Konzert:Jazziger Mussorgsky

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Das Modern String Quartet bearbeitet die "Bilder einer Ausstellung" und findet zum eigenen Groove

Von Reinhard Palmer, Gilching

Was hat man nicht schon alles mit dieser Komposition angestellt? Der Klavierzyklus "Bilder einer Ausstellung" ist wohl das meistbearbeitete Werk der Musikgeschichte überhaupt. Modest Mussorgsky wollte damit im Grunde nur an seinen verstorbenen Freund, den Maler Viktor Hartmann, erinnern. Es fand erst Beachtung, nachdem Ravel die Orchesterfassung auf die Bühne gebracht hatte. Und dort blieb es dann bis heute, in welcher Variante auch immer. Es verwundert fast, dass es das Klassik- und Jazzensemble Modern String Quartet erst jetzt reizte, "Bilder einer Ausstellung" in Angriff zu nehmen. Was in der Aula des Gilchinger Gymnasiums zu Gast beim Kunstforum nun zu hören war, ging allerdings über die reine Bearbeitung hinaus. Joerg Widmoser und Winfried Zrenner an den Violinen, Andreas Höricht an der Viola und Thomas Wollenweber am Violoncello hängten einfach mal ein paar eigene Bilder dazu und schrieben "Pictures at a new Exhibition/framed in Jazz 2021" aufs Plakat. Ein paar Bilder Mussorgskis fehlten indes, was den Zyklus ohnehin aufbrach. Mit "Lucky Man" der legendären Band Emerson, Lake & Palmer zwischendurch bedankte sich das Streichquartett für das wohl beste Vorbild unter den Bearbeitungen.

Mussorgskys Kompositionsstil in "Bilder einer Ausstellung" ist gänzlich auf Aufdruck, Klangmalerei und ausgeprägte Thematik ausgerichtet, was mit der Rockmusik gut vereinbar ist. Der Jazz hat es da schon schwerer, zumal das Ausgangsmaterial sehr eigenwillig und selbstsicher daherkommt. Höricht und Widmoser einigten sich offenbar für ihre Arrangements darauf, Mussorgskys Originale zunächst zu modernisieren und seine Kompositionen in die Sprache der Neuen Musik zu übersetzen. Das bedeutete hier Loslösung von der Tonalität und harmonische Schärfe. Die ausgeprägte Atmosphäre der Promenaden (vermittelnde Überleitungen) und der Bilder konnte so dennoch erhalten, bisweilen sogar intensiviert werden - ob geheimnisvoll in "Der Gnom" oder majestätisch schlicht in "Das alte Schloss" sowie vergnüglich ausgelassen bei "Der Marktplatz von Limoges". Für die Musiker war es die geeignete Basis, jeweils zu einem eigenen Groove zu finden, über den es sich improvisieren ließ. Erwartete man im Zentrum der jeweiligen Stücke den Höhepunkt, war man bei den traditionellen Jazzimprovisationen zunächst enttäuscht. Mit einer Steigerung, mehrstimmigen Verdichtung gelang es dem Ensemble zwar, den dramaturgischen Faden allmählich wieder aufzugreifen, der Wechsel der Charakteristik und des Anspruchs im Zentrum tat der Gesamtwirkung aber nicht gut, denn die Homogenität ging dadurch verloren.

Ließ sich das Ensemble aber andeutungsweise auf einen experimentelleren Ansatz ein, blieb die Spannung indes besser erhalten. Unter den Eigenbildern griff lediglich Zrenner in "Modest Moves" Mussorgskys Themen auf, was sich als ein geeigneter Weg erwies, den Zyklus zu erweitern. Mit einem kraftvollen, raschen "Der Ochsenkarren", einem nah am Original stark expressiven "Die Hütte der Baba-Jaga" und einem feierlich-imposanten "Das große Tor von Kiew" gelang es den Musikern doch noch, ein wirkungsvolles Finale zu inszenieren.

© SZ vom 27.09.2021 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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