Kabarett:Die Wiener Lust am Untergang

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Der Satiriker Severin Groebner betreibt im Gautinger Bosco Wortakrobatik und spielt dazu auf seiner Cigar Box-Gitarre. (Foto: Nila Thiel)

Von Ikea zum Atommüll und von dort zum Barbarastollen im Schwarzwald: Das Tempo, das der Comedian Severin Groebner im Gautinger Bosco vorlegt, ist rasant

Von Blanche Mamer, Gauting

Es ist ein kurioser Abend, Freitag im Bosco. Ziemlich verhext zu Beginn! Nicht nur der Titel des Programms "Abendgang des Unterlands", sondern auch, weil man als Zuschauer zunächst nicht erkennen kann, ob der Mann auf der Bühne, der Comedian Severin Groebner, nur extra leger gekleidet ist oder ob er einen grauen Pyjama anhat. Auch ist nicht ganz klar - man muss ja auf alles gefasst sein - ob das rythmische Knacksen, das ans Abspielen einer Langspielplatte mit Kratzer erinnert, eine Bedeutung hat oder doch nur am Mikrofon liegt. Man gewöhnt sich dran. Es braucht dann so etwa zehn Minuten, bis der Technik-Mitarbeiter des Bosco auf die Bühne stürmt, um das Mikro neu zu befestigen. Doch das macht es nicht besser, erst mit einem neuen Headset ist das satirische Frage-Antwortspiel mit einem fiktiven Kind knackslos zu verstehen. Die Panne hat aber doch etwas Schönes: Groebner legt eine Slapstick-Nummer hin, die es mit Chaplin aufnehmen kann.

Eins macht der dünne Mann in Grau schnell klar: Er ist ein echter Wiener. Stolz auf seine Identität, auf seine Herkunft. Weil, wie er erklärt, seine Großeltern lupenreine Nazis waren, die Oma aus Oberösterreich, der Opa aus Rumänien, ihre Vorfahren alle multikulturell unterwegs, kamen aus der Bretagne, Sizilien, Ungarn, Griechenland und mischten schon bei Alexander dem Großen mit. Und dann gab es noch einen schwarzen Diener bei der Oma, der naja, man sieht es an seinen aufgeworfenen Lippen, meint der Satiriker auf der Bühne. Klar, dass es da Errungenschaften gibt, die es zu verteidigen gilt. Grad auch in Zusammenhang mit dem für diesen Samstag 9.48 Uhr vorhergesagten Weltuntergang. Doch nun, am Morgen danach, leben wir noch, genau wie unsere Altvorderen die von Luther für 1532 prophezeite Apokalypse nicht erlebt haben.

Es gelingt Groebner mühelos zur Weltpolitik, den Krisengebieten oder seiner eigenen Krise zu wechseln. Er steckt mitten drin, als weißer heterosexueller Mann hat er einen schweren Stand, da "lesbische Schwarzafrikanerinnen und Transgender-Indios" die Macht ergriffen haben und selbst "eine umoperierte Kampflesbe mit Fönfrisur im Weißen Haus in Washington regiert". Ohoh! Von da kommt er ohne Umwege zum Göttervater Zeus, der über seine hochspezialisierte Götterfamilie sinniert, die leider von dem einen Gott der Nazarener gestürzt wurde. Bedauerlich, wie sie alle auf den Hund gekommen sind. Hera, seine Gemahlin, hat ein Sanatorium in Wien, Apollo, der Schöne, Kultivierte, ist jetzt Optiker, Nike, die Siegesgöttin, macht in Turnschuhen. Ein Trauerspiel.

Was die Wiener den Deutschen voraus haben, außer ihrem Schmäh, ist das Philosophische, findet der graue Mann auf der Bühne. Was ist das? fragt das unsichtbare Kind. Ein Philosoph ist ein Ratgeber, einer der sich auskennt mit den Küchenweisheiten der Oma und den nah- und fernöstlichen Besonderheiten. Und was ist das? will das Kind wissen. Der Chefphilosoph dreht sich im Kreis. Die allgemeine Orientierungslosigkeit macht ihm zu schaffen. Was soll man anziehen? Soll man die Blumen noch gießen? Ach ja, da sind ja auch noch die Taxigutscheine, die ja nichts mehr bringen, wenn morgen alles vorbei ist. Ganz so hat er es nicht gesagt, der gnädige Herr aus der KuK-Hauptstadt, die er "kaputt und krank" nennt. Aber so ungefähr.

Die Lust am Untergang ist eine schöne Wiener Tugend, wie Weltschmerz und der Besuch des Zentralfriedhofs. Seine Lieblingskatastrophe? Der schlimmste Untergang war der der Titanic, tragisch, das große Schiff, ein Eisberg, das Orchester spielt, mehr als 1000 Tote, einer davon Leonardo. Der daraufhin eine erstaunliche Karriere gemacht hat. Es bestehen also noch Chancen für nach dem Untergang. 124 Menschen haben ihre Selfies nicht überlebt, sind abgestürzt, was bleibt ist das Foto. Groebner kommt von Ikea zum Atommüll, zum Barbarastollen im Schwarzwald, wo das Wissen der Menschheit gelagert ist. Fast kommt man nicht nach als Zuschauer und Zuhörer, wenn er zugleich auf seinem seltsamen Instrument spielt, einer Cigar Box-Gitarre, wie er erklärt. Er persifliert deutsche Schnulzen bei und singt Schlager wie "1001 Nacht und es hat Zoom gemacht" und rockt "Auf dem Kinderspielplatz sitzt ein Terrorist" - in Erwartung vom Raumschiff und Mr. Spock. Groebner hat einen langen Atem, so als wollte er die Stunden bis zum Weltuntergang kurz halten, entlässt das Publikum erst nach halb elf. Allerdings haben das nicht mehr alle mitbekommen. Denn nach der Pause sind doch etliche Plätze leer geblieben. Da muss man sich fragen: Ist er zu sarkastisch, zu frech, zu wienerisch, zu unverständlich? Nein, er ist einfach gut und wer früher heimgeht, ist selber schuld.

© SZ vom 21.01.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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