Kabarett:Pelzigs Parforceritt

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Ein Wüterich im Gewand des Spießers: Frank-Markus Barwasser arbeitet sich bei seinem Auftritt in der Schlossberghalle an den Missständen unserer Zeit ab. (Foto: Nila Thiel)

Frank-Markus Barwasser verschont in "Weg von hier" nichts und niemanden

Von Ute Pröttel, Starnberg

Nach der Pause kommt das: Frank-Markus Barwasser alias Erwin Pelzig tritt auf die Bühne und entschuldigt sich bei seinem Publikum. Er habe im ersten Teil überzogen. Leider. Ganze neun Minuten. Dabei habe er nicht mehr gesagt als an anderen Abenden, nur wohl eben zu langsam. Das werde er nun im zweiten Teil versuchen wieder reinzuholen. Das Tempo, mit dem der Kabarettist sich an den Missständen unserer Zeit abarbeitet, wird also nicht nachlassen.

Barwasser gastierte am Donnerstagabend mit seinem aktuellen Programm "Weg von hier" in der ausverkauften Schlossberghalle. Und auch nach der Pause blieb der Saal voll besetzt. Dabei ist es nun wirklich keine leichte Unterhaltung, die der 59-Jährige bietet. Wütend und immer in Aktion seziert er politische und gesellschaftliche Phänomene. Sei es der globale Rechtsruck, seien es steigende Mieten, sei es die Digitalisierung. Seehofer, Söder, Scheuer und Dobrindt, Orban, Erdogan, Trump und das kleine dicke Kind aus Nordkorea - alle bekommen ihr Fett ab. Dabei interagiert Barwasser gerne mal mit dem Publikum und bittet um Handzeichen aus dem Saal. Licht an. Frage, Handzeichen, weiter geht der Parforceritt. Barwasser ereifert sich über die paarungswilligen Grünen, die fast zu einer neuen Volkspartei aufgestiegen sind, und fürchtet, dass er über die gute alte SPD bald vielleicht nicht mehr lästern dürfe, weil er sonst nach § 168 Strafgesetzbuch wegen Störung der Totenruhe belangt würde. Die AfD heißt er willkommen im Club. Schon nach einem Jahr habe sie eine fette Parteispendenaffäre am Hals. Andere hätten sich da mehr Zeit gelassen. Wer wolle da nicht irgendwie weg von hier? Barwasser unternimmt einen Exkurs in die Romantik. Von wegen früher war alles besser.

Als Ursache aktueller Probleme identifiziert er den weißen machtbesessenen Heteromann. Licht im Saal an. Weiße Heteromänner bitte Hand hoch. "Oh, doch nur so wenige. . ."

Für sein Solo braucht der Künstler nicht viele Requisiten, und doch unterteilt er die Bühne in drei Räume. Am Tisch mit dem Weißbierglas darauf gibt er die Stammtischrunde Pelzig, Dr. Göbel und Hartmut. In atemberaubender Geschwindigkeit wechselt er Figur und Argumentationsstrang und spielt seine schauspielerischen Fähigkeiten aus.

Ein alleinstehender orangefarbener Plastikstuhl ersetzt drei Stühle im Büro des großen Walt Disney. Sie stehen für das Geheimnis seines Erfolges. Auf sie habe sich der erfolgreiche Hollywoodproduzent vor jedem neuen Projekt gesetzt. Der erste ist der Stuhl des Träumers. Hier habe Disney seiner Fantasie freien Lauf gelassen, der zweite ist der Stuhl des Kritikers und der dritte der Stuhl des Realisten. Auf diesen drei Stühlen nimmt auch Barwasser im Laufe des Abends immer wieder Platz und beleuchtet seine Themen mal träumerisch, mal kritisch, um dann wieder ganz Realist zu werden.

Mit Cordkäppi und Herrenhandtasche verkörpert Barwasser seine Kunstfigur Erwin Pelzig, der sich schon unbändig darauf freut, autonom fahrende Autos, die rein auf defensiv programmiert sein müssen, mit seinem alten VW Jetta zu jagen. Gegen Ende dreht er dann noch einmal richtig auf und verschont auch nach halb elf Uhr sein Publikum nicht vor frischen Gedanken: Schwangeren-App, EU-Außengrenze im Tschad. Manch einer wünscht sich da an diesem stürmischen Donnerstagabend unter der Woche vielleicht: Jetzt schnell weg von hier. In weiser Voraussicht konnten die Ausfahrtickets für die Tiefgarage übrigens bereits vor der Veranstaltung zum Sonderpreis von vier Euro gelöst werden.

© SZ vom 16.03.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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