Cavaquinho, Ngoni, Darbuka, Zabumba, Mridangam: Noch nie gehört? In Ludwig Himpsls Musikzimmer findet sich eine dreistellige Anzahl verschiedener Instrumente: Fass-, Röhren- und Rahmentrommeln, Hörner, ein großes Sortiment winziger bis mannshoher Flöten, Daumenklaviere und ein kompaktes Piano. Gitarren hängen im Foyer der Herrschinger Wohnung an der Wand, auf der Galerie stehen ein Kinder-Schlagzeug und ein Marimbaphon. Für das Zeitungsfoto stöpselt Himpsl rasch das imposante Alphorn zusammen und lässt es aufröhren. Was im Keller der vierköpfigen Familie noch an Musikgeräten lagert, weiß er womöglich selbst nicht genau. Für ihn reicht die Bezeichnung Multiinstrumentalist nicht mehr aus, er ist vielmehr Polyinstrumentalist.
"Die Tuba liegt noch im Auto", antwortet Himpsl auf Nachfrage. Sie hatte beim Auftritt mit Stefan Straubinger in der temporären Herrschinger Kulturkneipe der "Künstler aus dem Einbauschrank" ihren Einsatz. Das Duo präsentiert groovende, skurrile Volksmusik, die mit Bandoneon, Drehleier, Maultrommel, Percussion, Alphorn und Gesang vorgetragen wird. Am Tag vor dem Gespräch hat Himpsl in einer Kirche mit seinen Brüdern und Eltern am nächsten Weihnachtsalbum der Unterbiberger Hofmusik gearbeitet.
Das Aufwachsen in diesem speziellen Umfeld hat ihn geprägt: Auch er tourt als Profimusiker durch die Welt, nimmt dabei Einflüsse auf und bleibt gleichzeitig im engsten Familienkreis auch musikalisch geerdet. Ludwigs Eltern Irene und Franz, beide studierte Musiker und Musikpädagogen, spielten einst bayrische Stubenmusik zum eigenen Vergnügen. Ein Meisterkurs, den Franz 1991 beim brasilianischen Trompeter Claudio Roditi besuchte, legte den Keim für die Hofmusik. Die Geburtsstunde schlug ein Jahr später, als die Himpsls Roditi nach einem Konzert in München zum Weißwurstfrühstück nach Unterbiberg einluden und der Jazzer dann zu einem Gstanzl der Hausherren spontan improvisierte.
Zwei Jahre später nahm die Hofmusik mit Roditi ihr erstes Album auf. Seitdem sind neun weitere CDs erschienen, und die Band hat sich unter den Pionieren der Neuen Volksmusik weltweit Anerkennung verschafft. Tourneen führten sie mehrmals in die Türkei oder nach Nordafrika, in den Iran, nach Kirgistan, Indien und Mexiko. Namhafte Solisten wie der australische Trompeter Andrew McNaughton und der fünffache Grammy-Gewinner Jay Ashby waren oder sind mit von der Partie, wie auch die renommierten deutschen Jazzbläser Matthias Schriefl und Mathias Götz.
Die Hofmusik wurde mit dem Tassilo-Förderpreis der Süddeutschen Zeitung ausgezeichnet, das jüngste Album mit dem Titel "Dahoam und retour" fand in die vierteljährliche Bestenliste der Deutschen Schallplattenkritik. Auf dem zweiten Album "Vivamus" von 1997 ist der damals neun Jahre alte Ludwig erstmals mit dem Waldhorn zu hören, schon mit fünf Jahren hatte er auf der brasilianischen Surdo in der Familienband mitgetrommelt.
