Konzert:Glanzvoller Gnadenstoß

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Sul Bi Yi verlässt die Chorgemeinschaft nach nur drei Jahren. Das Ergebnis ihrer Arbeit präsentiert sie beim Kirchenkonzert. (Foto: Nila Thiel)

Sul Bi Yi verabschiedet sich mit Orffs "Concento di voci" als Kirchenmusikerin aus Andechs

Von Reinhard Palmer, Andechs

Es ist müßig, Orff in der Kammermusik platzieren zu wollen. Aber in den Vokalgattungen bestechen seine Kompositionen mit Ausdruckskraft und groovender Energie. Zweifelsohne: Hier war Orff zu Hause. "Concento di voci - Tag der Kirchen" musste daher zu einem Höhepunkt des diesjährigen Carl Orff-Festes werden. Anton Ludwig Pfell und nach Pensionierung in Andechs seine Nachfolgerin Sul Bi Yi waren an diesem Tag die Macher am Pult und jeweils im Gegenbesuch die Tastenmeister am Orgelpositiv.

Nachdem Pfell in St. Johannes Baptist in Inning das Doppelkonzert mit dem Chor der Pfarreiengemeinschaft Ammersee Ost eröffnete, konnte Sul Bi Yi in der Wallfahrtskirche Andechs mit vier Instrumentalisten des Bayerischen Staatsorchesters endlich mal wieder mit ihrem Hauschor ein Konzert dirigieren. Und sie tat es souverän, musikalisch entschieden und klar in der Formensprache. Bei der Planung war es nicht abzusehen gewesen, dass diese Veranstaltung zugleich das Abschiedskonzert der 31 Jahre alten Kirchenmusikerin werden würde. Mit der 18-köpfigen Andechser Chorgemeinschaft konnte sie hier nach nur einer dreijährigen Aufbauarbeit einen schön austarierten Klangkörper präsentieren. Das Ergebnis eines mühsamen Neuaufbaus, das sich hören lassen konnte. Umso tragischer das Aus, das wohl der Kirchenmusik in Andechs den Gnadenstoß versetzen wird.

Aber Sul Bi Yi kann nach diesem glanzvollen Auftritt erhobenen Hauptes gehen, zumal mit den Gesangssolisten des Mozarteums Salzburg Silvia Moroder (Sopran), Lisa Maria Kebinger (Alt), Santiago Sánchez (Tenor) und Simon Amend (Bass) eine absolut stimmige Truppe zur Verfügung stand. Und eine, die der kammermusikalischen Reduktion mit feinsinniger, klangschöner und präziser Formung entgegenkam. Sicher, Orffs "Odi et amo", die Ausgangsbasis der "Catulli carmina", kommt mit mehr Masse auch schon beeindruckender daher. Doch Yi machte aus der Not eine Tugend und punktete mit rhythmischer Präzisionsschärfe und spannungsgeladenem Groove. Vor allem die sprachliche Klarheit überzeugte, zumal die Musik Orffs überhaupt aus dieser Artikulation hervorgeht. Auch hier fehlten die typischen skandierten Passagen nicht, deren musikalischer Wert gänzlich dem Sprachrhythmus, der Sprachmelodie und den deutlich artikulierten Lauten überantwortet ist. In seiner Archaik, stand Orff hier allerdings Heinrich Schütz näher als Mozart. Den Psalm 121 "Ich hebe meine Augen auf zu den Bergen" aus den Psalmen Davids op. 2/10 von 1619 verarbeitete Schütz reich differenziert mit Tempowechseln und rhythmischen Wendungen. Gegensätze von Homo- und starker Polyphonie verliehen dem Chorsatz einen abwechslungsreichen, dadurch fesselnden Verlauf.

Auch Mozart verstand es, Musik aus der Sprache heraus zu entwickeln. Und das seelentiefe "Laudate Dominum" aus "Vesperae solennes de confessore" KV 339 ist ein prominentes Beispiel dafür, welch ein grandioses Gespür Mozart dafür hatte. Nach begeistertem Schlussapplaus sollte dieses sinnenfreudige Stück noch einmal als Zugabe tief unter die Haut gehen. Ansonsten hatten die Programmmacher eher den jungen, expressiven Mozart im Auge, was der orff'schen Thematik einen Schritt näher kam. Aber Yi behielt auch im Auge, dass Mozart die Missa Brevis B-Dur KV 275 mit nur 21 Jahren schrieb, gönnte daher der Interpretation beschwingte Heiterkeit und erfrischendes Kolorit. Dass die Solisten vom Mozarteum die nahezu schwerelose Lyrik des Komponisten mit dem dramatisierenden Kontrastprogramm optimal in Szene zu setzen verstehen würden, war anzunehmen, zumal diese "Loretomesse" sogar in Salzburg entstanden ist.

Das "Te Deum laudamus" C-Dur KV 141 sollte abschließend noch einmal zur Thematik zurückkehren. Die homophone Deklamation folgt darin der Prosodie des Hymnus Ambrosianus und brachte wieder die Archaik, wie sie bei Orff im Vordergrund stand, ins Spiel. Das Konzept der Brücke zwischen Orff und Mozart ging hier überzeugend auf.

© SZ vom 05.08.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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