Konzert:Feinsinnige Dramaturgie

Lesezeit: 2 min

Improvisationskünstler: Thomas Schnorr vor dem Konzert in Tutzing. (Foto: Franz Xaver Fuchs)

Der für sein Stegreifspiel bekannte Musiker Thomas Schnorr eröffnet den Orgelherbst in Tutzing mit Improvisationen über die Nationalhymne und Werken von Bach und Guilmant

Von Reinhard Palmer, Tutzing

Das Thema stammte zwar von Haydn, doch ging es in dem Fall explizit um die deutsche Nationalhymne. Galt es doch, neben dem nicht nur kirchlich aktuellen Erntedank auch den Tag der deutschen Einheit zu begehen, wie Helene von Rechenberg betonte, die künstlerische Leiterin des mit diesem Konzert eröffneten Tutzinger Orgelherbstes. Für den Kirchenmusiker Thomas Schnorr jedenfalls eine gute Gelegenheit, auf sein Steckenpferd zu steigen. Als preisgekrönter Improvisator konnte er gleich zweimal seine Trümpfe ausspielen: Er improvisierte nicht nur über die Nationalhymne, sondern später auch über den Choral "Nun danket alle Gott" im Kontext des Erntedankes.

In beiden Fällen überzeugte Schnorr vor allem mit einer soliden harmonischen Struktur, die von einer komplexen musikalischen Denkweise zeugte. Insbesondere in der ausgiebigen Improvisation über die Nationalhymne - dreisätzig und in romantischem Stil - wurde das Abrücken vom simplen Thema-Begleitung-Schema deutlich. Schnorr konstruierte zunächst harmonische Figurationen in dichter Textur als Überbau, in die er das Thema wie auch die Variationen darüber als übergreifende lyrische Linie einflocht. Besonders spannend dabei die Schlussfuge, in der Schnorr ein Fragment des Themas von vorneherein harmonisch verfremdet aufgriff, um nicht zuletzt auch eine interessantere Basis für den Kontrapunkt zu erhalten. Das lieferte reichlich Stoff für fesselnde Veränderungen und Modulationen.

In der freien Improvisation über den Choral konnte sich Schnorr verstärkt auf die Dramaturgie der einsätzigen Form konzentrieren, um sie einer wirkungsvoll reichen Differenzierung zu unterziehen. Dies galt auch für die Harmonik, die nun zeitgemäß die Grenzen der Tonalität überwand und für kernige Akzente und Spannung sorgte. Das Resultat: eine Reihe von Charakterstücken, die sich schlüssig in ein üppig kontrastierendes Auf und Ab fügten, um sich schließlich zu einem imposanten Finale hochzuschaukeln.

Das Choralthema hatte Schnorr zu Beginn des Konzerts in der Bach-Version BWV 657 vorgestellt. Auch Bach ließ die weitschweifend ausgesungene Melodie über einer kleinteiligen Unterlage schweben, von Schnorr substanzvoll zur klaren Exposition des Themas registriert. Die Klangfarben blieben in diesem Konzert in spätromantische Farbigkeit getaucht. So auch die Aria op. 51a des belgischen Komponisten, Organisten und Musikpädagogen Flor Peeters, der mit harmonischen Abweichungen die Neuerungen des 20. Jahrhunderts zwar andeutete, doch sich dazu nicht so recht bekennen wollte. Aber letztlich diente die ruhig ausgesungene Aria dazu, das Hauptwerk des Abends, die Sonate Nr. 6 h-Moll op. 86 des Franzosen Alexandre Guilmant vorzubereiten und ihr den nötigen Raum zur Entfaltung zu öffnen.

Guilmant, selbst ein virtuoser Organist, setzte die französische romantisch-sinfonische Tradition fort. Diese dreisätzige Sonate zeichnet sich durch ihre straff durchgebildete, thematisch angelegte Struktur aus. In Schnorrs Interpretation aber vor allem durch ihre feinsinnige Dramaturgie in allen drei Sätzen. Dabei auf ausgeprägte Wirkungen ausgelegt, die vor allem von den Wechseln zwischen drängender Intensität und klangschönen Rücknahmen profitierten. Von betörender Schönheit zeigte sich die zentrale Meditation mit einer süßlich fließenden Melodie, die sich schon im Kopfsatz mit einer zarten, von Schnorr spätromantisch gefärbten Rücknahme angedeutet hatte. Der deutlich zweiteilige Schlusssatz "Fugue et Adagio" erwies sich als effektvolle Überraschung. Die Fuge mit hymnischem Thema schwang sich zu mächtiger Substanz empor, um das Adagio in blühende Zartheit zu tauchen und still ausklingen zu lassen. Lang anhaltender Schlussapplaus und eine filigrane, sehr originelle Improvisation über Beethovens "Ode an die Freude" aus der 9. Symphonie.

© SZ vom 05.10.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: