Konzert:An allen Ufern zuhause

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Vielfalt erfreut: der Gospelchor "Chorperation" beim Nachtkonzert in der Erlöserkirche Herrsching. (Foto: Franz Xaver Fuchs)

Herrschinger "Chorperation" überzeugt mit Vielfalt

Von Reinhard Palmer, Herrsching

Sakrale Musik muss nicht immer nur Ernste Musik sein. Schließlich bieten Gospel und Spiritual längst inbrünstige Alternativen. Birgit Henke studierte Schulmusik und Jazzposaune, was sie zur Expertin in der E- und U-Musik gleichermaßen macht und zur überzeugten Grenzgängerin. Bereits seit 20 Jahren leite sie in Herrsching den Gospelchor "Chorperation", würdigte Pfarrerin Angela Smart in ihrer Begrüßung zum Nachtkonzert in der überfüllten Erlöserkirche Henkes Wirken. Lang genug, um sowohl die einzelnen Sänger als auch den Chor als Klangkörper auf ein Niveau zu bringen, der eine für Laien höchstmögliche Flexibilität erlaubt.

Zwischen Gattungen und Genres zu pendeln, solistisch, in kleinen Ensembles, im Chor, a cappella oder mit instrumentaler Begleitung zu singen, ist den 18 Choristen denn auch mittlerweile zur Selbstverständlichkeit geworden. Nicht selten nutzte Henke auch alle diese Qualitäten in einem einzigen Song. Ja geradezu mit Vorliebe. Ihre Neubearbeitungen und eigene Kompositionen haben etwas Rhapsodisches an sich, nutzen viele Ausdrucksformen, um fesselnd aufgebaute Dramaturgie mit Leben zu füllen. Alle Songs bis hin zu Henkes sechsteiliger "Missa Salvador" waren effektvoll inszeniert, schöpften aus einem reichhaltigen Fundus vokaler Gestaltung. Im Prinzip konnte man darin so gut wie alles ausmachen, was die abendländische Musikgeschichte hergibt, begonnen etwa beim gregorianischen Gesang bis hin zu Jazz, Rock und Rap. Letzteres allerdings eher in der gesitteten Form des klassischen Sprechgesangs wie im modernisierten Gospel "Rejoice" von 2010.

Schon im zweiten demonstrierten die Chroisten beeindruckend ihre Gesangsqualitäten: Fast jedes Chormitglied bekam in "I wish I knew how it would feel to be free" einen Solopart, was zugleich auch eine sehr persönliche Verbindung zum Publikum herstellte. Später wurde auch Henke persönlich und verriet etwas über den Hintergrund eines Liedes: "Silberpfeil-Jodler" hieß das herzerwärmende Stück, das sie über das Kinderlied "Ins Wasser fällt ein Stein" in Verbindung mit "Herr deine Liebe" als wirkungsvolle Hymne arrangierte.

Wie groß Henkes Gespür für den Einsatz vielfältiger Elemente ist, zeigte "Deepest Fear" nach dem Text von Marianne Williamson, den Nelson Mandela in seiner Antrittsrede als Präsident von Südafrika zitierte. Spannung erzeugte schon die Sprachkakophonie zu Beginn, die mit einem Cluster endete. In gedrückter Atmosphäre folgte eine rhapsodische Ausdeutung der Inhalte mit Soli, Chor, mit und ohne Instrumentalisten, immer wieder überraschend kontrastiert, etwa mit Henkes Posauneneinlage. Eine E-Piano-Kadenz nach einem Break markierte den Wechsel in die effektvolle Aufhellung von hymnischer Tragweite. Weitere solistische Einlagen am Schlagzeug und am Saxophon brachten immer wieder packende Intensivierung. Aber es ging auch wieder zurück zum Kern der Aussage, und der Chor bestand zwar sparsam, doch überzeugend die Reifeprüfung in Atonalität und Dissonanz.

Im Grunde war in diesem Konzert jeder Song anders, mal eher Gospel, mal Pop, mal Rock oder Blues, bisweilen von symphonischer Breite - letzteres zumal die Band mit allen fünf Streichinstrumenten aufwarten konnte. Dass alles irgendwie doch zusammenpasste, lag vor allem daran, dass Henke beim Komponieren und Arrangieren den emotionalen Faden nie aus den Augen ließ. Überraschende Wendungen und Stimmungswechsel sorgten denn auch dafür, dass die Aufmerksamkeit der Zuhörer nie abriss.

Trotz der Variationsdichte kam kein Gefühl der Übersättigung auf. Auch nicht in der "Missa Salvador", die keine Gattung und kein Genre ausließ. Um nach einer stimmungsvollen Pop-Ballade des "Agnus Dei" noch ein packendes Finale mit vielen instrumentalen Soli hinlegen zu können, folgte eine reißerische Coda. Frenetischer Jubel. Nach dem anderthalbstündigen Programm gab es aber nur eine Zugabe: ein Wiegenlied.

© SZ vom 16.07.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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