Kabarett:Aufklärer mit Käppi

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Meister der Verdrehung: HG Butzko bei seinem Auftritt in der Schlossberghalle Starnberg. (Foto: Arlet Ulfers)

HG Butzko mit "Echt jetzt" in Starnberg

Von Gerhard Summer, Starnberg

Na klar, HG Butzko könnte jetzt noch ein paar andere frühere Designer und Entwickler von Facebook oder Apple zitieren, "aber sehe ich aus wie Hagen Rether?" Nein, bewahre. Vor allem hat Butzko erstens deutlich mehr Programme als der große Moralist des deutschen Kabaretts, die zweitens deutlich kürzer ausfallen als Rethers dreineinhalbstündiger Monolog "Liebe". Was kein Schaden ist. "Echt jetzt" ist das zehnte Solo des Gelsenkircheners mit olivgrünem Käppi seit 1997, eine nostalgische Jubiläumsmischung mit dem Leitsatz "Die Älteren werden sich noch erinnern". Vielleicht auch deshalb erlaubt es sich Butzko, anfangs in der fast vollen Starnberger Schlossberghalle Bruchstücke aus "Menschliche Intelligenz" zu recyceln, seinem vorherigen Programm.

Was soll's, die erste Hälfte bekommt viel Applaus, ist aber nicht der Reißer, mal abgesehen vom wunderbaren Witz einer kopftuchtragenden Muslima und feinen Gemeinheiten. Zum alten Wahlkampfslogan der SPD aus Gerhard Schröders Zeiten fällt Butzko ein: "Sozial und modern", da müsse man nur das zweite Wort anders betonen und wisse schon, in welch bedauernswertem Zustand die Sozialdemokraten sind. Und: Der Mann, der die Kabarettvorlesung pflegt, nutzt gern das Stilmittel der Verdrehung und Verkehrung, um vorzuführen, wie absurd die Zustände sind. Was also wäre gewesen, wenn das Schießpulver nach Afrika gelangt wäre? Niger, Gambia und Somalia hätten Kolonien gegründet in Deutschland, die Leute dort ausgepresst wie die Zitronen und am Ende behauptet, all die Menschen, die jetzt nach Afrika wollten, seien nichts als Wirtschaftsflüchtlinge.

Nach der Pause legt Butzko aber eins drauf, "Echt jetzt" bekommt nun tatsächlich ein paar Parallelen zu Hagen Rethers "Liebe". Er spricht über Handys und Digitalisierung, jeder ahnt, dass beides zu Smombies führt, zu Smartphone-Zombies. Aber Butzko belässt es nicht bei allgemeinen Betrachtungen, Witzchen und Anmerkungen zu den Online-Schminktipps junger Frauen, "die Millionen scheffeln, weil sie in der Lage sind, sich mit dem Stift im Gesicht zu treffen". Er geht ins Detail. Er zitiert Tony Fadell, den Erfinder von iPod und iTundes, Sean Parker, den ehemaligen Facebook-Berater, Jaron Lanier und andere Entwickler, die allesamt resümieren: Die Digitalisierung sei das Werk "beziehungsgestörter Soziopathen", die auf dem besten Weg sind, ein Suchtmittel unter die Menschheit zu bringen, "zerebrales Crack". Die Zeitvernichtungsdienste erfinden, "Glücksspielautomaten für die Hosentasche" und sogenannte soziale Medien, dabei aber Roboter einsetzen, um Obdachlose mit fiesen Geräuschen zu vertreiben.

Mag sein, dass Butzko ein wenig ins Dozieren kommt. Vielleicht auch deshalb schickt er zur Entspannung sein alter Ego "Chris die Motten" aus Gelsenkirchen auf die Bühne und lässt ihn darüber kalauern, dass Software früher ein Papiertaschentuch war, die Cloud eine Aufforderung zum Bandendiebstahl und der Chip eine Kartoffelscheibe, "mit der man beim Roulette auf Zahlen setzten konnte". Aber mit welcher Leidenschaft sich HG Butzko in sein Thema gräbt, wie er mit wunderbarem Fachchinesisch kognitive Prozesse erklärt und eine Dystopie entwirft, das hat etwas Bezwingendes à la Rether. Kabarett und Aufklärung, ja, das geht zusammen.

© SZ vom 20.10.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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