Längst steht der Herrschinger musikalisch auch auf eigenen Füßen. Er spielt in verschiedenen Konstellationen vom Jazzduo bis zur Oper mit großem Ensemble. So wirkte Ludwig Himpsl im vergangenen Jahr bei der Aufführung von Karl Jenkins "Stabat Mater" des Bach-Chors und -Orchesters Fürstenfeldbruck mit. Für das zeitgenössische Werk aus Symphonik, Pop, geistlicher und ethnischer Musik mit Texten auf Aramäisch und Hebräisch wurde noch ein Duduk-Spieler gesucht. Himpsl, der schon immer eine dieser Doppelrohrblattflöten besitzen wollte, blieben bis zur Generalprobe nur vier Wochen zum Üben. Die Auftritte vor dem 300-köpfigen Ensemble waren dennoch ein Erfolg. Seitdem hat der Musiker seine Leidenschaft für das armenische Nationalinstrument entdeckt: "Ich nutze es fast in allen Projekten, auch auf der kommenden Hofmusik-CD gibt es ein fettes Duduk-Solo."
Der Kammeroper München brachte Himpsl im vergangenen Jahr für Mozarts "Die Entführung aus dem Serail" wiederum orientalische Trommeltöne bei. Die Aufführungen im Schloss Nymphenburg begleitete er mit Perkussioninstrumenten wie der Darbuka. Die kostbare, mit Intarsien versehene Keramiktrommel ist mit der Haut eines vom Aussterben bedrohten Nil-Fisches bespannt und erzeugt einen besonders warmen Klang. Himpsl hat sie bei einem Meister in Kairo bestellt und dort selbst abgeholt.
In diesem Sommer wird der Polyinstrumentalist bei den Salzburger Festspielen zu hören und sehen sein: Bei den - längst ausverkauften - Aufführungen von "Sternstunden der Menschheit" nach Stefan Zweig laufen vier Bläser musizierend im Kreis über die Bühne. So will Regisseur Thom Luz brasilianische Straßenatmosphäre am Sterbebett des Autors heraufbeschwören und greift dabei hauptsächlich auf den Chôro zurück. Dieser Musikstil ist vor 150 Jahren in Rio de Janeiro als Fusion von europäischen Tänzen mit der perkussiven Musik afrikanischer Sklaven entstanden und war fast vergessen, bevor er nun im 21. Jahrhundert eine neue Popularitätswelle erlebt. Seit zehn Jahren verbindet die Gruppe Bavaschôro diese brasilianische Volksmusik mit Zwiefachen, Blasmusik und witzigen bairischen Texten. Neben Ludwig wirken dabei sein Bruder Xaver (Flügelhorn, Trompete), der gebürtige Brasilianer Henrique de Miranda Rebouças (siebensaitige Gitarre) und der Gitarrist Luis Hölzl mit, der portugiesische und bayerische Wurzeln hat.
Zu Ludwig Himpsls weiteren Engagements zählen unter anderen das Ogaro-Ensemble des syrischen Oud-Virtuosen Abathar Kmash und die Band des iranischen Gitarristen und Sängers Arash Sasan, der persische Lyrik mit Jazz, orientalischen und mediterranen Klängen verbindet. Bei Liam Smiths Ceilidh-Band wirkt Himpsl gelegentlich als zweiter Drummer europaweit als Botschafter schottischer Tanz- und Musikkultur mit. Seit er vor drei Jahren den Herrschinger Flamenco-Gitarristen Ricardo Volkert zufällig an der Seepromenade kennengelernt hat, treten beide vor allem im Fünfseenland öfter gemeinsam auf. Himpsl sieht seine Gast- und Heimspiele auch als "niederschwelliges Angebot", die Jugend für Konzerte zu begeistern: "Junge Leute kommen heutzutage ja kaum mehr in Kontakt mit Livemusik".
Zu den etwa 150 Auftritten im vergangenen Jahr kamen noch viele Stunden als Studiomusiker hinzu, außerdem unterrichtet der 36-Jährige einmal wöchentlich an einer Berufsschule für Gymnastiklehrer. Zudem ist er als Lehrer für "Superar" tätig, eine spendenfinanzierte Organisation, die Kindern aus allen sozialen Schichten kostenlose Musikstunden ermöglicht.
