Konzert:Frieren lohnt sich

Lesezeit: 2 min

Großaufgebot: Ulli Schäfer dirigiert seine Sänger und Instrumentalisten mit viel Sinn für die Kunst der Differenzierung. (Foto: Arlet Ulfers)

Chor und Orchester der Musica Starnberg führen mit einem Pöckinger Vokalensemble und exzellenten Solisten Händels "Judas Maccabaeus" in der kalten Kirche St. Maria auf

Von Reinhard Palmer, Starnberg

Es war für alle eine Herausforderung: für die Konzertbesucher, die fast drei Stunden lang im Kühlschrank der Marke St. Maria Starnberg in unbequemen Kirchenbänken ausharrten. Und für die Mitwirkenden, die so lange voll konzentriert wunderbare Musik in englischer Sprache interpretierten. Händels Oratorium "Judas Maccabaeus" ist ein Meilenstein der Musikgeschichte. Und das liegt nicht in erster Linie am Umfang und der musikalischen Reichhaltigkeit des Werkes. Es ist vielmehr Händels feinsinnig differenzierte Auslegung der Geschichte des gleichnamigen israelitischen Freiheitskämpfers, die dem Werk seine Bedeutung zuweist.

Für Chor und Orchester des Vereins Musica Starnberg, den Jugendchor Pöcking (Einstudierung Veronika Smolka), eine hochrangige Continuo-Sektion sowie renommierte Gesangssolisten unter der Leitung von Ulli Schäfer legte gerade diese Aufgabe die Messlatte gefährlich hoch. Zumindest für die Laien im Bunde, für die jedoch die Möglichkeit zu scheitern offenbar nicht zur Debatte stand. Die jüngsten Erfolge ließen Orchester und Chor an Sicherheit gewinnen. Schäfer hatte jedenfalls keine Mühe, den dramaturgischen Bogen über den Gesamtverlauf zu spannen, musikalisch feinsinnig differenziert und mit großer Einfühlsamkeit.

Zweifelsohne hatten die Solisten am großen Erfolg der pausenlosen Aufführung den entscheidenden Anteil. Teresa Boning (Sopran), Eva Maria Summerer (Mezzosopran), Andreas Hirtreiter (Tenor) und Raphael Sigling (Bass) waren insofern die richtige Wahl, als sie nicht nur mit lyrischer Wärme überzeugten, sondern auch zu kraftvoller Tonverschärfung in der Lage waren. Diese Flexibilität ist für "Judas Maccabaeus" Voraussetzung, geht es doch musikalisch um ein unentwegtes Changieren der Charakteristika. Hirtreiter zeigte sich solistisch darin bisweilen allzu impulsiv, doch ansonsten präsentierte sich das Solistenquartett sehr stimmig, im Ensemblegesang homogen und ausbalanciert.

Besonders Letzteres war die große Stärke der Aufführung, zumal die Mixturen in der Farbtemperierung unzählige Nuancen verlangen. So richtig brillant ist die Musik im Vergleich zu anderen Oratorien Händels im Grunde an keiner Stelle. Das dürfte daran liegen, dass inhaltlich eine Trauerszene - der Tod von Mattatias, des Vaters von Judas Maccabaeus - den Ausgang bildet und auch sonst viel von Kummer und Leid die Rede ist. Lyrik und Melancholie beherrschten denn auch die Grundstimmung der Aufführung, die das Moment des Zweifels in Händels Auffassung nicht aus den Augen verlor. Eine gewisse Ambivalenz ist dort auch dem Leiden immanent: "Nicht eitel ist dies ungestüme Weh: den Kummer auszusprechen spendet Trost". So trübte sich die Atmosphäre textgetreu immer wieder ein, die Ausführenden hatten sich dann bisweilen weit zurückzunehmen, meisterten dies aber ohne Verlust in der Sprachformung, Klarheit und Transparenz. Zwischen Deklamation, Akklamation und melodiöser Erzählung differenzierten die Solisten auch die Rezitative, die zudem im Wechsel des Basso continuo zwischen Cembalo und Theorbe eine charakterliche Differenzierung erfuhren, die sich auch in den Arien fortsetzte. So gab es narrative Ansätze, spritzig-tänzerische Leichtigkeit, beschwingte Rhythmik, fließendes Wogen, dramatische Verdunkelung, zarte Poesie, schwere Melancholie oder beherztes Vorantreiben, von den Solisten jeweils mit viel Fingerspitzengefühl am Text ausgerichtet.

Andererseits bäumten sich zwar wenige, aber doch große Momente voller Strahlkraft auf, in die sich etwa ab der Mitte des Werkes auch Blechbläser einmischten und das Klangbild schon nah an Händels typische triumphale Festlichkeit heranführten. So passend im Chor der Israeliten "Seht den Siegeshelden kommen!", eingeleitet vom Kinderchor, der sich erstmals in solcher Qualität (was Diktion, Ausdruck und Stimmenbalance betrifft) präsentierte, dass künftig eine Erweiterung des großen Oratorienrepertoires möglich sein sollte. Begeisterter Applaus.

© SZ vom 20.11.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: