Dvořáks "Stabat Mater" nötig ist. Jeder noch so hymnisch-große Moment in dem Werk hat seinen Ursprung in weit zurückgenommenen Ansätzen von zarter, inniger Empfindung. Immer wieder nahm Dvořák dem Texten folgend die Musik zurück in die Fragilität, um im weiten Bogen den Weg zu emotional versöhnlichen Entladungen zu finden. Von Einförmigkeit der Dramaturgie kann dennoch keine Rede sein, folgte doch der Komponist jeder noch so feinen Nuance im Text, um immer wieder eine besondere Charakteristik für den Neuansatz zu suchen: sei es in betrübter Atmosphäre wie zu Beginn, im pulsierenden Vorantreiben in "Eja, Mater, fons amoris", oder in wogender Bewegung wie in "Tui nati vulnerati" . Ronkov brachte die Protagonisten gut auf einen gemeinsamen Nenner. Behutsame Verläufe kulminierten schließlich in befreienden Höhenflügen, die mit ihrer euphorisierenden Wirkung unter die Haut gingen. Zumal die Solisten in der Lage waren, der Ekstase mit ihren brillanten Stimmen auch noch Glanzlichter aufzusetzen. Gut meisterte der Chor auch die A-Cappella-Passagen, insbesondere im finalen "Quando corpus morietur", die Dvořák für besondere Effekte einsetzte, um zu wirkungsvollen Schlussentwicklungen anzusetzen. Ronkov verstand es, diesen Kunstgriff zu verdeutlichen, gerade als Zäsur zum Finale, das wohltuend ausbalanciert noch einmal die Harmonie beschwor, bevor nach einem ergreifenden Schlussakkord das Orchester ein zartes Echo nachschickte. Frenetischer Applaus.

© SZ vom 16.10.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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