Da verwundert es kaum, dass Ludwig Himpsl erst seit Kurzem mit World Wide Wig ein eigenes Projekt realisiert. Als im Lockdown fast alle Einkünfte zu versiegen drohten, verhalf ein Stipendium der Stadt München seiner jungen Familie zu einem halbjährigen Aufenthalt in Portugal. Himpsl nutzte die Zeit nicht nur als "Vaterschaftsurlaub", sondern vor allem, um die Stücke für sein erstes Album zu komponieren.
Das musikalische Spektrum der jüngst veröffentlichten CD reicht von beschwingten Sambaklängen mit Rebouças ("Cumin & Coriander") bis zum "Aufwachjodler" (mit Xaver und Franz Himpsl). Die Aufnahmen hat Himpsl mit Marja Burchard von Embryo (Vibraphon), Abathar Kmash und Magnus Dauner (Drums, Percussion) eingespielt; als Gastmusiker sind Andrew McNaughton mit dem Flügelhorn, Percussionist João do Pandeiro und Posaunist Mathias Götz beteiligt. Bei World Wide Wig kommen etwa 30 Instrumente zum Einsatz, die ausgefeilten, aber nicht abgehobenen Kompositionen werden von originellen Kombinationen und Gegensätzen belebt, wie etwa Tuba, Glockenspiel und Oud oder dem Zusammenspiel von Vierteltonhorn und Vierteltonmarimba in der Suite "Falin al Bulut".
Kern des Albums aber sind die Stücke, die Himpsl seinen beiden Kindern gewidmet hat. Zu den ersten Fragmenten von "Amari Mayla" hat eben diese im Säuglingsalter in einer Jurte an der Algarve gejuchzt. Himpsl intoniert die flotte Folkloremelodie im 15/16 Takt mit einer Kaval, einer rumänischen Längsflöte. Und "Valentinos Dance" erinnert zunächst nicht nur wegen Götz an den Rumpeljazz der Hochzeitskapelle, um zwischendrin dank Kmashs Oud eine unerwartete arabeske Wendung zu nehmen.
Wie seine zwei Brüder Xaver und Franz junior hat Ludwig ein klassisches Musikstudium abgeschlossen. Sein Diplom hat er im Fach Horn abgelegt, aber "am Schluss hat mich die Einseitigkeit genervt", sagt er. Statt sich auf die Feinheiten der klassischen Musikliteratur mit beschränkten musikalischen Einflussmöglichkeiten einzulassen, jammte er lieber mit den Jazzern in Würzburg: "Das brachte viel mehr Spaß und ich habe super viel dabei gelernt", erzählt er.
Beim Blick in sein CD-Regal fällt außer Paul Simons "Graceland" kaum populäre Musik ins Auge. Mit Pop- und Rockmusik, Techno oder Punk kann er nicht allzu viel anfangen. Seine Schulkameraden habe er stattdessen mit Hardbop a la Art Blakey genervt, erzählt Himpsl: "Wenn ich etwas höre, will ich auch, dass es mir etwas Neues beibringt."
Was die Aufnahmetechnik betrifft, greift er gerne auf Bewährtes wie Musikkassetten und einen Vierspur-Recorder zurück; einen Spotify-Account hat Ludwig Himpsl nicht. Wäre das Wort "Weltmusik" nicht schon so abgegriffen, auf Himpsl träfe es zu wie auf kaum einen anderen. Gleichzeitig ist er ein ausgesprochener Familienmensch, der nicht nur im Unterbiberger Elternhaus musiziert, sondern auch mit den eigenen Sprösslingen. Gelegentlich kann man ihn mit Valentino (7 Jahre), Mayla (3) und Nachbarskindern in der Dachgeschosswohnung jammen hören, so laut es Rücksicht und Regeln im Mehrfamilienhaus halt zulassen. Doch angesichts der vielen Engagements bleibt dafür nicht oft Zeit: "Mit meinen Kindern mache ich eigentlich viel zu wenig Musik."
Am Samstag, 4. Mai, treten World Wide Wig erstmals im Fünfseenland auf. Das Konzert im Herrschinger Kurparkschlösschen beginnt um 20 Uhr; Marja Burchard wird bei diesem Gastspiel vom Pianisten Tom Jahn, Leiter der Bigband Dachau, vertreten.