Klassische Musik:Scheidung im Konzertsaal

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Das Goldmund Quartett überzeugt bei seinem Gastspiel in Wörthsee mit Homogenität und Klarheit - und mit Fazıl Says Stück "Divorce"

Von Reinhard Palmer, Wörthsee

In der Schulaula aufgetrumpft: Das Goldmund Quartett mit (v.li.) Florian Schötz und Pinchas Adt (beide Violine), Raphael Paratore (Violoncello) und Christoph Vandory (Viola). (Foto: Georgine Treybal)

Auch im Konzertbetrieb genügt es heutzutage nicht mehr, nur spitzenmäßig zu musizieren, um international Erfolge zu feiern. Selbst in der Königsdisziplin, im Streichquartett, gehört die Imagepflege längst zur alltäglichen Arbeit wie das Üben und Proben. Das haben die vier Streicher des Goldmund Quartetts früh erkannt - und für ein klar konturiertes Profil gesorgt. Eine ordentliche Prise Coolness musste schon sein, denn wer will schon seine Berufung zwischen Mauerblümchen und Warmduschern verortet sehen. Ein gewisser Stolz auf die bayerische Beheimatung mit hemdsärmeliger Bodenständigkeit kam hinzu. Warum nicht! Bei den Kammerkonzerten Wörthsee jedenfalls bewies das Quartett in der zweiten Zugabe nach Haydns Scherzo aus op. 33/5, dem mit dem Fuß gestampften "Ochsenfelder Schottisch" der Volksmusikkoryphäe Sepp Rubenberger, dass auch Folklore das Klassikpublikum begeistern kann. So sie denn meisterhaft gespielt ist.

Seit das 2009 gegründete Goldmund Quartett 2016 beim ARD-Musikwettbewerb auf sich aufmerksam machen konnte, hat sich das mehrfach ausgezeichnete Ensemble enorm weiterentwickelt. Perfektion in der Homogenität und entschiedene Klarheit in der Ausprägung des jeweiligen Ausdrucks sind heute selbstverständlich im lustvollen Spiel von Florian Schötz und Pinchas Adt (Violinen), Christoph Vandory (Viola) und Raphael Paratore (Violoncello) verankert. Zwischen Werken von Joseph Haydn, Felix Mendelssohn und dem türkischen Komponisten Fazıl Say fiel die Differenzierung in den Zugriffen besonders deutlich aus, spieltechnisch beginnend beim Bogenansatz. Haydns Tonbildung im Lerchenquartett D-Dur op. 64/5 von 1790 war von Leichtigkeit und blühender Farbigkeit geprägt, während die Töne im Mendelssohns e-Moll op. 44/2 von 1837 mit viel Atmosphäre weich einsetzten.

Haydns feinsinniges Changieren in der Charakteristik bewegte sich zwar in gewissen Grenzen des historisch Korrekten, doch stellte sich keinesfalls der Eindruck einer Reduktion ein. Die vier Musiker fanden darin genügend Raum zur Differenzierung. Im zügigen Adagio kontrastierte Empfindsamkeit mit geradezu schmerzlicher Verdüsterung. Musikantische Verve beherrschte indes das schwungvolle, tänzerisch pointierte Menuetto, um anschließend im rasanten Perpetuum mobile des Schlusssatzes die Zügel zu lockern.

Man hätte denken können, dass da im klassischen Rahmen wenig Raum übrig blieb, üppiger zu werden. Doch bei Mendelssohn wurde schon im leidenschaftlichen Kopfsatz klar, dass im Spiel des Goldmund Quartetts noch viel Luft nach oben war. Das passierte schon alleine in der Klangsättigung, aber auch in einer gewissen orchestralen Auffassung. Das spritzige Wirbeln im Scherzo konnte in den Steigerungen mächtig in die Breite gehen, entschwand aber am Ende mit geisterhaftem Zauber. Liebhaber der Lieder ohne Worte kamen im Andante auf ihre Kosten, das über wogender Begleitung mit sehnsuchtsvollem Gesang betörte. Auch Mendelssohns Schlusssatz stürmte voran, bekam im Vergleich zu Haydn aber eine effektvollere Inszenierung mit reichhaltigem Auf und Ab der Emotionen. Die Dramaturgie des Goldmund Quartetts peilte früh das Ende an, um sich mit zunehmendem Drängen im mächtig geschmetterten Finale eindrucksvoll aufzubäumen.

Zur gewissen rebellischen Unangepasstheit im Image des Quartetts passt auch, dass dieses Ensemble die zeitgenössische Musik ausdrücklich pflegt. 2020 erschien mit "Travel Diaries" eine CD ausschließlich mit Neuer Musik. Bei den Aufnahmen spielte das Ensemble auch in Abstimmung mit dem Komponisten Say das Streichquartett "Divorce" op. 29 ein, das in der Schulaula Wörthsee im gewichtigen Programmzentrum zu hören war. In der Tradition der dreisätzigen Form ordnete sich die Scheidungsprogrammatik der formalen Anlage unter. Mit scharfer Rhythmisierung bewegte sich das Ensemble im Kopfsatz immer wieder in Richtung Rock, im Schluss-Presto mit einem geradezu gewaltsamen Groove, immer wieder ins Psychotische abgleitend. Das zentrale Andante gab der Scheidung noch eine Chance, experimentierte klangsphärisch mit Stimmungen und versuchte sich in melodischer Beschwichtigung. Doch die finale Katastrophe war nicht abzuwenden - und das Goldmund Quartett hielt sich im Erlebnisfaktor auch hier nicht zurück.

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