Konzert:Feuerwerk am Flügel

Lesezeit: 2 min

Perfekte Anschlagstechnik: Die russische Pianistin Anna Vinnitskaya beim Auftritt im Bosco. (Foto: Nila Thiel)

Anna Vinnitskaya überzeugt im Gautinger Bosco mit kompromisslos ausdrucksstarker Interpretation

Von Reinhard Palmer, Gauting

Der gute Ruf, der ihr vorauseilte, erwies sich im Nachhinein als untertrieben, gemessen daran, was sich da auf der Bühne des Gautinger Kulturhauses Bosco im Konzert tat. Ohne der Pianistin Anna Vinnitskaya auch nur im Geringsten etwas von ihrer Weiblichkeit absprechen zu wollen: Sie versteht es auch, in die männlichen Register zu schalten und kraftstrotzend Berge zu versetzen.

Und dies nicht nur wegen ihrer fabelhaften Anschlagstechnik mit unbändiger Energie. Es ging hier darüber hinaus um die über sich hinaus wachsende Persönlichkeit und die entsprechende Bühnenpräsenz. Der große Donner in den Prokofjew-Sonaten war schon da, noch bevor die Tasten angeschlagen waren. Vinnitskaya kennt keine Kompromisse, schon gar nicht, wenn der Rundfunk mitschneidet. Wie nah sie sich an die Grenzen des Vertretbaren heranwagt, wurde bei Chopin noch deutlicher, ist seine Musik doch empfindsam und eher auf brillant perlende Pianistik angewiesen als auf Muskelspiel.

Gerade seine aphoristischen 24 Préludes op. 28 werden in der Regel schon formal eher als zierliche Miniaturen aufgefasst. Dass darin aber eine Menge mehr steckt als harmloses instrumentalpädagogisches Übungsmaterial zum Thema Ausdruck, davon überzeugte Vinnitskaya schon nach wenigen Takten. Jedes noch so harmlos daherkommende Stück fasste sie als den Nucleus einer großen Idee auf, die sie mental und vom Ausdruck her in die Musik packte. Dass dann Sätze mit den Bezeichnungen wie Agitato, Vivace, Allegro molto, noch mehr Presto con fuoco, Molto agitato oder Allegro appassionato zu Feuerwerken virtuoser Pianistik mutierten, ergab sich geradezu logisch aus Vinnitskayas Auslotung der Extreme. Waren die zarten, leisen Préludes von empfindsamster Klangmalerei und Ausdruckstiefe bestimmt, so ging es auf der anderen Seite ebenso an die Grenzen der fast schon orchestralen Fulminanz. Auch hier also keine Schonzeit für den Flügel.

Entscheidend für die Einhaltung pianistischer Kategorien war zweifelsohne Vinnitskayas anschlagstechnische Perfektion, die ihr ein so weites Spektrum an Ausdruck und Klangfarbe ermöglicht, dass sie ohne Abstriche im Klang an Pedaleinsatz sparen konnte. So blieb sie selbst in den dichtesten Sätzen kristallklar und transparent. In den organisch verlaufenden Entwicklungen bei Chopin hatte dies eine gewisse Selbstverständlichkeit. Anders in den Sonaten Nr. 4 und 6 von Prokofjew, dessen Gestaltungsmittel in Vinnitskayas Interpretation immer wieder auf die überraschenden Wirkungen der plötzlichen und heftigen Wendungen aufbauten. Diese Sonaten leben generell weniger von Themen und Motiven als vielmehr von einem schlüssigen Spannungsaufbau, der keine Sekunde aus den Augen gelassen werden kann. Und Vinnitskaya hatte ihn im Griff, trug ihr Dynamit auch in die sinnierenden Passagen, in die melodiösen Kontrastmittel über reich changierenden Harmonien. Mit blühender Schönfarbigkeit griff sie die tradierte Melodik auf, übernahm sie aber bisweilen auch für dissonante Schärfen, die dadurch impressionistischen Zauber ins Spiel brachten. Aber auch umgekehrt funktionierte dieser Transfer: Das schrille Hämmern in schrägen Harmonien konnte auch die traditionelle Tonalität mit gewaltiger Kraft aufladen.

War ein solcher Tonsatz in der frühen Sonate c-Moll noch eher ein kompositionstechnisches Ausloten der Möglichkeiten, so kam in der A-Dur-Sonate von 1939/40 eine entscheidende programmatische Komponente hinzu. Als eröffnendes Werk der Kriegstriade des Komponisten stand sie bei Vinnitskaya für eine schon sehr konkrete Bedrohung von erdrückender Schwere und brachial detonierenden Verzweiflungsrufen. Auch das scheinbar harmlose Allegretto und Tempo di valzer lentissimo zog Vinnitskaya in das unruhige Szenario hinein und zeichnete darin ein Bild der Verwirrung und Ungewissheit. Mehr Ausdruck geht nicht. Lang anhaltende Ovationen und versöhnliche Kunststückchen von Schostakowitsch sowie Schumann als Zugaben.

© SZ vom 30.06.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: